- Viele Juden und Muslime legen Wert auf Fleisch, das koscher beziehungsweise halal ist. Die Tiere müssen dazu ausbluten - traditionell ohne Betäubung. Der Europäische Gerichtshof hat jetzt jedoch klar gemacht: Staaten haben das Recht, diese Praxis zu verbieten.
- Während Tierschützer jubeln, kritisieren Vertreter der beiden Religionen das Urteil.
- Dass landesweite Verbote auch einen Haken haben, zeigt sich in Deutschland.
EU-Staaten dürfen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch für rituelle Schlachtungen eine Betäubung des Tieres vorschreiben. Rituelle Schlachtungen als solche würden nicht verboten und damit werde die Religionsfreiheit geachtet, befanden die Richter des höchsten EU-Gerichts am Donnerstag.
Das Urteil kommt überraschend, da ein EuGH-Gutachter kürzlich noch zu dem Schluss gekommen war, derartige Vorschriften widersprächen dem Recht auf Religionsfreiheit. Religionsvertreter kritisierten das Urteil scharf, Tierschützer begrüßten es.
Zentralrat der Juden kritisiert Urteil
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach von einem Angriff auf die Religionsfreiheit. Man hoffe, dass es keine Nachahmer in Europa finde und andere EU-Staaten die religiöse Schlachtung weiterhin ermöglichten. Bini Guttmann, Präsident der Europäischen Union jüdischer Studenten, warnte gar, die Ermöglichung eines Schächt-Verbots "könnte jüdisches Leben, so wie wir es kennen, langfristig unmöglich machen".
Verhandelt wurde ein Rechtsstreit aus Belgien. Dort hatte die Region Flandern die Schlachtung ohne Betäubung 2017 aus Tierschutzgründen verboten. Jüdische und muslimische Verbände klagten dagegen.
In beiden Religionen gibt es Vorschriften zum Schlachten ohne Betäubung - dem Schächten, um Fleisch koscher beziehungsweise halal herzustellen. Den Tieren wird dabei mit einem Schnitt Speiseröhre, Luftröhre und Halsschlagader durchtrennt; sie bluten dann aus.
Viele Muslime akzeptieren gewisse Arten der Betäubung
Der Deutsche Tierschutzbund begrüßte das EuGH-Urteil: Es sei gut, dass daraus hervorgehe, dass es Wege gebe, sowohl der Religionsfreiheit als auch dem Tierschutz gerecht zu werden. Oftmals werde es so dargestellt, "dass beides nicht in Einklang zu bringen ist".
In ihrem Statement verwiesen die Tierschützer auf Betäubungsarten, die bereits von vielen Muslimen akzeptiert würden, so zum Beispiel die Elektrokurzzeitbetäubung. Sie sorgt dafür, dass das Tier den Schächtschnitt nicht spürt. Das Herz des Tieres schlägt aber weiter und es blutet genau so aus wie ein nicht betäubtes Tier.
Dem Urteil vom Donnerstag zufolge lässt das EU-Recht zwar in Ausnahmefällen und im Sinne der Religionsfreiheit die rituelle Schlachtung ohne vorherige Betäubung zu. Die EU-Staaten könnten aber dennoch dazu verpflichten, die Tiere zu betäuben.
Schächten in Deutschland quasi verboten
Die Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER) befürchtet nach dem Urteil einen "Dominoeffekt" und dass weitere Staaten weiterführende Verbote oder Einschränkungen erlassen, und so die Religionsausübung und insgesamt die Religionsfreiheit weiter erschwerten. In Ländern wie Frankreich oder Spanien ist das Schächten der CER zufolge noch erlaubt.
In anderen EU-Staaten wie Schweden oder Dänemark ist es hingegen verboten. In Deutschland können aus religiösen Gründen zwar Ausnahmen erteilt werden. Dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) zufolge seien solche Ausnahmeregelungen in einigen Teilen der Bundesrepublik aber schon nahezu unmöglich. Grund sei eine Zunahme an Auflagen, da hierzulande Tierschutz schon länger stärker berücksichtigt werde.
Muslime und Juden greifen vermehrt auf Importe zurück
ZMD-Vorsitzender Aiman Mazyek beobachte deswegen, dass einerseits immer mehr geschächtetes Fleisch importiert und andererseits immer wieder inoffiziell geschächtet werde. "Und das wollen wir eigentlich nicht." Dass ein Urteil bewerte, was als Teil eines religiösen Ritus möglich ist oder nicht, sei "der falsche Weg", kritisierte Mazyek. Veränderungen sollten durch die Religionsgemeinschaften selbst und nicht von außen erfolgen. "Der Ritus ist jahrtausendalter Teil jüdischen und muslimischen Lebens."
Auf ein Problem für Verbraucher weißt die Verbraucherzentrale hin: Der Begriff halal ist in der EU lebensmittelrechtlich nicht geschützt. Er kursieren zwar jede Menge entsprechender Siegel. Welche Kriterien bei der Tierhaltung und Schlachtung zugrunde lagen, sei für den Endkunden jedoch meist nicht zu erkennen. (dpa/mcf)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.