Ein Verein behauptet, in Deutschland seien 100.000 Menschen durch die Corona-Impfung gestorben und es habe zwei Millionen Fälle schwerer Nebenwirkungen gegeben. Die Zahlen sind nicht korrekt und werden durch mehrere falsche Belege untermauert.
Auf den ersten Blick sieht die Website des Vereins Ärztlicher Berufsverband Hippokratischer Eid e.V. (ÄBVHE) aus wie die vieler ärztlicher Verbände. Sie ist in hellem Blau gehalten, in der Ecke ist ein Logo, auf dem sich eine Schlange um einen Stab schlängelt – der sogenannte Äskulapstab –, dazu eine Werbung für die Ärztekammerwahl.
Doch der Verein verbreitet auch Desinformation. Eine Pressemitteilung des Vereins vom 2. Januar 2023, die in sozialen Netzwerken verbreitet (hier, hier und hier) und dort viele Tausend Male angezeigt wird, ist voll falscher Informationen. Die zwei zentralen Behauptungen: Durch die Corona-Impfung seien in Deutschland 100.000 Menschen gestorben und es habe zwei Millionen Fälle schwerer Nebenwirkungen gegeben. Beides ist falsch: Der Verband untermauert das mit sieben vermeintlichen Belegen, die teils auf Falschbehauptungen und teils auf Fehlinterpretationen beruhen.
Einige Personen, die in Medienberichten als Mitglieder des Vereines bezeichnet werden, sind Akteure der Corona-skeptischen Szene und fielen immer wieder mit falschen oder unbelegten Behauptungen auf.
Daten von Statistischem Bundesamt bestätigen nicht, was der Verein behauptet
Für die erste Behauptung, infolge der Corona-Impfungen seien 100.000 Menschen gestorben, führt der Verein vier angebliche Belege an:
1. Es gebe eine ständig steigende Übersterblichkeit, die sich durch keine anderen Faktoren erklären lasse.
2. Mit dem Start der Booster-Impfungen und weiteren Auffrischungsimpfungen sei die Übersterblichkeit gestiegen.
3. Eine Analyse von Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zeige, dass die "plötzlichen und unerwarteten Todesfälle" um das Elffache gestiegen seien.
4. Gehirnblutungen kämen kurz nach den Impfungen gehäuft vor, in manchen Arztpraxen sogar hundertmal so häufig.
Wir haben die angeblichen Belege im Einzelnen geprüft.
1. Eine "ständig steigende Übersterblichkeit" sei nur durch die Impfung erklärbar
Dafür gibt es keine Belege. Auf welchen Zeitraum sich der Verein mit dieser Behauptung bezieht, wird nicht ersichtlich. Die erste Impfung gegen Covid-19 erfolgte in Deutschland Ende Dezember 2020. Sowohl 2021 als auch 2022 gab es Monate, in denen die Sterbefallzahlen über denen der Vorjahre lagen, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) in mehreren Veröffentlichungen berichtet. Doch Impfungen werden in den Mitteilungen nicht als Ursache dafür angeführt.
Stattdessen berichtet Destatis von anderen möglichen Gründen – unter anderem Covid-19. So heißt es zum Beispiel in einer Sonderauswertung des Jahres 2021 über die Übersterblichkeit im Januar, dass diese sich "nahezu komplett" mit den gemeldeten Covid-19-Todesfällen decke. Über die hohen Todesfallzahlen gegen Ende des Jahres 2021 schreibt Destatis, die seien nur zum Teil durch Corona-Todesfälle erklärbar. Denkbar wären auch weitere Ursachen, etwa eine Dunkelziffer an Corona-Todesfällen, eine zeitlich verschobene Grippewelle und Folgen verschobener Operationen.
2022 war der Oktober mit einer Übersterblichkeit von 19 Prozent besonders auffällig. Als mögliche Ursachen dafür nennt Destatis die Zahl der Corona-Todesfälle in der Mitte des Monats, das könne aber nur einen Teil der Sterbefälle erklären. Geringfügig würde auch die Alterung der Bevölkerung eine Rolle spielen. In welchem Ausmaß weitere Faktoren zu den erhöhten Sterbefallzahlen im Oktober beigetragen hätten, könne man derzeit nicht einschätzen.
