Vielen Menschen gilt Schweden als das leuchtende Beispiel dafür, dass man auch ohne gravierende Einschränkungen durch die Coronakrise kommen könnte. Nun aber sieht es so aus, als müsste Schweden seinen Weg an steigende Infektionszahlen und eine immer weniger motivierte Bevölkerung anpassen.
Viele Leute blicken in der Coronakrise immer wieder hoffnungsvoll nach Schweden. Das Land hat bisher von strengen Beschränkungen abgesehen, Restaurants und Läden bleiben geöffnet, bei schönem Wetter sind die Straßen gut gefüllt. Die Bevölkerung wurde gebeten, sich an Abstandsregeln zu halten, Reisen auf ein Minimum zu reduzieren und wenn möglich auf das Homeoffice auszuweichen. Ein Sonderweg des Laissez-faire - so wirkte es auf viele andere europäische Länder wie Deutschland, die mit strengen Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren versuchen, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen.
Und doch schien Schweden ganz gut mit dem gewählten Weg zu fahren. Die Bürger hielten sich größtenteils an die Empfehlungen ihrer Regierung.
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Schweden bewegen sich wieder mehr
Aber so, wie auch in Deutschland der Ruf nach Lockerungen immer lauter wird, sind die Schweden der Empfehlungen langsam überdrüssig. Wie "Süddeutsche.de" feststellt, ist die Mobilität in Schweden sprunghaft angestiegen und bewegt sich fast wieder auf Normalniveau. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind ausgelastet. Vor allem in Stockholm drängen sich die Leute bei frühlingshaftem Wetter auf den Straßen und in den Gaststätten. Wegen Verstoßes gegen die Abstandsregeln wurden nun bereits fünf Restaurants in Stockholm dicht gemacht. Die Schließungen hätten vor allem mit dem Gedränge sowohl im Lokal als auch davor zu tun.
Die Lage im Gesundheitswesen sei extrem angespannt, weshalb die Ausbreitung des Coronavirus abgebremst werden müsse, teilte die Region Stockholm am Sonntagabend mit.
Und tatsächlich: Während in Deutschland die Zahl der Neuinfektionen langsam aber stetig zurückgeht, steigt sie in Schweden immer weiter an. Während am 30. März lediglich 405 Neuinfektionen vermeldet wurden, waren es am 28. April bereits 744. Insgesamt hat das Land 20.302 bestätigte Coronafälle und 2.462 Tote. Damit ist die Mortalitätsrate dreimal höher als in Deutschland und sogar zehnmal höher als beim Nachbarn Finnland.
Auch die Übersterblichkeit steigt in Schweden. Sie gilt als besonders sicherer Indikator für die Corona-Auslastung eines Landes. Das Forschernetzwerk Euromomo weist für Schweden eine sehr hohe Übersterblichkeit aus. Eine Stufe darüber kommen nur noch Spanien, Italien, Frankreich und Großbritannien - die Länder, die sehr stark von Corona betroffen sind.
Kommen nun strengere Beschränkungen?
Die schwedische Regierung droht nun mit strengeren Beschränkungen. Laut Außenministerin Ann Linde sei der schwedische Weg ohnehin von vielen missverstanden worden. "Wir haben so ziemlich die gleichen Ziele wie jede andere Regierung. Und wir haben immer gesagt, wir sind jederzeit bereit, die strengeren Regeln aufzustellen, wenn sich die Bevölkerung nicht an die Empfehlungen hält", sagt sie im Gespräch mit dem "Guardian".
Die Schließung der fünf Stockholmer Restaurant hält Linde für ein starkes Signal. Die Maßnahmen für Gaststätten seien nicht freiwillig. Man müsse sich schon an sie halten. Dennoch glaube Schweden weiter, das Beste sei eine Kombination aus verpflichtenden Regeln und klaren Empfehlungen.
Schwedens hohe Mortalitätsrate - vor allem im Vergleich zu seinen nordischen Nachbarn - sei natürlich nicht "Teil des Plans" gewesen, erklärt Linde und räumt ein, dass man beim Schutz der Pflegeheime versagt habe. Mehr als die Hälfte der 2.462 Toten starb in Pflege- und Altenheimen. Auch Schwedens Chefvirologe Anders Tegnell hat inzwischen zugegeben, bei diesem Thema daneben gelegen zu haben: "Man hätte Senioren in Alten- und Pflegeheimen früher schützen müssen. Aber wir haben keine Kristallkugel, in der wir in die Zukunft schauen können", sagte er dem schwedischen TV-Sender SVT. Noch sei das letzte Wort nicht gesprochen.
Vieles deutet darauf hin, dass Schweden seinen eingeschlagenen Weg in nächster Zeit anpassen muss. Schon vor einer Woche hatte Schwedens Premierminister erklärt: "Wir sind bereit, weitere Maßnahmen zu ergreifen." Es klang, wie eine letzte Drohung.
Verwendete Quellen:
- dpa
- "Sueddeutsche.de": Coronavirus in Schweden: 'Wir haben die Entwicklung der Todeszahlen unterschätzt'
- "Theguardian.com": Don’t judge Sweden’s light touch on Covid-19 yet, says minister
- "Bild.de": Schwedens Chef-Virologe revidiert Aussagen über lockere Corona-Maßnahme
- Euromomo.eu: Graphs and maps
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