• Der Ostsee-Klimabericht errechnet eine Wassererwärmung um bis zu drei Grad Celsius und einen Meeresspiegelanstieg um bis zu 80 Zentimeter
  • Örtliche Küstenfischer, Förster und Stadtplaner sind dabei besonders betroffen
  • Anpassungsmaßnahmen an Klimawandel erfordern enorme Investitionssummen

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Die Stadt Rostock, Mecklenburg-Vorpommerns größte Stadt mit 200.000 Einwohnern, und die umliegende Region haben ein Problem: Der Klimawandel und die damit einhergehende Erderwärmung stellt die Bewohner vor unerwartet große Herausforderungen. Schneller als je prognostiziert, sieht sich die Region mit höheren Temperaturen an Land und im Wasser konfrontiert. Das hat weitreichende, teure und auch existenzielle Folgen.

Der Klimawandel bringt den Status quo einer ganzen Region gehörig durcheinander und fordert die Anpassungsfähigkeiten von Mensch und Natur stark heraus. Wie verändern sich die Lebensbedingungen vor Ort, wenn es nach und nach wärmer wird? Wir haben mit Wissenschaftlern und Betroffenen gesprochen.

Das Klima der Ostsee verändert sich: Wärmeres Wasser, steigender Meeresspiegel

Anfang September stellte Prof. Dr. Markus Meier, Leiter der Abteilung Physikalische Ozeanografie und Messtechnik am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, zusammen mit anderen renommierten Experten das "Faktenblatt zum Klimawandel in der Ostsee" politischen Entscheidungsträgern vor. Es basiert auf dem Baltic Earth Assessment Report, einem regionalen Pendant zum Klimawandel-Report des Weltklimarates IPCC, und präsentiert neueste wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, wie sich die Ostsee aufgrund des Klimawandels verändert. Aus dem Faktenblatt wird eines klar: Der Klimawandel ist an der Ostsee und ihren Küsten längst angekommen.

"Wir sehen vor allem, dass sich das Wasser erwärmt und der Meeresspiegel ansteigt", erklärt Prof. Dr. Markus Meier. Für die Küsten habe das enorme Folgen: "Wissenschaftler haben berechnet, dass sich am Ende des Jahrhunderts die Temperaturen in einem pessimistischen Szenario bis zu drei Grad im Jahresmittel erwärmen werden und der Meeresspiegel der Ostsee weiter steigen wird. Abzüglich der in der Ostseeregion charakteristischen Landhebung wird er unter diesem Szenario langfristig um bis zu 80 Zentimeter zunehmen."

Auch das Ökosystem des Ostseegebiets ist betroffen. Die sukzessive Erwärmung beeinflusst Nahrungsketten im Binnenmeer und reduziert den Sauerstoffgehalt des Wassers. Das begünstigt die Bildung lebensfeindlicher, mitunter toxischer Gebiete, sogenannte Todeszonen. Viele Tierarten sind bedroht.

Die Küstenfischerei an der deutschen Ostsee stirbt

Unter der sich verändernden Meerestemperatur leiden derzeit vor allem Fischbestände, besonders Heringe sind betroffen. "Die Folgen für die Nutzbarkeit des Herings sind fatal: Die Abläufe, die für seine Reproduktion notwendig sind, sind durch den Klimawandel aus dem Takt geraten. Es ist schlichtweg zu warm hier im Meer", erläutert Dr. Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock.

Der Institutsleiter verantwortet unter anderem die Fangempfehlung für diesen Heringsbestand durch den Internationalen Rat für Meeresforschung. Er rät der Politik seit drei Jahren, die Fischerei in Bezug auf den Hering der westlichen Ostsee einzustellen, um den Bestand langfristig zu sichern. Nur noch sechs Prozent der 2017 zugewiesenen Fangquote sind noch erlaubt und dürfen gefischt werden. Zimmermanns Plan: Den Bestand sich langsam erholen lassen. "Die Population kann langsam wieder wachsen, allerdings durch veränderte Klimabedingungen nicht mehr so groß werden wie einst. Deshalb wird wohl am Ende nicht mehr für alle Fischer genug Fangmenge übrigbleiben. Für jeden Zweiten könnte es existenziell eng werden – die Küstenfischerei stirbt", befürchtet Christopher Zimmermann.

Andere Ausrichtung der Fischerei ist notwendig

Dass der Hering nur noch in geringen Mengen gefischt werden darf, hat für viele Fischer existenzielle Folgen. Michael Schütt, Vorstand des Landesverbandes der Kutter- und Küstenfischer Mecklenburg-Vorpommern, erklärt es so: "Früher konnten wir mit einer Veränderung der Fangquoten von rund 15 Prozent nach oben oder unten rechnen. Bei der derzeitigen Reduktion um 96 Prozent ist die Küstenfischerei zum Aussterben verdammt."