Dass die Corona-Impfung schuld an der Übersterblichkeit sei – wie der ÄBVHE behauptet – schreibt Destatis nicht. Im Gegenteil: Auf Anfrage verweist Felix zur Nieden, zuständig für Demografie und Sterbefallzahlen im Statistischen Bundesamt, auf die Todesursachenstatistik. In dieser werden die Auswirkungen von Corona-Impfungen mit einem eigenen Code als Todesursache erfasst. Sie verzeichnet für das Jahr 2021 218 derartige Fälle. Zur Nieden schreibt uns: "Bei dieser Größenordnung sind Spekulationen über einen Zusammenhang von Todesfällen infolge der Impfung zur Entwicklung der Gesamtsterbefallzahlen aus unserer Sicht nicht angebracht. Die Fallzahlen sind dazu deutlich zu niedrig".
2. Durch die Booster-Impfungen würde die Übersterblichkeit steigen
Dafür gibt es keine Belege. Der Verein konstruiert Zusammenhänge, die so nicht nachgewiesen sind. Mit dem Start der Booster-Impfungen und weiteren Auffrischungsimpfungen sei die Übersterblichkeit "sprunghaft" gestiegen, das beweise "die Kausalität", schreibt der ÄBVHE. Doch die Tatsache, dass zwei Sachverhalte gleichzeitig auftreten, bedeutet noch nicht, dass eine davon die Ursache der anderen ist. Ein Beispiel: Wenn im Sommer der Umsatz von Eisständen steigt und gleichzeitig auch die Zahl der Sonnenbrände, heißt das noch nicht, dass Eis Sonnenbrand verursacht.
In der Wissenschaft wird dieser Unterschied durch die Begriffe "Korrelation" und "Kausalität" klargemacht. Wie die Universität Duisburg-Essen und die Universität Leipzig erklären, spricht man von einer "Korrelation", wenn zwei Sachverhalte zusammen auftreten. Das heißt aber noch nicht, dass einer davon den anderen verursacht. Geht es um Ursache und Wirkung, spricht man von einer Kausalität.
Mit Bezug auf steigende Sterbefallzahlen und Covid-19-Impfungen erklärt das Team des BR-Faktenfuchs in diesem Zusammenhang hier ausführlich den Begriff der "Nonsens-Korrelation". So würden laut Katharina Schüller von der Münchner Statistik-Beratung Stat-Up solche falschen Kausalzusammenhänge häufig bei Zeitreihen – wie eben der Entwicklung der Übersterblichkeit – hergestellt.
Davon abgesehen stimmt es nicht, dass die Übersterblichkeit parallel zu den Booster-Impfungen stets gestiegen ist – das Datenmaterial dazu liefert ein uneinheitliches Bild. Laut Impfdashboard wurden in Deutschland die meisten Auffrischungsimpfungen zwischen November 2021 und Februar 2022 verabreicht, die Zahl der Zweit-Auffrischungen stieg ab März 2022 an.
Tatsächlich gab es im November und Dezember 2021 eine erhöhte Übersterblichkeit, das ergab eine Auswertung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Doch: Eine noch höhere Übersterblichkeit gab es bereits im Januar 2021, damals waren in ganz Deutschland noch nicht einmal zwei Millionen Menschen grundimmunisiert, Auffrischungen gab es noch gar keine. Zum Jahresanfang 2022, als weiterhin häufig aufgefrischt wurde, war die Übersterblichkeit nicht auffällig.
Paul-Ehrlich-Institut beobachtet Sicherheit der Impfstoffe
In der Pressemitteilung des ÄBVHE heißt es, die angebliche Kausalität werde auch dadurch bewiesen, dass es in allen Altersgruppen "deutlich verschiedene Anstiege der Übersterblichkeit" gebe, die jeweils mit dem Beginn der Auffrischungs- oder einer vierten Impfung zusammenfielen. Dafür gibt es keine Belege.
