- Das Geldvermögen privater Haushalte in Deutschland ist in der Krise gestiegen, die Deutschen sparen mehr und investieren in Aktien.
- Der Staat zahlt im Gegensatz die Corona-Kosten.
- Sollten die Bürger mehr zur Kasse gebeten werden? Zwei Volkswirtschaftler im Interview.
Trotz Coronakrise ist das verfügbare Einkommen der Deutschen gestiegen. Ist die Krise für die Menschen gar nicht so schlimm?
Günter Lang: Das verfügbare Einkommen aller Haushalte zusammen ist im Jahr 2020 in der Tat leicht um 13 Milliarden Euro gestiegen, also um 0,7 Prozent. Das sind aber alle Einkommen zusammengerechnet. Leider ist die wichtigste Komponente, die Bruttolöhne, zurückgegangen. Staatliche Transfers wie Renten, Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld haben demgegenüber zugenommen.
Aber das Geldvermögen der Deutschen ist dennoch auf einem Rekordstand, es liegt jetzt bei 6,7 Billionen Euro. Banken drohen schon mit Negativzinsen, die Aktienkurse klettern weiter und die Immobilienpreise steigen. Haben die Deutschen zu viel Geld?
Bernhard Herz: Was wir gerade sehen ist, dass Menschen ihr Vermögen umschichten. Wenn es bei den Banken keine Zinsen mehr gibt und stellenweise Negativzinsen drohen, dann ist diese Anlageform unattraktiv. Und bei Aktien und Immobilienbesitz liegen die Deutschen im internationalen Vergleich zurück, also ist ihr jetziges Handeln vernünftig.
Sparen, Immobilien, Aktien - auf der anderen Seite wird gerade weniger Geld für Konsum ausgegeben. Das schadet doch der Wirtschaft?
Herz: Zunächst einmal ist die Wirtschaft für die Menschen da und nicht die Menschen für die Wirtschaft. Man kann den Menschen nicht vorschreiben, dass sie mehr kaufen sollen, damit es der Wirtschaft besser geht. Das wäre ein merkwürdiger Rat. Die Menschen tun das, was sie für vernünftig erachten. Im Moment konsumieren sie wenig, weil sie vorsichtig sind. Sie halten ihr Geld zurück als Sicherheitspolster. Zudem haben die Gaststätten geschlossen, Urlaub ist schwierig und Click & Collect ist auch nichts für jedermann.
Wie haben sich der Konsum und die Sparquote in der Krise konkret entwickelt?
Lang: Die private Sparquote der Deutschen schwankt seit der Wiedervereinigung zwischen 9 und 13 Prozent, im Jahr 2020 ist sie auf über 16 Prozent gestiegen. Die privaten Konsumausgaben sind 2020 um etwa 100 Milliarden Euro gefallen, das sind minus 5,4 Prozent. Die stärksten Rückgänge gab es bei den Ausgaben für Bekleidung, Verkehr, Freizeit und Gaststätten sowie Hotels.
Konnten alle etwas sparen?
Lang: Wir können davon ausgehen, dass sich bei Haushalten mit geringen Einkommen wenig geändert hat, da hier die Konsumquote unverändert bei nahezu 100 Prozent liegen dürfte. Die höchste Steigerung bei der Sparquote dürften Haushalte mit mittleren Einkommen haben, da die beliebten Urlaubsreisen und Restaurantbesuche abnahmen. Bei hohem Einkommen ist die Sparquote an sich schon viel höher.
Wäre es als Konjunkturstütze dann nicht besser, wenn gerade solche Haushalte, die mehr konsumieren, mehr Geld hätten?
