• Mit dem Entschluss, die sogenannte Notbremse im Zuge der vom Bund beschlossenen Corona-Lockerungen von einem Inzidenz-Wert von 100 auf 200 zu erhöhen, hat das Land Brandenburg Kritik auf sich gezogen.
  • SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nennt den Alleingang "unglaublich" und warnt erneut vor einer dritten Welle.
  • Die Landesregierung wehrt sich gegen die scharfe Kritik.

Mehr aktuelle Informationen zum Coronavirus finden Sie hier

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat das Fehlen einer automatischen Notbremse für Corona-Lockerungen bei wieder steigenden Infektionen gegen wachsende Kritik verteidigt. "Das ist ein Sturm im Wasserglas", teilte Woidke am Dienstag in Potsdam mit.

"Wir gehen einen ausgewogenen Weg, der verschiedene Aspekte berücksichtigt und auf der MPK-Rahmenvereinbarung vom 3. März beruht." Bund und Länder hatten bei der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) beschlossen, dass die strengeren Corona-Regeln gelten und die jüngsten Lockerungen zurückgenommen werden, wenn der Wert neuer Infektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche über 100 steigt.

Lesen Sie auch: Alle aktuellen Informationen rund um die Corona-Pandemie in unserem Live-Blog

In der Brandenburger Corona-Verordnung steht nicht explizit, dass ab einem Wert von über 100 neuen Infektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche quasi automatisch Lockerungen wieder ausgesetzt werden. Darin ist geregelt, dass Landkreise und kreisfreie Städte ab einem Inzidenz-Wert von 200 für mindestens drei Tage wieder schärfere Schutzvorkehrungen gegen das Coronavirus anordnen und die Öffnungen und Lockerungen für private Treffen zurücknehmen.

Woidke: Harte Grundrechtseinschränkungen nur nach sachlicher Bewertung

Woidke wies die Kritik zurück. Wenn sich die Sieben-Tage-Inzidenz landesweit beharrlich der 100 nähere, werde die Landesregierung über konkrete Schritte für die Zeit ab dem Überschreiten der 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen entscheiden, erklärte er am Dienstag. "Dies ist auch juristisch begründet, denn harte Grundrechtseinschränkungen durch einen erneuten harten Lockdown dürfen nach unserer Auffassung nicht automatisch erfolgen, sondern bedürfen einer sachgerechten und aktuellen Bewertung."

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatte noch in der ARD-Sendung "Anne Will" vor der Ausbreitung der ansteckenderen Virus-Varianten und den damit verbundenen steigenden Fallzahlen gewarnt. Aus seiner Sicht würde die sogenannte Notbremse bald nötig werden.

Konkret erwarte er, dass die Sieben-Tage-Inzidenz Anfang April wieder über 100 liegen wird. "Dann ist die Mutation so weit verbreitet, dass es eine ganz neue Dynamik gibt."

Lauterbach kritisiert Brandenburgs Alleingang scharf

Nach dem Alleingang Brandenburgs äußerte sich Lauterbach erneut auf Twitter: "Das ist mittelgradig unglaublich. Lockerungen werden beschlossen, wie in MPK vereinbart, aber Notbremse wird von 100 auf 200 (!) erhöht. Ist das ernst gemeint?" Er warnte, wenn dies alle Bundesländer machten, werde es eine schwere dritte Pandemiewelle geben und einen langen Lockdown.

Woidke hingegen verwies darauf, dass die Landkreise und kreisfreien Städte grundsätzlich aufgefordert seien, zusätzliche Schritte zur Eindämmung zu ergreifen, besonders wenn der Wert von 100 erreicht sei. Wenn ein Wert von 200 über drei Tage gerissen werde, würden dort automatisch mindestens die Lockerungen seit diesem Montag zurückgenommen. Beides betrifft allerdings regionale Entscheidungen, keine landesweiten. Das Nachbarland Sachsen hat zum Beispiel eine Rückfallregelung in seiner Corona-Verordnung.

Patientenschützer: Landesregierung riskiert Schutz der Hochrisikogruppe

Die Vorsitzende der Linkspartei, Janine Wissler, nannte unterdessen die Brandenburger Regelung "ziemlichen Wahnsinn". "Das gefährdet das Leben und die Gesundheit von Menschen", sagte Wissler im "Frühstart" von RTL/ntv. "Ich finde schon die Inzidenz von 100 als Notbremse ziemlich ungeeignet."

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte: "Beim Impfangebot eines der letzten Bundesländer. Bei den Öffnungsangeboten vorneweg. Mit dieser Strategie fährt die Landesregierung den Schutz der Hochrisikogruppe in Brandenburg vor die Wand."

Brandenburg liegt beim Anteil der Erstimpfungen an der Bevölkerung im bundesweiten Vergleich auf dem letzten Platz, wie aus Zahlen des Robert-Koch-Instituts hervorgeht. Beim Anteil der Zweitimpfungen liegt das Land im Bundesdurchschnitt. Die rot-schwarz-grüne Landesregierung hatte angekündigt, dass die Zahl der Impfungen in den kommenden Wochen deutlich hochgefahren werden soll. (dpa/dh)

Stiko-Vorsitzender: Länder setzen sich über Impf-Reihenfolge hinweg

Das Vorgehen der Bundesländer bei den Corona-Impfungen sorgt für Diskussionen. Nach Angaben des Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, setzen sich die Länder eigenmächtig über die Impfverordnung des Bundes hinweg.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.