Rund ein Viertel der Ergebnisse aus deutschen, medizinischen Forschungsstudien wird nicht veröffentlicht. Für Forscher der Charité nicht hinnehmbar. Ihr neues Dashboard soll das jetzt ändern.

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Der medizinische Fortschritt hat die Lebenserwartung und -qualität vieler Menschen verbessert, schweren Krankheiten den Garaus gemacht und zuletzt geholfen, der Corona-Pandemie schnell in den Griff zu bekommen.

Bevor neue Behandlungsmethoden oder Arzneimittel angewandt werden dürfen, braucht es jedoch Studien. Forscher der Charité in Berlin fanden jetzt raus, dass deutsche Wissenschaftler die Ergebnisse eben jener Studien nicht immer veröffentlichen.

Klinische Studien sind das "Rückgrat der evidenzbasierten Medizin", heißt es zum Einstieg in der Pressemitteilung des Berlin Institute of Health (BIH) der Charité. Da verwunderte es doch sehr, dass viele Ergebnisse klinischer Studien deutscher Hochschulen entweder gar nicht veröffentlicht werden oder nicht öffentlich zugänglich sind.

Wissenschaftler des BIH QUEST haben es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Transparenz in die deutsche Studienwelt zu bringen. Dafür werteten sie Tausende von Studien aus und untersuchten, ob die Ergebnisse veröffentlicht wurden. Aber warum die Mühe?

Keine Veröffentlichung der Ergebnisse bei einem Viertel der Studien

Oft genug liefern Studien nicht oder nur bedingt die gewünschten Ergebnisse. Manchmal entsteht durch die Studie auch kein neuer Erkenntnisgewinn. Dennoch ist es laut den Forschern wichtig, die Ergebnisse zu veröffentlichen. Denn nur so wissen andere Wissenschaftler, ob an einem Thema bereits geforscht wurde oder sie können ihre Forschung auf den Ergebnissen der Kollegen aufbauen.

Das BIH-QUEST-Team fand jetzt heraus, dass bei einem Viertel der durchgeführten, klinischen Studien an Universitäten und Krankenhäusern in Deutschland selbst Jahre nach Beendigung keine Ergebnisse veröffentlicht wurden. Und das trotz vorhandener Transparenzregeln wie der Deklaration von Helsinki. Dort sind die ethischen Grundsätze für die Forschung an Menschen geregelt.

Aber nicht nur die Deklaration nimmt Forscher in die Pflicht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert bereits nach einem Jahr mindestens eine knappe Veröffentlichung der Ergebnisse und nach zwei Jahren eine Fachpublikation.

Der Leiter des BIH QUEST Center und BIH-Professor für Translationale Bioethik, Daniel Strech, zeigte sich wenig begeistert von der Veröffentlichungsmüdigkeit seiner Kollegen. "Patientinnen und Patienten haben sich zur Studienteilnahme bereit erklärt, um die Wissenschaft und die Medizin voranzubringen. Ihnen gegenüber besteht die Verpflichtung, Studienergebnisse zu veröffentlichen."

Weiter argumentiert Strech in der Pressemitteilung des BIH: "Außerdem ist es aus ethischer Sicht zumindest fragwürdig, Ergebnisse von Studien, die mit Steuermitteln bezahlt wurden, nicht offenzulegen.“

Forscher erstellen Dashboard über veröffentlichte Studien

Die Forscher entschieden sich also "Informationen von etwa 3.000 klinischen Studien zu sammeln, die in einem von zwei etablierten Registern aufgeführt sind und von einer der 35 Universitätsklinika in Deutschland durchgeführt wurden", erklärt Delwen Franzen, Erstautorin der Arbeit und Mitarbeiterin von Strech.

"Vor allen Dingen interessierten uns die Daten zur Transparenz: Hat der Studienleiter oder die Studienleiterin die Studienergebnisse veröffentlicht? Wurde die Studie vor Studienbeginn registriert? Wurde im Register auf die Veröffentlichung der Studienergebnisse hingewiesen? Waren die Ergebnisse öffentlich einsehbar?", erläutert Franzen in der Pressemitteilung der Charité.

Die Ergebnisse der Arbeit des BIH-Teams kann jetzt in einem Dashboard öffentlich eingesehen werden. So können sich auch die Universitäten selbst einen Überblick über ihre Studien und den Veröffentlichungsstatus verschaffen. Erstaunlicherweise wissen die Universitätskliniken oft selbst nicht genau, wie viele ihrer Studien transparent registriert und veröffentlicht sind, heißt es in der Pressemitteilung.

"Wir sind überzeugt, dass die Informationen, die unser Dashboard liefert, bei allen Universitätskliniken etwas zum Guten hinbewegen wird", erklärt Delwen Franzen in der Pressemitteilung.

Vorbild aus England bestätigt Wirksamkeit des Studien-Dashboards

Und dass ihre Arbeit wohl nicht umsonst war, zeigt ein Beispiel aus England. "Eine ebenfalls öffentlich einsehbare Internetseite, erstellt von Kolleginnen und Kollegen der Universität Oxford, informiert seit drei Jahren über die Transparenz von Arzneimittelstudien im dafür zuständigen europäischen Register. Dort lag die Charité weit abgeschlagen auf den hinteren Rängen", sagt Strech.

"Nachdem wir uns mit dem Clinical Study Center der Charité besprochen haben, und dort ein Prozess zur Verbesserung gestartet wurde, konnte man einen regen Anstieg in der Transparenz beobachten: Die Charité liegt mit der Veröffentlichung der Ergebnisse von 97 % ihrer Studien nun ganz vorne! Das hat uns sehr gefreut", resümiert der BIH-Professor.

Eine Verbesserung gibt es inzwischen auch bei Arzneimittelstudien. Hier fragen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) aktiv bei den Studienverantwortlichen nach, wo die Ergebnisse bleiben, wenn sie nicht veröffentlicht werden, heißt es auf "Tagesschau.de". Dadurch würden in 90 Prozent der Fälle die Ergebnisse zeitnah veröffentlicht.

Es gibt auch eine gesetzliche Verpflichtung, Ergebnisse von Arzneimittelstudien zu veröffentlichen. Für andere medizinische Studien gelte das allerdings nicht. Gesundheitswissenschaftler Jörg Schaaber sagte "Tagesschau.de", dass immer noch "eine immense Publikationslücke" vor allem bei Studien zu Medizinprodukten und medizinischen Verfahren, aber auch bei älteren Medikamenten klaffe.

Stefan Sauerland vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat deshalb einen einfachen Vorschlag. Schon jetzt müssen Studien von der Ethikkommission genehmigt werden. Diese könnte dann bewilligte Studien an das BfArM melden. Dort könnte man ein Jahr nach Beendigung der Studie bei den Forschenden nachfragen, wie es um die Ergebnisse steht.

Und bei denen, die keine Studienergebnisse veröffentlichen, könnte die Ethikkommission künftige Studienanträge ablehnen. "Das wäre ein relativ einfaches, aber wirkungsvolles Verfahren", sagt Sauerland.

Verwendete Quellen:

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