Viele der traditionellen kleinen Fischer, meistens kleine Familienbetriebe, die den Hering noch per Hand aus den Netzen sammeln, sind verzweifelt. Schütt erklärt: "Wir glauben, dass der Hering sich von allein anpasst, und wünschen uns eine Anhebung der Fangquoten. Wir hatten an der Ostsee mal über 1.000 Fischer, heute sind es nur noch rund 200. Im Moment ist das ein staatlich verordnetes Berufsverbot. Es gibt doch mehr Faktoren, die den Bestand des Herings beeinflussen als das Klima, etwa der zunehmende Schiffsverkehr, die Nord-Stream-Bauarbeiten für die Anbindungen der Strom- und Gasleitungen und die rasant wachsenden Bestände der Robben und Kormorane im Greifswalder Bodden, der Kinderstube des Herings."

Auch für Günther Kröger, Kapitän und früherer Hochseefischer, kommen hier viele Faktoren zusammen – neben der Wassererwärmung sieht er auch ein großes Problem in der Umweltverschmutzung, zum Beispiel durch verschmutztes Wasser aus der Landwirtschaft und der Industrie. Doch dass sich etwas in der Ostsee verändert hat, weiß auch er zu berichten. "Mein Kollege, der immer noch ein bisschen Fischerei vor der Küste Boltenhagens betreibt, erzählte mir, dass die Plattfische in seinen Stellnetzen vor wenigen Jahren noch quicklebendig in den Netzen zappelten. Heute sind sie bei dem gleichen Fischereiablauf alle aufgrund von Sauerstoffmangel abgestorben."

Eine politische Lösung ist nicht in Sicht. "Die Leute hier, die von der Natur leben, die können wenig machen", sagt Christopher Zimmermann. "Sie selbst sind ja nicht schuld am Klimawandel, sondern müssen die Konsequenzen aushalten. Kurzfristig helfen Ausgleichszahlungen für die Fischereibetriebe, wie sie die Förster und Landwirte schon einfordern, aber langfristig brauchen wir eine andere Ausrichtung der Fischerei."

Fichtensterben und Trockenheit in der Rostocker Heide

Auch für die Forst- und Landnutzung in der Region rund um Rostock bedeutet der Klimawandel Veränderung. In der Rostocker Heide, dem größten zusammenhängenden Küstenwald des Landes, leidet der Baumbestand.

"Die Heide ist spürbar vom Klimawandel betroffen, doch uns trifft es aufgrund des Küstenklimas noch relativ milde", berichtet der Leiter des städtischen Forstamts Jörg Harmuth. Wälder in Mittel- und Südeuropa leiden seit Jahren stark unter extremer Trockenheit und Schädlingsbefall. Nicht ohne Folgen: Teilweise mussten bis zu 70 Prozent des Bestandes in der Not gefällt werden.

In der Rostocker Heide führt die zunehmende Klimaerwärmung zu Trockenheit, Wasserknappheit und milden Wintern, was unter anderem die Vermehrung des Borkenkäfers begünstigt. "Die Welt verändert sich hier, sodass wir uns anpassen müssen. Die Fichten, die vor Jahrzehnten unter anderen Bedingungen angesiedelt wurden, haben wie überall in Deutschland Probleme mit dem Käfer. Sie sterben, der Klimawandel verschärft das. Wir haben zudem Probleme mit Trockenschäden auch an Laubbäumen wie zum Beispiel der Buche."

Das Rostocker Stadtforstamt setzt deshalb auch auf andere Baumarten. Vor allem solche, die risikostabil sind und vielfältig nutzbar sind, stehen auf der Liste von Jörg Harmuth. Der erfahrene Amtsleiter sieht den Wandel des Klimas allerdings recht gelassen: "Als Förster wissen Sie: Das einzige, worauf Sie im Wald wetten können, ist die Veränderung. Wir passen uns deshalb hier an und probieren neben natürlicher Sukzession auch Baumarten wie die Esskastanie aus, die nicht heimisch sind, und die aus anderen, wärmeren Klimazonen kommen. Uns steht aufgrund des Klimawandels eine Veränderung in der Zusammensetzung von Baumarten bevor, bei der wir auch von aktuell hier nicht heimischen Arten profitieren werden."

Hochwasserschutz & Co.: Teure Investitionen der Stadt sind nötig

Doch nicht nur die Fischer und Förster in der Rostocker Region spüren schon jetzt die Folgen des Klimawandels – auch die Stadtplaner müssen auf das sich erwärmende Klima reagieren.

