Was tun, wenn eine Stadt wie Puzzleteile in einem anderen Land verteilt ist? Kreative Lösungen finden, meint Frans de Bont, Bürgermeister der belgischen Stadt Baarle-Hertog, die in den Niederlanden liegt. Mehr noch: De Bont hält seine Heimat für ein Zukunftslabor der europäischen Integration.
Pflastersteine mit weißen Pluszeichen sind das Markenzeichen von Baarle-Hertog/ Baarle-Nassau. Mit jeweils einem blanken Stein dazwischen verlaufen sie kreuz und quer durch das Stadtgebiet: Sie ziehen sich über Fahrbahnen und Parkplätze, über Bürgersteige und häufig auch geradewegs durch eine Häuserzeile hindurch.
Was auf den ersten Blick wie eine Kunstinstallation im öffentlichen Raum wirkt, ist das genaue Gegenteil: Die weißen Kreuze sind hochoffiziell und zeichnen den Grenzverlauf zwischen Belgien und den Niederlanden nach. Diese aufwändige Kennzeichnung ist notwendig, weil sich die belgische Stadt Baarle-Hertog auf niederländischem Staatsgebiet befindet.
Wie Puzzleteile sind Stücke von Baarle-Hertog mit seinen 2.700 Einwohnern in der holländischen Gemeinde Baarle-Nassau (6.600 Einwohner) verteilt, die fünf Kilometer von der belgischen Grenze entfernt liegt.
Baarle-Hertog verteilt sich in 22 belgischen Exklaven im niederländischen Baarle-Nassau, das wiederum acht Enklaven hat. Sieben davon befinden sich in Baarle-Hertog, sind also eine niederländische Insel auf der belgischen Insel im niederländischen Staatsgebiet.
Weltweit einmalige Verflechtung
So weit, so kompliziert: Dieser verschlungene Grenzverlauf ist auf das Ende des 12. Jahrhunderts zurückzuführen, als der damalige Herzog Brabant Teile seiner Ländereien an Lord Breda abtrat, um von diesem Schutz zu erhalten.
So landeten bei der Gründung der Nationalstaaten einige Jahrhunderte später Teile Belgiens in den Niederlanden und umgekehrt.
Die Markierung mit den weißen Kreuzen ist allerdings erst vor 34 Jahren eingeführt worden, als die Grenzen neu vermessen und sichtbar gemacht wurden.
Die Bewohner der Stadt hätten natürlich auch schon vorher gewusst, wo die Grenze verläuft, sagt Frans de Bont (66), der Bürgermeister von Baarle-Hertog ist und sein gesamtes Leben in der Stadt verbracht hat. Der einzige Unterschied: "Jetzt ist der Grenzverlauf zentimetergenau festgelegt."
Die Verflechtung der beiden Länder in den Städten Baarle-Hertog und Baarle-Nassau ist weltweit einmalig und trägt bisweilen eigenwillige Blüten. So verläuft die Landesgrenze teils mitten durch Häuser.
In diesen Fällen, erklärt Bürgermeister de Bont, bestimme die Lage der Haustür, in welchem Land jemand seinen Wohnsitz habe. "Allerdings müssen in beiden Ländern anteilig Steuern auf die Immobilie gezahlt werden."
Zwei Kirchen, zwei Postämter aber nur eine Feuerwehr
Was sich für Außenseiter kompliziert anhört, ist für die Einwohner der internationalen Stadt Alltag: Sie sind daran gewöhnt, dass es zwei Postämter, zwei Kirchen und zwei Busbetriebe gibt.
In einigen Bereichen machen die Städte auch gemeinsame Sache: Bürgermeister de Bont erklärt, dass sie etwa kürzlich ihre Feuerwehren zu einer internationalen Truppe zusammengelegt haben. Eine Wehr sei mehr als genug für die knapp 10.000 Einwohner.
Neben der gerechten Aufteilung der Finanzierung sei aber die Farbe des Feuerwehrautos ein Problem gewesen, weil die jeweiligen Landesgesetze unterschiedliche Farbtöne vorschreiben. Am Ende wurde der Löschwagen im niederländischen Farbton lackiert – ob das völlig legal sei, wisse er nicht, sagt de Bont: "Wir haben es einfach gemacht."
Mit dieser pragmatischen Herangehensweise leben auch die Bürger der zwei Städte, die eigentlich nur eine ist: So bringen viele Eltern aus den Niederlanden ihre Kinder in Kindergärten in einem belgischen Stadtteil, da in Holland der Staat die Kinderbetreuung erst ab dem vierten Lebensjahr übernimmt, Belgien aber schon bei zweieinhalbjährigen Kindern.
Auch Jugendliche bevorzugen belgische Kneipen, um ein Bier zu trinken: In Holland dürfen sie erst ab 18 Jahren Alkohol trinken, während es ihnen in Belgien schon mit 16 Jahren erlaubt ist.
Geht es um den Einkauf von Lebensmitteln, wird die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen: Aldi und Lidl seien in Holland deutlich günstiger, weiß der belgische Bürgermeister. "Die Leute vergleichen die beiden Länder und nutzen selbstverständlich die Vorteile," sagt de Bont.
Trotz Grenzen keine Hindernisse
Er versteht seine Stadt als Versuchsraum dafür, wie eine fortschreitende Integration in den Beneluxstaaten und der gesamten europäischen Union funktionieren könnte.
Die Innenminister beider Länder kommen bereits manchmal zu Besuch, um sich darüber zu informieren, welche Probleme aufkommen und welche Lösungen de Bont und seine niederländische Kollegin Marjon de Hoon-Veelenturf dafür finden.
Doch der Bürgermeister spricht lieber über seine Ideen für die Zukunft, als über die administrativen Probleme, die er lösen muss: "Wir sind stolze Europäer und möchten mehr Touristen unsere Stadt zeigen, damit sie sehen können, wie eine Welt trotz Grenzen ohne Hindernisse funktionieren kann."
Quellen:
- Interview mit dem Bürgermeister von Baarle-Hertog, Frans de Bont
- Website der Stadt Baarle-Hertog
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