Weil vor allem die Gruppe der Menschen über 60 Jahren geboostert ist, haben wir alle Sterbefälle in dieser Altersgruppe in der ersten Phase der Auffrischungsimpfungen (November 2021 bis Februar 2022) addiert und mit den Sterbefällen im selben Zeitraum im Vorjahr verglichen. Das Ergebnis: Insgesamt starben im Winter 2021/22 etwa 15.000 weniger ältere Menschen als im Winter davor. In der Phase der zweiten Auffrischungen war das umgekehrt: Von April bis Dezember 2022 starben etwa 46.000 mehr Über-60-Jährige als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) überwacht in Deutschland die Sicherheit der Corona-Impfstoffe und veröffentlicht dazu Berichte. Im aktuellsten von Dezember 2022 heißt es: "Auch wenn Todesfälle in zeitlicher Nähe zur der Covid-19-Impfung weltweit berichtet wurden, wurde in mehreren Studien gezeigt, dass Covid-19-Impfungen insgesamt und insbesondere auch bei älteren Personen nicht zu einer Übersterblichkeit führen."
Das PEI zitiert dazu mehrere Studien. Für eine davon wurde in Norwegen untersucht, ob ältere Menschen infolge der Corona-Impfung gestorben sind. Es heißt im Fazit: Nach Abzug verschiedener soziodemografischer und klinischer Merkmale habe man "keine Hinweise auf eine erhöhte kurzfristige Sterblichkeit bei geimpften Personen in der älteren Bevölkerung" gefunden. Und in einer Beobachtungsstudie mit fast 10.000 Patientinnen und Patienten, die mit einer Corona-Erkrankung im Krankenhaus behandelt wurden, kamen Forschende zu dem Schluss, dass die Impfung "mit einer geringeren stationären Sterblichkeit verbunden" war.
3. Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung würden einen elffachen Anstieg der Todesfälle durch die Impfung zeigen
Diese Behauptung ist falsch. Der Verein zitiert in diesem Zusammenhang Zahlen, die bereits widerlegt wurden: In der Pressemeldung heißt es, die vielen Todesfälle durch Impfungen ergäben sich auch aus einer Analyse von Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Demnach seien die "plötzlichen und unerwarteten Todesfälle" um ein Elffaches gestiegen.
Dieser Teil der Behauptung bezieht sich auf eine Präsentation, die die Bundes-AfD im Dezember 2022 veröffentlichte. Dabei geht es um Daten, die die AfD von der KBV angefordert hatte. Eine Folie der AfD-Präsentation trägt den Titel "Tod", darauf ist ein Säulendiagramm, das einen Sprung von 830 Fällen im Jahr 2020 auf 9.809 Fälle im Jahr 2021 zeigt – also auf das 11,8-fache.
Doch diese Analyse ist in zweierlei Hinsicht falsch, wie wir bereits im Dezember 2022 ausführlich berichteten. Erstens hat die AfD einen unvollständigen Datensatz erhalten. Und zweitens wies das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) darauf hin, dass es sich bei den Daten um Abrechnungsdaten der KBV handelt, die überhaupt keine Rückschlüsse auf Todesfälle oder die Entwicklung bestimmter Todesursachen zulassen. Stattdessen enthalten die Daten Codes für medizinische Diagnosen, mit denen Ärzte zum Beispiel ihre Leistungen – sprich Behandlungen von Patienten – bei den Krankenkassen abrechnen. In einer Pressemeldung des ZI vom 13. Dezember heißt es: "Die Aufregung um möglicherweise gestiegene Todesfälle 2021 entbehrt jeder Grundlage."
4. Gehirnblutungen kämen kurz nach den Corona-Impfungen gehäuft vor
Auch dafür gibt es keine Belege. Konkret heißt es in der Pressemitteilung des ÄBVHE, es sei zu einer "extremen Häufung" von Gehirnblutungen gekommen, die für die angeblichen 100.000 Todesfälle mitverantwortlich sein sollen. Diese sollen vermehrt bei vorher gesunden Personen aufgetreten sein, "in manchen Arztpraxen sogar mit Faktor 1:100".
