Ein Mann wird in einer Kneipe plötzlich bewusstlos, danach klingelt er mitten in der Nacht bei einer alten Frau. Schließlich wird er nackt und schwer verletzt in einem Auto gefunden, später stirbt er. Welche Rolle spielt dabei eine seltsame Notiz mit den Buchstaben "YOG'TZE"? Der bis heute ungeklärte Kriminalfall gehört zu den mysteriösesten in Deutschland.

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Günter Stoll kommt unter seltsamen Umständen ums Leben – das ist die Kurzfassung des sogenannten "YOG'TZE"-Falls, der in den 1980er-Jahren bundesweit für Aufsehen gesorgt hat. Noch heute zerbrechen sich Polizei und Hobbydetektive den Kopf über den Cold Case. Am 26. Oktober jährt sich der Tod von Günter Stoll zum 40. Mal. Durch die Sendung "Aktenzeichen XY… ungelöst" wurde der Fall 1985 bundesweit bekannt. Doch was ist überhaupt passiert?

Worum geht es im "YOG'TZE"-Fall?

Die mutmaßlichen Ereignisse der betreffenden Nacht werden in einem Film in der Sendung "Aktenzeichen XY… ungelöst" im April 1985 gezeigt. Nach Aussagen von Zeugen und Ermittlungen der Polizei soll sich Folgendes abgespielt haben:

Am Abend des 25. Oktober sitzt Günter Stoll in dem kleinen Ort Anzhausen im Siegerland mit seiner Frau beim Abendessen, die gemeinsame Tochter schläft bereits. Schon seit Längerem äußert der 34-Jährige Ängste über eine unbestimmte, bevorstehende Gefahr. Auch an diesem Abend wirkt er nervös und panisch, spricht davon, verfolgt zu werden. Seine Frau versucht, ihn zu beruhigen. Doch Stoll springt auf und läuft im Zimmer hin und her. "Ich halte das nicht mehr aus", sagt er. "Alle sind sie gegen mich." Und weiter: "Ich hab' einfach Angst, dass die mir was antun." Wer "die" sind, erklärt er nicht.

Nach dem Essen setzt sich das Ehepaar Stoll vor den Fernseher, doch der 34-jährige Günter kann sich nicht auf das Programm konzentrieren. Er sitzt in seinem Stuhl und starrt an die Decke. Plötzlich ruft er "Jetzt geht mir ein Licht auf", geht zum Wohnzimmertisch und notiert auf einem Zettel sechs Buchstaben: YOGTZE, in der Mitte einen Apostroph. Über diese Notiz werden Menschen noch Jahre später rätseln.

Günter Stoll betrachtet seine Notiz kurz und streicht sie sofort wieder durch. Auch danach findet er keine Ruhe. "Ich muss noch mal weg, ich kann hier nicht ruhig sitzen bleiben", teilt er seiner Frau mit. "Ich habe Angst, unheimliche Angst, dass ich umgebracht werde." Auf Nachfragen seiner Ehefrau, warum und wer ihn umbringen könnte, antwortet er nicht. "Ich fahr' noch mal ein Bier trinken ins 'Papillon', vielleicht wird's dann besser", sagt er und verspricht, bald wieder nach Hause zu kommen. "Bis gleich", lauten seine letzten Worte an seine Ehefrau. Der Zettel mit der Botschaft "YOG'TZE" bleibt zurück.

Günter Stoll fährt in die Kneipe "Papillon" in Wilnsdorf, ein paar Kilometer von seinem Wohnort entfernt. Er bestellt ein Bier, doch er trinkt es nicht. Aus heiterem Himmel stürzt er bewusstlos vom Hocker an der Bar und zieht sich einen Kratzer auf der Wange zu. "Ich will grad mein erstes Bier trinken, da war ich plötzlich weg. Ein richtiger Aussetzer", sagt er den Umstehenden, nachdem sie ihm beim Aufstehen geholfen haben. Bald darauf hält es ihn nicht länger in der Kneipe. Mit seinem blauen VW Golf fährt er davon. Was in den zwei Stunden danach passiert, ist unklar.