Dass die Stadt Rostock immer heißere, trockenere Sommer erleben wird, prognostizierten jüngst auch Wissenschaftler im Climate Service Center Germany (Gerics) der renommierten Helmholtz-Forschungsgemeinschaft. Gemäß ihrer Analyse für die Hansestadt ist bis zum Ende des 21. Jahrhunderts mit einem Anstieg der bodennahen Lufttemperatur um bis zu 5 Grad Celsius und einer Abnahme der Niederschläge von 13,7 Prozent zu rechnen.

Um dessen Herr zu werden, denkt die Stadt unter anderem über eine bessere Klimatisierung von Gebäuden und eine Anpassung des Bewässerungsplans nach. Auch auf eine zunehmende Anzahl an Bränden und Feuerwehreinsätzen richtet man sich ein. Schutzmaßnahmen gegen den steigenden Meeresspiegel sind ebenfalls in der Diskussion.

"Küstenschutz ist teuer. Umso mehr der Spiegel ansteigt, desto teurer wird es für uns alle. Die Städte werden in flexible Kaimauern investieren und die Menschen werden die Küsten mit neuem Sand versorgen müssen", erklärt Prof. Dr. Markus Meier vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde. Das spürt man auch in Rostock. Um sich zu schützen, errichtet die Hansestadt am Hafen nun eine mehrere Millionen Euro teure Anlage. Geplant sind bis zu zwei Meter hohe Hochwasserschutzwände, Geländeerhöhungen und Verschlussbauwerke. Die Arbeiten für den Flutschutz im gesamten Stadthafen sollen bis 2030 abgeschlossen sein.

Die Folgen des Klimawandels – ein teures Unterfangen

Die Geschichten der Menschen aus Rostock und Umgebung zeigen vor allem eines: Der Klimawandel ist längst Realität. Und er kostet. Ob städtebauliche Anpassungen, Ausgleichszahlungen für Fischer oder das aufwendige Pflanzen anderer, widerstandsfähigerer Bäume – um mit den Folgen des Klimawandels zu leben, braucht es vor allem Geld.
Neuesten Berechnungen von Forschern des University College London und der Nichtregierungsorganisation Carbon Disclosure Project (CDP) zufolge wird die Menschheit 4,6 Billionen Euro für die Folgen des Klimawandels bis 2070 ausgeben müssen. "Wir Wissenschaftler haben immer gesagt: Wenn wir das 1,5 Grad-Ziel verfehlen, würde die Welt untergehen. Doch wir hätten die Geschichte anders erzählen müssen, denn das Gegenteil ist passiert. Wir hätten die Menschen vielmehr darüber aufklären müssen, dass es dann einfach unfassbar teuer wird, dass Menschen und Tiere leiden und ganze Branchen verschwinden werden", sagt Dr. Christopher Zimmermann nachdenklich.

Über die Experten:
Prof. Dr. Markus Meier ist Leiter der Abteilung Physikalische Ozeanographie und Messtechnik am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, und Professor an der Universität Rostock. Er ist Mitautor des aktuellen Klimawandelberichts für die Ostsee der Helsinki-Kommission zum Schutz der Ostsee und dem Baltic-Earth-Netzwerk.
Jörg Harmuth leitet das Rostocker Stadtforstamt seit rund 30 Jahren. Der Förster ist mit seinem Amt für die gesamte nachhaltige Bewirtschaftung der Rostocker Heide verantwortlich.
Michael Schütt ist Vorstand des Landesverbandes der Kutter- und Küstenfischer Mecklenburg-Vorpommern und geschäftsführender Vorsitzender der Fischereigenossenschaft "Peenemündung" Freest e.G.
Dr. Christopher Zimmermann leitet das Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock. Er ist unter anderem deutscher Vertreter im Advisory Committee des Internationalen Rates für Meeresforschung und wissenschaftlicher Ratgeber für Vertreter der Bundes- und Landespolitik, die EU-Kommission und das Europaparlament sowie für Umweltverbände und die Wirtschaft.
Günther Kröger ist Kapitän und früherer Fangdirektor des Fischkombinats Rostock.

Verwendete Quellen:

  • Climate Change in the Baltic Sea 2021 Fact Sheet
  • Thünen erklärt – Der Hering in der Klimafalle
  • nnn.de: Land beteiligt sich an Kosten für Hochwasserschutz
  • nnn.de: Rostock wappnet sich mit verschiedenen Konzepten gegen Hochwasser
  • nnn.de: Die Rostocker Heide ist durch den Klimawandel bedroht
  • Climate Service Center Germany (GERICS): Klimaausblick Rostock und Landkreis Rostock
  • ostsee-zeitung.de: Klimawandel in Rostock: Es wird heißer in der Hansestadt
  • manager-magazin.de: Klimawandel - Volkswirtschaftliche Kosten gehen laut Studie in die Billionen

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