Hirnblutungen spielten eine Rolle rund um die Aussetzung des Corona-Impfstoffes von AstraZeneca. Das PEI schreibt in einem FAQ, es seien mit Stand Mitte März 2021 "in zeitlichem Zusammenhang" mit einer AstraZeneca-Impfung sechs Fälle von Sinusvenenthrombosen aufgetreten. Eine weitere Person habe eine "Hirnblutungen bei Mangel an Blutplättchen und Thrombosen" gehabt. Drei der sieben Personen seien gestorben. Weil ein Zusammenhang mit der Impfung "nicht unplausibel" sei, habe das PEI empfohlen, die Impfungen mit AstraZeneca auszusetzen, das Bundesministerium für Gesundheit ist dem gefolgt.
Im September 2022 führte das PEI in einer Tabelle an, dass insgesamt 383 Fälle von Hirnblutungen als unerwünschte Reaktionen seit Beginn der Corona-Impfungen gemeldet worden seien. In Deutschland erleiden laut der Deutschen Hirnstiftung pro Jahr etwa 31.000 Personen eine Hirnblutung. Von einer Verhundertfachung im Zusammenhang mit Corona-Impfungen, wie sie in dem Artikel zumindest für einzelne Arztpraxen berichtet wird, kann daher nicht die Rede sein. Belege, um welche Arztpraxen es sich konkret handeln soll, liefert der Verein nicht.
Zwischenfazit: Es ist völlig unklar, wie der Ärzteverband in seinen Berechnungen auf 100.000 zusätzliche Todesfälle durch die Corona-Impfungen kommt. Quellen wurden falsch interpretiert und – im Fall der KBV-Daten – falsche Quellen herangezogen, teilweise fehlen Quellen gänzlich. Offizielle Zahlen zu Todesfällen nach einer Corona-Impfung bewegen sich in einer viel niedrigeren Größenordnung. Im Jahr 2021 wurden 218 Fälle gezählt, für das Jahr 2022 liegen diese Zahlen noch nicht vor.
Verein belegt angebliche Impfnebenwirkungen mit fehlerhaften Quellen
Neben den angeblichen zusätzlichen 100.000 Todesfällen soll es laut dem ÄBVHE zu zwei Millionen Fällen von "schweren Impfnebenwirkungen" gekommen sein. Dafür führt der Verein mehrere vermeintliche Belege an:
1. Erhebungen des israelischen Gesundheitsministeriums nach den Booster-Impfungen sollen die Zunahme von neurologischen Neuerkrankungen und Menstruationsstörungen bei Frauen zeigen.
2. Abrechnungsdaten des US-Militärs sollen einen Anstieg der "neurologischen Fälle" um den Faktor elf belegen, Herzinfarkte und Krebs kämen dreimal häufiger vor.
3. Daten der KBV würden zwei Millionen Impfnebenwirkungen für das Jahr 2021 belegen.
Auch diese vermeintlichen Belege betrachten wir im Folgenden einzeln.
1. Daten aus Israel zeigten eine Zunahme von neurologischen Neuerkrankungen und Menstruationsstörungen
Das ist teilweise falsch. Konkret heißt es in der Mitteilung des Vereins, eine Erhebung des israelischen Gesundheitsministeriums vom 10. Februar 2022 habe gezeigt, dass nach den Booster-Impfungen 4,5 Prozent der Personen neurologische Neuerkrankungen gehabt und dass zehn Prozent der Frauen von Menstruationsstörungen berichtet hätten.
Wir fanden auf der Website des israelischen Gesundheitsministeriums eine Pressemeldung vom 9. Februar 2022 mit dem Titel "Gemeldete unerwünschte Ereignisse nach Verabreichung der dritten (Booster-)Dosis des Covid-19-Impfstoffs von Pfizer". Es geht dabei um eine Umfrage unter 2.049 Personen, 21 bis 30 Tage nachdem sie die dritte Dosis des Pfizer-Impfstoffes bekommen haben.
