Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ozeane sind gravierender als angenommen. Der beschleunigte Anstieg des Meeresspiegels hat auch Folgen für Deutschland. Experten erklären, worauf wir uns in den kommenden Jahrzehnten vorbereiten müssen.

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Die Zahlen, die der Weltklimarat in seinem jüngsten Sonderbericht vorstellt, sind beunruhigend. Das Papier berücksichtigt in seinen Prognosen die neuesten Erkenntnisse zur weltweiten Schmelze von Gletschern und Polareis – und kommt zu dem Schluss, dass der Meeresspiegel voraussichtlich deutlich stärker ansteigen wird, als bislang angenommen.

Der Anstieg hat sich demnach inzwischen auf 3,6 Millimeter pro Jahr beschleunigt. Werden keine wirksameren Gegenmaßnahmen ergriffen, kann sich der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um 60 bis 110 Zentimeter erhöhen.

Klimawandel: Immer höhere Deiche nötig

In manchen Regionen der Welt sind Küsten- und Inselbewohner bereits heute von Überschwemmung bedroht. Auch für Deutschland bleiben diese Entwicklungen nicht folgenlos.

"Der Meeresspiegel ist auch bei uns angestiegen. Im letzten Jahrhundert waren es etwa 20 Zentimeter an der deutschen Nordseeküste. An der deutschen Ostseeküste waren es etwa 15 Zentimeter", sagt Insa Meinke. Sie leitet das Norddeutsche Küsten- und Klimabüro des Helmholtz-Zentrums Geesthacht.

Nach der katastrophalen Sturmflut im Februar 1962 wurde der Küstenschutz in Deutschland stark verbessert. Der Landverlust fällt deshalb – abgesehen von den Nordseeinseln – weniger gravierend aus. Doch für die Küstenbewohner sind die Folgen des Klimawandels dennoch spürbar.

Sturmfluten suchen Nord- und Ostseeküste häufiger heim. "An der Nordsee laufen sie auch höher auf", so Meinke. Außerdem sei zu beobachten, dass der Winterniederschlag zugenommen hat. Das erhöht ebenfalls die Hochwassergefahr.

Momentan sind die Deiche an den deutschen Küsten weitgehend in gutem Zustand. Doch für die zukünftige Entwicklung sind sie voraussichtlich nicht ausreichend. Deshalb werden Deiche heute häufig so gebaut, dass sie nachträglich erhöht werden können.

Einzigartige Ökosysteme in Gefahr

Die Klimaveränderungen wirken sich nicht nur auf die Menschen aus. Auch die einzigartigen Meeresökosysteme sind gefährdet. Bereits jetzt sei zu beobachten, dass sich durch den Temperaturanstieg die Artenzusammensetzung in der Nord- und Ostsee verändert, erklärt Hans-Ulrich Rösner.

"Einigen Arten ist es inzwischen zu warm, die ziehen sich zurück. Andere Arten rücken von Süden nach", so der Leiter des WWF-Wattenmeerbüros in Husum.

Die Konsequenzen solcher Veränderungen seien nicht voraussehbar, weil die Ökosysteme zu komplex und die Zusammenhänge nicht ausreichend erforscht seien. "Wir wissen beispielsweise schon heute, dass die früher im Wattenmeer sehr zahlreichen jungen Plattfische wie Flundern und Schollen viel seltener geworden sind. Das kann eines Tages Auswirkungen auf die Plattfischbestände in der ganzen Nordsee haben."

Ein anderes Problem, das mit der Erwärmung des Wassers einhergeht, ist die Zunahme sogenannter mariner Todeszonen. Das sind tiefere Bereiche in der Ostsee, wo kein Sauerstoff ankommt und wo deshalb keine Meerestiere leben können.

Verschwindet das Wattenmeer?

Deiche schützen zwar die menschlichen Siedlungsgebiete. "Doch auch das, was vor den Deichen liegt, ist gefährdet – wie das Wattenmeer an der Nordseeküste und auch das Salzgrünland an der Ostseeküste", warnt Rösner. Diese Gebiete schrumpfen durch Erosion. Die Wattflächen könnten auch dauerhaft überflutet werden.

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Wo verbirgt sich die größte CO2-Schleuder? Die Antwort ist wohl für jeden ernüchternd, der gerne im Netz surft - denn allein der Stromverbrauch des Internets verursacht so viel Kohlendioxid wie der weltweite Flugverkehr.

Dabei hat das Wattenmeer eigentlich eine natürliche Anpassungsfähigkeit an Veränderungen des Meeresspiegels. Durch die Ansammlung von Sedimenten kann es höher wachsen, wenn der Spiegel steigt. "Doch ein so starker Meeresspiegelanstieg, wie wir ihn befürchten, verläuft zu schnell. Wenn wir das Wattenmeer erhalten wollen, werden die Menschen wahrscheinlich mit Sandaufspülungen helfen müssen", so Rösner.

Solche Aufspülungen werden beispielsweise auf Sylt schon seit Jahrzehnten praktiziert, um die Strände zu erhalten. Von 1972 bis 2018 wurden so 50 Millionen Kubikmeter Sand auf die Küsten getragen.

Doch ob und wie das Verfahren so eingesetzt werden kann, dass empfindliche Lebensräume dabei erhalten bleiben, muss dem Meeresexperten zufolge erst noch erforscht werden.

Es gibt bereits Pilotprojekte, in denen diese Methoden erprobt werden. Solche Tests hält Rösner für sehr wichtig. Was aktuell außerdem dringend anstehe, sei ein allgemeines Umdenken:

"Wenn wir jetzt nicht die teils schwierigen Diskussionen darüber führen, wie man seine Verhaltensweisen und seinen Umgang mit der Natur an der Küste ändert, dann werden wir mit dem Meeresspiegelanstieg nicht fertig."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Insa Meinke, Leiterin des Norddeutschen Küsten- und Klimabüros am Institut für Küstenforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht
  • Gespräch mit Dr. Hans-Ulrich Rösner, Leiter des Wattenmeerbüros von WWF Deutschland
  • Hans von Storch et al.: "Hamburger Klimabericht"
  • Hans von Storch et al.: "Die deutsche Nordseeküste und der Klimawandel"
  • Helmholtz-Zentrum: "Ostseeküste im Klimawandel"
  • Norddeutsches Küsten- und Klimabüro: "Küstenschutzbedarf"
  • WWF: "Meeresspiegelanstieg gefährdet Natur an deutschen Küsten"


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