Im Konflikt um Berg-Karabach hat Aserbaidschan am Dienstag einen groß angelegten Militäreinsatz gestartet. Armenische Separatisten meldeten mindestens 27 Todesopfer.

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Nach monatelanger Eskalation im Konflikt um Berg-Karabach hat Aserbaidschan am Dienstag einen groß angelegten Militäreinsatz in der umstrittenen Kaukasusregion gestartet. Die Regionalhauptstadt Stepanakert sowie weitere Städte standen nach Angaben der Vertretung Berg-Karabachs in Armenien unter "intensivem Beschuss".

Angriff auf Berg-Karabach: 27 Tote - 200 Verletzte

Bislang seien 27 Todesopfer bestätigt, darunter zwei Zivilisten, schrieb der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach), Gegam Stepanjan, am Dienstagabend auf der früher als Twitter bekannten Plattform X. Darüber hinaus seien in der Konfliktregion mehr als 200 Menschen verletzt worden. Aserbaidschan erklärte sich grundsätzlich zu Verhandlungen bereit, forderte aber als Voraussetzung die Kapitulation armenischer Separatisten. Vertreter westlicher Staaten forderten ein sofortiges Ende der Kämpfe.

Auch die Behörden der umstrittenen Enklave verlangten einen sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen. Die aserbaidschanische Regierung erklärte sich grundsätzlich zu Verhandlungen bereit, forderte aber als Voraussetzung die Kapitulation der armenischen Separatisten. Sie müssten ihre Waffen abgeben, das "illegale Regime" müsse sich auflösen. Sollte dies nicht geschehen, würde die Offensive "bis zum bitteren Ende fortgesetzt".

Im Fall einer Kapitulation schlug Baku Gespräche "mit Vertretern der armenischen Bevölkerung Karabachs" in der aserbaidschanischen Stadt Jewlach vor. Aserbaidschans Regierung sprach von "örtlich begrenzten Anti-Terror-Einsätzen" in Berg-Karabach.

Angesichts des Angriffs wird es offenbar eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates geben. Aus Diplomatenkreisen in New York verlautete am Dienstag, die Sitzung zu diesem Thema sei für Donnerstagabend (MESZ) einberufen worden.

Aserbaidschan ruft Armenier in Berg-Karabach zu Kapitulation auf

Die armenischen Truppen in der umstrittenen Region müssten sich auflösen und ihre Waffen abgeben, das "illegale Regime" müsse sich auflösen, forderte die aserbaidschanische Präsidialverwaltung. Sie schlug Gespräche "mit Vertretern der armenischen Bevölkerung Karabachs" in der aserbaidschanischen Stadt Jewlach vor.

"Konflikt um Berg-Karabach" © dpa-infografik GmbH

Die aserbaidschanischen Streitkräfte versuchten, tief in das Gebiet von Berg-Karabach vorzudringen, erklärten die pro-armenischen Kräfte. Demnach setzten die aserbaidschanischen Streitkräfte Artillerie, Raketen und Kampfdrohnen ein. Mehr als 7000 Menschen aus 16 Ortschaften wurden den Separatisten zufolge wegen der Angriffe evakuiert.

Berg-Karabachs Hauptstadt Stepanakert stand nach Angaben eines AFP-Reporters am Dienstagabend weiter unter Beschuss. Gleichzeitig gab Baku bekannt, 60 armenische Stellungen erobert zu haben.

Berg-Karabach: Westliche Staaten fordern Ende der Kämpfe

Die aserbaidschanische Regierung erklärte, ihre Truppen zielten auf armenische Militärpositionen und von "Separatisten" genutzte Einrichtungen. Laut Verteidigungsministerium in Baku wurden humanitäre Korridore zur Evakuierung von Zivilisten eingerichtet.

Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan sprach in einer Fernsehansprache von einem "Einsatz mit Bodentruppen" Aserbaidschans, der das Ziel habe, "ethnische Säuberungen" gegen die armenische Bevölkerung in der Region zu betreiben.

In Armeniens Hauptstadt Eriwan demonstrierten derweil hunderte Menschen gegen Paschinjan. Sie warfen ihm Versagen bei der Verteidigung Berg-Karabachs vor und forderten den Rücktritt des Regierungschefs. Fernsehbildern zufolge kam es am Abend zu Ausschreitungen. Demonstranten versuchten, Polizeiabsperrungen vor dem Regierungssitz zu durchbrechen und bewarfen Polizisten mit Flaschen.

Türkei stellt sich hinter Aserbaidschan

Das armenische Außenministerium appellierte an die in Berg-Karabach stationierten russischen Friedenstruppen, die aserbaidschanische "Aggression" zu beenden. Soldaten aus dem traditionell mit Armenien verbündeten Russland sind seit 2020 in der Region eingesetzt, um ein damals am Ende eines mehrtägigen Krieges geschlossenes Waffenstillstandsabkommen zu überwachen. Auch vor der russischen Botschaft in Jeriwan versammelten sich Dutzende Demonstranten.

Die russischen Friedenstruppen in Berg-Karabach riefen laut dem Verteidigungsministerium in Moskau die Konfliktparteien auf, "die Kampfhandlungen unverzüglich einzustellen".

Vertreter westlicher Staaten forderten ein sofortiges Ende der Kämpfe. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Rande der UN-Vollversammlung in New York, es sei "ganz klar, dass diese Kriegshandlungen sofort beendet werden müssen". Es gehe darum, "wieder zurückzukehren zum Pfad der Diplomatie". Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte, "den Beschuss sofort einzustellen". Das französische Außenministerium rief Baku auf, seine "Offensive unverzüglich zu beenden". US-Außenminister Antony Blinken nannte das Vorgehen Aserbaidschans "ungeheuerlich".

Aserbaidschan und Armenien kämpften bereits zweimal um Berg-Karabach

Die traditionell mit Aserbaidschan verbündete Türkei stützte hingegen das Vorgehen Bakus. Die aserbaidschanische Regierung habe "wegen legitimer und berechtigter Sorgen" auf dem eigenen Staatsgebiet "die von ihr als notwendig erachteten Maßnahmen" ergriffen, erklärte das türkische Außenministerium. Ankara unterstütze aber die "Fortsetzung umfassender Verhandlungen zwischen Aserbaidschan und Armenien".

Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um Berg-Karabach und lieferten sich bereits zwei Kriege um das Gebiet. Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. Nach sechswöchigen Kämpfen im Jahr 2020 mit mehr als 6500 Toten hatte Russland ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang.

In den vergangenen Monaten hatten die Spannungen um das stark verminte Berg-Karabach wieder deutlich zugenommen. (mt/afp)

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