Tatsächlich haben demnach etwa zehn Prozent der Frauen unter 54 Jahren von "Nebenwirkungen wie Menstruationsstörungen" berichtet. Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (Prac) bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) beobachtet dieses Thema. Im Juni 2022 hieß es dazu in einer Meldung, es sei bislang kein kausaler Zusammenhang zwischen den mRNA-Impfstoffen und einem Ausbleiben der Menstruation gefunden worden.
Bezüglich der neurologischen Erkrankungen deckt sich die Angabe aber nicht mit der des Ärzteverbands: Laut der Pressemeldung des israelischen Gesundheitsministeriums haben vier Prozent von neurologischen, allergischen und anderen Nebenwirkungen berichtet. Wie hoch der Anteil der neurologischen Neuerkrankungen allein betrachtet war, geht daraus also nicht hervor.
In der israelischen Pressemeldung heißt es auch: "Bei den meisten gemeldeten Nebenwirkungen (...) handelte es sich um (...) Nebenwirkungen, die nach ein bis drei Tagen abklangen." Die Daten würden zudem darauf hindeuten, dass die Nebenwirkungen der dritten Impfung nicht schlimmer seien als jene bei den ersten beiden Impfungen, heißt es weiter.
Das Science Media Center hat dazu in einem Factsheet Daten aus den jeweiligen Zulassungsstudien der Impfstoffe aufbereitet. Demnach seien bei dem Impfstoff von Astrazeneca in der Gruppe der Geimpften und in der Gruppe jener, die mit einem Placebo-Impfstoff geimpft wurden, fast gleich viele neurologische Nebenwirkungen gemeldet worden, nämlich jeweils von 0,4 und 0,5 Prozent der Befragten. Bei dem Impfstoff von Pfizer/Biontech sei kein eindeutiger Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen erkennbar.
2. Daten des US-Militärs sollen einen Anstieg von neurologischen Erkrankungen, Herzinfarkten und Krebs belegen
Diese Behauptung ist falsch. Der Verein führt dafür "Abrechnungsdaten des US-Militärs" aus dem Januar 2022 an, die einen "Anstieg der neurologischen Fälle um den Faktor elf und den der Herzinfarkte und von Krebs um den Faktor drei" zeigen würden.
Wir haben diese Behauptung bereits im Februar 2022 in einem Faktencheck überprüft – ebenso wie die Faktencheckredaktion Politfact aus den USA. Demnach sind die Zahlen von einem Anwalt aus Ohio verbreitet worden. Der wiederum will sie von Whistleblowern erhalten haben, die sie aus einer medizinischen Datenbank des US-Militärs beschafft hätten.
Infolgedessen hatte die Überwachungsabteilung der Streitkräfte der Verteidigungsgesundheitsbehörde die Daten überprüft, wie uns ein Sprecher des US-Militärs damals mitteilte. Man habe festgestellt, dass zwar die Zahlen für 2021 korrekt, aber die Vergleichszahlen aus 2016 bis 2020 unvollständig gewesen seien. Der vermeintliche extreme Anstieg von bestimmten Diagnosen sei also gar keiner. Man habe die Datenbank offline genommen, um die Daten zu korrigieren. Dieselbe Information bekam Reuters auf Anfrage von einer Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums.
3. Zahlen der KBV sollen zwei Millionen Impfnebenwirkungen für 2021 belegen
Dieser Behauptung fehlt relevanter Kontext. Als Beleg werden noch einmal Daten der KBV angeführt. Sie sollen vom 26. Juni 2022 stammen und belegen, dass 2021 über zwei Millionen Impfnebenwirkungen nachgewiesen worden seien. Auch in diesem Fall geht es um eine Anfrage der AfD an den KBV. Diese Anfrage ergab laut AfD, dass im Jahr 2021 fast 2,5 Millionen Impfnebenwirkungen von Vertragsärztinnen und -ärzten registriert worden seien – eine "beängstigende" Zahl, wie der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert dazu zitiert wird.
