Espen Egil, Chefredakteur von Norwegens größter Tageszeitung, ist angefressen. Auslöser ist ein Posting auf der Facebook-Seite von "Aftenposten", welches von der Social-Media-Plattform gelöscht worden war. Der Grund für diese "Zensur" ist in der Tat grotesk, weshalb Egil sich mit einem offenen Brief an Facebook-Chef Mark Zuckerberg richtet.
Vor einigen Wochen hatte der renommierte norwegische Journalist Tom Egeland auf Facebook einen Beitrag gepostet. Darin ging es in sieben Pressefotos um die historische Wandlung der Kriegsführung.
Weltberühmtes Foto mit Kim Phuc - zu nackt
Eines der Fotos war das weltberühmte Motiv aus dem Vietnamkrieg, welches die damals neunjährige Vietnamesin Kim Phuc zeigt, wie sie nackt und schreiend mit anderen Kindern nach einem Napalm-Angriff der südvietnamesischen Luftwaffe aus ihrem zerstörten Heimatdorf flieht.
Das Bild des Pressefotografen Nick Ut gilt als eines der bekanntesten Kriegsmotive der Welt und wurde 1972 zum Pressefoto des Jahres gewählt. Die historische Bedeutung des Motives hatte für Facebook aber weniger Relevanz als die Tatsache, dass Kim Phuc darauf nackt zu sehen ist.
Die Plattform löschte nicht nur den Beitrag und eine kritische User-Debatte in den Kommentaren über die Brutalität des Krieges, sondern sperrte Egeland auch noch für 24 Stunden.
Die norwegische Zeitung "Aftenposten" berichtete über diesen Fall und stellte den Beitrag mit dem historischen Foto ebenfalls auf seine Facebook-Seite. Am Mittwochmorgen erhielt die Redaktion dann eine E-Mail des Hamburger Facebook-Büros. Darin wurde "Aftenposten" aufgefordert, das Bild umgehend zu entfernen oder die nackte Kim Phuc auf dem Foto zu verpixeln.
Eine Antwort und Stellungnahme der Zeitung wartete Facebook nicht lange ab. Keine 24 Stunden später löschte das Unternehmen eigenmächtig den Beitrag und das Bild. Eine Farce, findet "Aftenposten"-Chefredakteur Espen Egil und wendet sich in einem offenen Brief an Facebook-Chef Mark Zuckerberg.
Klare Worte an Facebook-Boss Mark Zuckerberg
"Lieber
Er mache sich zwar keine Illusion, dass Zuckerberg seinen Brief auch wirklich lesen werde, so Egil. Dennoch wolle er sich zu dem Löschvorgang äußern, denn er sei darüber "verärgert und enttäuscht". Er habe sogar "Angst vor dem, was Sie einer tragenden Säule unserer demokratischen Gesellschaft antun".
Der Journalist zielt auf den enormen Einfluss, den Facebook auf die öffentliche Meinungsbildung habe. "Hören Sie zu, Mark, das hier ist ernst", mahnt Egil. "Zuerst erschaffen Sie Regeln, die nicht zwischen Kinderpornografie und weltberühmter Kriegsfotografie unterscheiden. Dann wenden Sie diese Regeln an, ohne die Möglichkeit einer Begründung einzuräumen. Letztendlich zensieren Sie dann auch noch Kritik an und die Diskussion über dieses Vorgehen - Sie bestrafen die Person, die es sich traut, Kritik zu äußern."
"Lieber Mark, Sie missbrauchen Ihre Macht!"
Facebook habe einen großen Nutzen für Menschen in aller Welt, räumt Egil ein. Es verbreite und teile Informationen und Diskussionen, ermögliche globale Kontaktpflege. "Aber, lieber Mark, Sie sind der mächtigste Herausgeber der Welt. Obwohl ich der Chefredakteur von Norwegens größter Tageszeitung bin, beschneiden Sie mich in meinen redaktionellen Pflichten. Ich bin der Meinung, dass Sie Ihre Macht missbrauchen und bezweifle, dass Sie gründlich darüber nachdenken."
Das Foto der leidenden neunjährigen Kim Phuc sei Teil einer freien und unabhängigen Berichterstattung der Medien und auch in der heutigen Zeit noch von großer Symbolkraft, um die Gesellschaft an die Schrecken des Krieges zu erinnern. Egil appelliert an Facebook-Chef Zuckerberg, sich das Leid der Zivilbevölkerung in aktuellen Krisenregionen vor Augen zu führen.
Egil: Facebook fördert damit die Dummheit
Indem Facebook das Motiv der nackten Kim Phuc, der das Napalm damals die Kleidung vom Leib gebrannt hatte, mit Kinderpornografie gleichsetze, verhindere das Unternehmen diese wichtige Erinnerung an die Grausamkeiten des Krieges.
Facebook wolle "die Welt offener und vernetzter" gestalten, verweist Egil auf das Leitmotiv Zuckerbergs und spottet, dass Facebook diesen Anspruch bestenfalls oberflächlich verfolge. "Wenn Sie nicht unterscheiden zwischen Kinderpornografie und Kriegsfotografie, dann fördern Sie damit nur die Dummheit anstatt die Menschen enger zusammen zu bringen."
Er habe Angst, dass "das wichtigste Medium der Welt die Freiheit beschränkt, anstatt sie auszuweiten". Er hoffe, beendet der Journalist seinen Brief an Mark Zuckerberg, dass Facebook seine Möglichkeiten zukünftig auf sinnvollere Weise nutze.
Auch in Deutschland war Facebook zuletzt stark in die Kritik geraten, weil das Unternehmen zwar vergleichsweise harmlose Nacktbilder löscht, aber nur wenig gegen rassistische und menschenverachtende Hass-Kommentare unternimmt.
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