Herz: Das kommt darauf an, warum die Konjunktur gestützt werden muss. In normalen Konjunkturkrisen warten die einzelnen Akteure auf die jeweils anderen. Die Haushalte konsumieren nicht, weil sie denken, ihr Arbeitsplatz ist in Gefahr. Und die Unternehmen stellen nicht ein, weil die konjunkturelle Lage unsicher ist. In solchen Situationen helfen Einkommensteuer-Senkungen oder Direktzahlungen, um die Konjunktur zu stärken. Aber so eine Situation haben wir gerade nicht. Teile der Ökonomie sind aufgrund des Lockdowns gestoppt. Wenn die Arbeitsverbote aufgehoben werden, wird wieder mehr konsumiert und produziert, das haben wir im vergangenen Sommer auch gesehen.
Waren die in der Corona-Pandemie ergriffenen Maßnahmen sinnvoll?
Herz: Die Mehrwertsteuer-Senkung als klassische Maßnahme für eine Konjunkturkrise hat kaum etwas gebracht. Das Instrument der Kurzarbeiterhilfe hat in Deutschland vor allem niedrige Einkommen gestärkt, das war sinnvoll. Bei Direktzahlungen kommt es immer auf die jeweilige Ausgestaltung und den Empfängerkreis an. In den USA hat sich gezeigt, dass Haushalte mit geringen Einkommen das Geld sofort für Konsum ausgegeben haben, Menschen mit hohen Einkommen haben von dem Geld vor allem Aktien gekauft.
Aber verdienen nicht die falschen Leute zu viel Geld? Wenn die einen alles wieder in den Wirtschaftskreislauf einbringen und sie mehr Geld bekämen, dann hätten wir ja auch deshalb mehr Wachstum? Wäre eine stärkere Umverteilung also nicht sinnvoll?
Herz: Das ist eine schwierige Frage. Zunächst einmal ist es nicht überraschend, dass Menschen, die gut ausgebildet und sehr produktiv sind, mehr verdienen. Wieviel Geld sie von ihrem Einkommen ausgeben, kann auch vom jeweiligen Lebensabschnitt abhängen. Es gibt Lebenssituationen, in denen Menschen mehr ausgeben, weil sie Kinder in Ausbildung haben, ein Haus abbezahlen müssen. Später entspannt sich die Situation wieder. In Bezug auf Umverteilung muss die Politik immer überlegen, welche Anreize damit gesetzt werden. Wenn ich besonders produktive Menschen, die gute Produkte zur Sicherung von Arbeitsplätzen entwickeln, stark belaste, dann hat das negative Konsequenzen.
Wie meinen Sie das konkret?
Herz: Wenn die Besteuerung beispielsweise zu hoch wird, könnten besser ausgebildete Fachkräfte ins Ausland ausweichen. Schon seit einigen Jahren sind die Menschen, die Deutschland verlassen, im Durchschnitt besser ausgebildet als diejenigen, die einwandern. Auch ein Abwandern in die Schattenwirtschaft ist möglich. Es geht nicht darum, ganz hohe Einkommen nicht zu besteuern. Aber wir haben in Deutschland ein merkwürdiges System, wo schon der Mittelstand hoch mit Steuern und Sozialabgaben belastet wird. Der Spitzensteuersatz greift bereits bei Facharbeitern und Lehrern. Das ist kontraproduktiv. Diese Leute haben nicht zu viel Geld.
Aber jemand muss die Zeche zahlen? Deutschland hatte schon vor der Krise hohe Schulden, durch die Corona-Krise sind die staatlichen Defizite erneut gestiegen.
Lang: Die staatliche Schuldenquote ist stark angestiegen und muss dringend zurückgeführt werden, da andernfalls ein nachhaltiger Verlust von Handlungsfähigkeit wie in Italien droht. Der Anstieg der Schulden war aber nicht – wie in den USA – eine Folge sinkender Steuerquoten, sondern von, im Gegenteil, stark steigenden Ausgaben.
Ausgaben heißt aber auch, dass der Staat Geld ausgibt. Das hilft der Wirtschaft doch auch?