Einen Tag später reagiert der KBV mit einer Stellungnahme und distanzierte sich "aufs Schärfste" von der Interpretation Sicherts. Die 2,5 Millionen Nebenwirkungen seien "keineswegs unerwartet und dramatisch". Denn: Dabei würden auch typische Impf-Begleiterscheinungen wie eine Rötung oder leichte Schmerzen an der Einstichstelle mitgezählt werden, die den größten Anteil dieser registrierten Komplikationen ausmachten.
Daraus lässt sich also nicht ableiten, dass es deutschlandweit über zwei Millionen schwere Nebenwirkungen seit Impfbeginn gab. Laut PEI wurden bis Mitte 2022 323.684 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen gemeldet. Pro 1.000 verimpften Dosen wurden 0,3 Mal vermutete schwerwiegende Nebenwirkungen gemeldet. Dazu zählen zum Beispiel Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündungen. Bei ernsten und langfristigen Komplikationen durch die Impfung kann eine Person in Deutschland eine Entschädigung beantragen. 253 solcher Anträge wurden laut Medienberichten bislang von den Bundesländern anerkannt, 1.800 abgelehnt.
Zwischenfazit: Für die angeblichen zwei Millionen "schweren Impfschäden" gibt es also ebenfalls keine Belege. Daten aus den USA dazu erwiesen sich bereits vor einem Jahr als falsch, Daten aus Israel werden nur teilweise richtig wiedergegeben. Und bei Daten aus Deutschland werden wenige schwere und häufiger auftretende leichte Impfreaktionen miteinander gleichgesetzt.
Vereinsmitglieder sind teilweise häufiger mit der Verbreitung von Falschinformationen aufgefallen
Der Großteil der Quellen, die der Ärztliche Berufsverband Hippokratischer Eid e.V. angibt, ist also falsch oder wurde falsch interpretiert. Wer aber steckt hinter diesem Verein?
Laut einem aktuellen Vereinsregisterauszug wurde er am 11. Juni 2022 gegründet und hat seinen Sitz in Hamburg. In der Satzung heißt es, Vereinszweck sei "der Erhalt der menschlichen Selbstbestimmung und Selbstbestimmungsrechte im Gesundheitswesen, (...) der freien Impfentscheidung, diagnostischen wie therapeutischen Maßnahmen und bei allen Eingriffen in den Körper". Und: "Kein Mensch darf zu einer Prophylaxe oder Therapie gezwungen oder genötigt werden."
Auf der Seite selbst finden sich nur wenige Namen, aber mehrere coronakritische Websites berichteten über die Vereinsgründung und zählen Mitglieder auf. Darunter ist etwa Andreas Sönnichsen. Der verlor laut Medienberichten 2021 seine Anstellung als Professor an der Medizinischen Universität Wien, weil er sich nicht an die dortigen Corona-Maßnahmen gehalten haben soll. Schon zuvor distanzierte sich die Universität von Aussagen Sönnichsens. Mittlerweile ist er nach Parteiangaben Mitglied von Die Basis, einer Partei, die im Umfeld der Querdenken-Bewegung entstand. Sie fiel in der Vergangenheit mehrfach mit der Verbreitung von Desinformation auf – nicht nur, aber auch zum Thema Corona.
Auch andere Vereinsmitglieder sind keine Unbekannten in der Szene. So etwa Wolfgang Wodarg, der zum Beispiel ohne Belege verbreitete, die Corona-Impfung würde unfruchtbar machen und fälschlicherweise behauptete, die Corona-Impfung würde Menschen genetisch modifizieren.
Auch Homöopath Rolf Kron, der als Mitglied in Berichten genannt wird, verbreitete Informationen, die wir in Faktenchecks als größtenteils falsch bewerteten.
Ein weiteres Vereinsmitglied ist Sucharit Bhakdi, eine bekannte Größe der Querdenken-Bewegung. Der ehemalige Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universitätsmedizin Mainz war im Mai 2020 Mitbegründer des Vereins "Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie " (MWGFD e.V), der etwa Kontakte für dubiose Maskenatteste ermittelte. Wir haben auch immer wieder von Bhakdi aufgestellte Behauptungen überprüft, denen Kontext fehlte, die unbelegt oder völlig falsch waren.
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