Wenn es um den Mangel an Pflegekräften geht, denken die meisten Menschen sofort an Altenheime. Aber auch in den Krankenhäusern fehlen Pflegerinnen und Pfleger. Der Sparkurs der vergangenen Jahre hat vor allem viele Kinderstationen in eine schlimme Lage gebracht.

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Ende des vergangenen Jahres häuften sich die Meldungen über Kinderstationen und -kliniken, die kranke Kinder abweisen mussten oder sogar ganz schließen müssen. Doch die Entwicklung gibt es schon länger: dass es vor allem in der Kinderpflege an Mitarbeitern fehlt und deswegen Betten leer bleiben.

Welche dramatischen Folgen das für einige Kinder und deren Eltern haben kann, beschrieb kürzlich unter anderem die ARD-Dokumentation "Kein Geld für kranke Kinder".

Nur die Hälfte der Betten in Betrieb

Besonders dramatisch stellt sich demnach die Situation in München dar. Die Stadt ist eigentlich gut ausgestattet, es gibt alleine vier Kinderkliniken. Trotzdem kommt es vor, dass selbst bei Notfällen keine dieser Kliniken ein freies Bett zur Verfügung stellen kann.

Dann müssen Betroffene unter Umständen bis nach Augsburg fahren. "Das ist etwas, das früher nie vorgekommen ist und das in den letzten Jahren zunehmend häufig passiert", sagte Florian Hoffmann, Arzt am Haunerschen Kinderspital, der ARD.

Im Haunerschen Kinderspital wurden zum Zeitpunkt des Drehs nur 8 von 16 Plätzen auf der Kinder-Intensivstation betrieben. Ein Chefarzt in der Kinderklinik Garmisch-Partenkirchen berichtete: "Speziell in den Wintermonaten fährt praktisch jeden Tag ein Krankenwagen von München nach Garmisch-Partenkirchen, weil schlichtweg die Bettenkapazität in München nicht ausreicht."

München ist aber nicht das einzige Beispiel. Ähnliches wird auch aus Berlin und Hannover berichtet, mitunter auch aus Krankenhäusern auf dem Land. Ein Notfallarzt twitterte im Dezember: "Wir haben früher viele Herzkinder zur OP nach München oder Hannover verlegt. Mittlerweile gibt es ständig Absagen. (…) Die Kinder sterben dann irgendwann einen leisen Tod."

Es fehlt an Personal

Der Grund ist meist derselbe: Es fehlt an Personal, vor allem an Pflegepersonal. Die Ursachen hierfür sind wiederum vielfältig. Manche Pflegerinnen und Pfleger kündigen, weil sie sich in ihrem Beruf aufgerieben haben.

Einige junge Menschen, die sich für den Beruf interessieren, finden die Bezahlung und die Arbeitsumstände zu schlecht. Vor allem aber fehlt Personal, weil viele Krankenhäuser in den vergangenen Jahren einen harten Sparkurs fuhren und zu wenig Pfleger ausgebildet haben.

Für viele Experten ist das der Hauptgrund für die Misere - und der Ausgangspunkt die Einführung der Fallpauschalen im Jahr 2004. Das System löste die Tagessätze ab, die Krankenkassen bezahlten nicht mehr pro Tag an die Krankenhäuser, sondern pro "Fall", also pro Patient.

Das System honoriert schnelle Entlassungen

Dabei wird nach Diagnosen unterschieden, insgesamt gibt es mehr als 1.300 sogenannte Diagnosis Related Groups (DRGs). Je nachdem, welche Erkrankung diagnostiziert wird, zahlen die Kassen einen bestimmten Betrag.

Das System soll fairer sein, damit zum Beispiel schwer Kranke mehr Budget bekommen als Patienten mit einer leichteren Erkrankung. Grundlage ist eine einzige Diagnose. Bei komplexen Erkrankungen ist alleine das schon ein Problem.

Hinzu kommt, dass das System vor allem Prozeduren wie zum Beispiel Operationen entlohnt und sich kaum am Betreuungsaufwand orientiert. Zudem honoriert das System, wenn ein Patient möglichst schnell wieder aus dem Krankenhaus entlassen wird und der nächste kommt. Denn mehr Fälle bedeuten mehr Geld.

Behandlung von Kindern braucht mehr Zeit

Diese Rechnung gehe aber in der Kinder- und Jugendmedizin nicht auf, sagen Experten. Kinder stellen andere Anforderungen. Sie zu behandeln braucht mehr Zeit, mehr Aufmerksamkeit, Ansprache und Zuspruch. Auch sind ihre Fälle vielfältiger und daher schwieriger standardisiert abzubilden.

Außerdem ist die Notfallquote höher als bei Erwachsenen, auch die Belegung der Betten schwanke stärker. Zudem sei die Auslastung nicht so gut planbar, sagt die Kinderkrankenschwester Birgit Pätzmann-Sietas im Gespräch mit unserer Redaktion.