Lang: Das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes wird aber durch weiter steigende Steuern und Abgaben sicher nicht gefördert. Eine weitere Steigerung der schon jetzt im internationalen und im historischen Vergleich hohen Steuern und Abgaben ist generell negativ, da die Anreize zu Leistung, Investitionen und Markteintritt abnehmen. Das deutlichste Warnsignal sehen wir seit vielen Jahren bei den internationalen Kapitalströmen: Deutschland kann kaum noch internationale Direktinvestitionen anziehen.
Aber wie soll der Staatshaushalt stabilisiert werden?
Lang: Sinkende Ausgaben im Sozialbereich sind unumgänglich. Selbstverständlich brauchen wir Sozialpolitik, aber nicht immer mehr. Im Blickpunkt sehe ich hier insbesondere die Zuschüsse zur Rentenversicherung, die unbedingt zurückgeführt werden sollten. Hier muss man wissen: Der mit Abstand größte und immer weiter wachsende Posten im Bundeshaushalt ist der Zuschuss zur Rentenversicherung. Andere Bereiche wie Kindergeld, ALG oder Kurzarbeitergeld sind demgegenüber auf einem guten Niveau.
Unabhängig davon, dass viele Rentner nicht genug Geld zum Leben haben, immerhin konsumieren sie ja auch. Und bevor das Geld wieder auf Konten liegt, würde es durch die Umverteilung wieder schneller in die Wirtschaft zurückgeführt.
Lang: Die Rentenversicherung ist kein perpetuum mobile. Sämtliche Rentenzahlungen müssen über staatliche Zuschüsse oder über Beiträge finanziert werden und nur ein Bruchteil davon fließt über verschiedene Kanäle wieder in die Kassen der Zahler zurück. Tatsache ist, dass die Corona-Maßnahmen großenteils zum Schutz unserer Rentner eingesetzt wurden, diese aber im Gegensatz zu Arbeitnehmern und Selbständigen keine Einkommensverluste hatten. Es ist nicht unbillig, sondern im Gegenteil dringend geboten, über die Abschaffung der Grundrente, höhere Abschläge bei frühem Rentenbezug, und einem mehrjährigen Einfrieren der Rentenhöhe zu beraten. Eine "rote Null" beim Wachstum des Zuschusses zur Rentenversicherung ist eine gute Zielvorgabe.
Aber andererseits gibt es immer noch genug Reiche, die wenig Geld für Konsum ausgeben. Ein Teil dieses Geldes liegt einfach nur auf dem Konto.
Lang: Nun, zum einen liegt Geld nicht einfach nur auf dem Konto, sondern jeder gesparte Euro wird an anderer Stelle investiert – nichts ist verloren. Ohne Sparen keine Investitionen. Vermögensreiche Haushalte sind somit das Fundament des Investitionsprozesses.
Die Corona-Krise trifft nun aber eher die armen Bevölkerungsschichten. Das ist doch auch gesamtgesellschaftlich betrachtet ungerecht.
Lang: Man kann schon darüber nachdenken, das Wirtschaftswachstum durch eine einmalige Vermögensabgabe bei gleichzeitiger Senkung des Spitzensteuersatzes der Einkommenssteuer wieder in Gang zu setzen. Der Wachstumsschub könnte enorm sein und wird die staatliche Schuldenquote reduzieren. Eine mögliche Zielvorgabe: 10 Prozent Steuer auf das Nettovermögen, zu bezahlen über 10 Jahre, bei gleichzeitiger Reduktion des Spitzensteuersatzes um 10 Prozent. Ich plädiere für möglichst geringe oder gar keine Freibeträge bei der Vermögensabgabe, damit die Mehrzahl der Haushalte betroffen ist und mit ihrer Stimme dazu stehen muss. Wichtig ist, die Gesamtbelastungsquote nicht weiter zu steigern, um das Abwandern der Elite und der vermögenden Haushalte in das Ausland zu verhindern. Unternehmen sollten generell von einer Vermögensabgabe befreit werden.
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