Dennoch müssen Kinderstationen und -kliniken für alle möglichen Fälle medizinische Kompetenz und Ausrüstung vorhalten, mit hohen Fixkosten. Die stationäre Kinder- und Jugendmedizin versorgt das winzige Frühchen genauso wie den schon fast Erwachsenen, behandelt akute Notfälle ebenso wie chronisch kranke Kinder.

In der Pädiatrie ist die Bandbreite der Erkrankungen enorm groß und die Erkrankungen selbst häufig komplex. In einem System, das die Versorgung von Standardfällen besonders entlohnt, ist das ein Problem - zumal wenn die Zahl der Patienten im Verhältnis geringer ist als in anderen Abteilungen (der Anteil der Kinder an den Patienten liegt hierzulande bei rund fünf Prozent).

Pädiatrische Abteilungen extra zum Sparen gezwungen

Die Folge: Kinderstationen und -kliniken sind häufig defizitär. "Wir haben fast jedes Jahr ein Defizit und das wird uns als Druck rückgemeldet. Wir müssen in besonderem Maße zeigen, dass wir uns bemühen, das Defizit abzubauen", sagt die ärztliche Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Tübingen, Ingeborg Krägeloh-Mann, unserer Redaktion.

Pädiatrische Abteilungen sind also nochmal extra zum Sparen gezwungen - mit großen Auswirkungen auch auf den Pflegebereich. "Als das System der Fallpauschalen eingeführt wurde, haben die Krankenhäuser vor allem am Pflegepersonal gespart. Vor allem, weil es möglich war, in dieser größten Berufsgruppe des Gesundheitswesens die größten Einsparpotenziale vorzunehmen", sagt Pätzmann-Sietas, die auch Mitglied des Präsidiums des Deutschen Pflegerates ist.

In der Folge wurden weniger Pflegerinnen und Pfleger ausgebildet und eingestellt. Waren 2004 noch rund 39.000 Pflegerinnen und Pfleger in der Kinder- und Jugendmedizin, sind es nun etwa 37.700. Bei einer Patientenzahl, die laut der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) im gleichen Zeitraum von 850.000 auf über eine Million stieg.

Der Personalmangel macht den Beruf nicht gerade attraktiver. Er bedeutet mehr Stress und weniger Freizeit für diejenigen, die in diesem Beruf arbeiten. "Ich habe schon oft gesehen, dass Pflegende die ganze Nacht gerannt sind und dann morgens weinend dastehen, weil sie das Gefühl haben, sie sind den Kindern nicht gerecht geworden", erzählt Krägeloh-Mann, die auch Präsidentin der DGKJ ist.

Es gibt Hoffnung

Am 1. Januar 2020 ist nun das neue Pflegeberufegesetz in Kraft getreten, mit dem sich auch die Pflege-Ausbildung ändert. Zwar können sich Auszubildende nach wie vor auf Kinderkrankenpflege spezialisieren. Allerdings müssten sie dafür erstmal einen entsprechenden Platz in einer Klinik oder bei einem Träger finden, und die werden zurzeit noch nicht in ausreichendem Maße angeboten.

Die Politik will diesen Mangel beseitigen. Mit dem neuen Gesetz ist zumindest der Boden dafür bereitet. Es muss allerdings auch konsequent umgesetzt werden. Ein wichtiger Schritt ist, dass die Kosten für das Pflegepersonal nun aus den DRGs herausgerechnet werden. Wie früher die Tagessätze, können sie pro Tag und pro Patient in Rechnung gestellt werden. Für die Krankenhäuser dürfte das ein Anreiz sein, wieder mehr Pflegerinnen und Pfleger einzustellen und auch auszubilden.

Für Krägeloh-Mann ist das jedoch nicht ausreichend. Sie fordert einen Versorgungszuschlag für die Kinder- und Jugendmedizin. "Für kleine Kliniken in Peripherien und strukturschwachen Gebieten ist ein sogenannter Sicherstellungszuschlag in der Planung, wir bräuchten das aber für alle pädiatrischen Kliniken und Abteilungen", sagt die Kinderärztin.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich zu diesem Vorschlag noch nicht konkret geäußert. Aus seinem Ministerium heiße es aber, man habe das Problem erkannt, berichtet die Berliner Morgenpost. Angesichts der dringenden Appelle aus den Kinderkliniken war es zuletzt aber auch kaum mehr zu übersehen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Birgit Pätzmann-Sietas, Kinderkrankenschwester und Vorstand des Berufsverbandes Kinderkrankenpflege Deutschland, und Ingeborg Krägeloh-Mann, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
  • Webseite des InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus): Fallpauschalen-Katalog 2020
  • Webseite der Deutschen Krankenhausgesellschaft: Vereinbarung von Grundsätzen für die Systementwicklung 2020 gemäß § 4 Absatz 4 Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung
  • rbb.de: Personalmangel: Kinderkrebszentrum der Charité nimmt keine Patienten mehr auf
  • sueddeutsche.de: Klinikum rechts der Isar: Abteilung für Kinder- und Jugendpsychosomatik vor dem Aus
  • ARD-Mediathek: Die Story im Ersten: Kein Geld für kranke Kinder
  • Berliner Morgenpost: Gesundheit: Kinderkliniken in Finanznot: kleine Patienten zu teuer
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