Gegen 1:00 Uhr taucht Günter Stoll etwa 15 Kilometer von seinem Wohnort entfernt in Haigerseelbach auf, in dem Ort ist der 34-Jährige aufgewachsen. Statt bei seinen Eltern zu klingeln, läutet er zwei Türen weiter bei einer alten Dame. Sie kennt Stoll schon seit seiner Kindheit. Die Frau öffnet ihr Schlafzimmerfenster im ersten Stock ihres Hauses und fragt, was er wolle. "Ich muss mit jemandem reden. Die Nacht passiert noch was, was ganz Fürchterliches", erwidert Stoll. Die alte Dame wimmelt ihn ab: Sie fordert ihn auf, zu seiner Mutter zu gehen. "Das geht nicht. Die verstehen mich ja nicht", meint Stoll daraufhin. "Fahr doch nach Hause zu deiner Frau, da kann dir doch nichts passieren", rät ihm die alte Dame. Stoll willigt ein – doch nach Hause fährt er nicht. Zum zweiten Mal in dieser Nacht verliert sich seine Spur.

Um 3:00 Uhr morgens, wieder etwa zwei Stunden später, nähert sich ein Lkw auf der A45 der Ausfahrt Hagen-Süd. Der Fahrer sieht einen verunglückten Wagen in der Böschung neben dem Seitenstreifen liegen, Fahrertür und Heckklappe stehen offen, im Inneren brennt Licht. Außerdem erkennt er im Vorbeifahren einen augenscheinlich verletzten, jungen Mann, der um das Auto herumgeht. Der Lkw-Fahrer meint, Blut am Jackenärmel des Mannes zu sehen. Er entschließt sich, zu halten und zu helfen – ebenso wie ein weiterer Lkw-Fahrer, der die gleichen Beobachtungen gemacht hat. Am augenscheinlich verunfallten Wagen angekommen, ist der Mann verschwunden.

Doch die beiden Lkw-Fahrer finden einen Verletzten auf dem Beifahrersitz. Er ist splitternackt, an ihm kleben Laub, Schmutz und Blut und sein linker Arm ist fast abgetrennt. Der Mann ist lebensgefährlich verletzt, aber noch bei Bewusstsein. Seine Kleidung liegt hinter dem Beifahrersitz, der Zündschlüssel befindet sich auf der Hutablage. Die Lkw-Fahrer decken ihn mit seiner Kleidung zu und können kurz mit ihm sprechen. Vier Männer sollen in dem Auto gewesen sein, sagt der Mann laut Aussage eines Lkw-Fahrers. Sie seien "nicht meine Freunde" gewesen und "abgehauen". "Ich will weg hier, ich will auch weg", sagt er noch. Kurz darauf ist er nicht mehr ansprechbar und stirbt wenig später in einem Krankenhaus. Bei diesem Mann handelt es sich um Günter Stoll. Der Fundort befindet sich etwa 100 Kilometer weiter nördlich als sein zuvor bekannter Aufenthaltsort.

Wie kam Günter Stoll ums Leben?

Hans Leppler, damals zuständiger Ermittler bei der Kripo Hagen, sagte im Podcast "Aktenzeichen XY… Unvergessene Verbrechen" im August 2023 zur Todesursache: "Die Verletzungen, an denen Günter Stoll gestorben ist, besagen eindeutig, dass er von einem fremden Auto überfahren worden ist, und zwar, und das gibt der ganzen Sache noch eine mysteriöse Note, in völlig unbekleidetem Zustand."

Erst danach sei der schwer verletzte Mann in seinen eigenen Wagen geladen und zum späteren Fundort gebracht worden. Die Beschädigungen an seinem VW Golf stammen demnach vom Aufprall in der Böschung neben der Autobahn.

Laut Leppler ergab die Obduktion, dass vermutlich die erheblichen Verletzungen der inneren Organe todesursächlich gewesen seien.

Was ist noch über die Nacht von Günter Stolls Tod bekannt?

Auf den Autobahnen im Rhein-Main-Gebiet gab es laut Polizei in der Oktobernacht keine besonderen Vorkommnisse. Die beiden Lkw-Fahrer machten unabhängig voneinander die gleichen Angaben zu dem Mann, der um Günter Stolls Wagen herumgelaufen sein soll: zwischen 20 und 25 Jahre alt, 1,70 bis 1,80 Meter groß, helle Kleidung. Die Polizei konnte besagten Mann nicht finden.

Den Beamten der Autobahnpolizei fiel auf, dass die Motorhaube von Günter Stolls Wagens bereits kalt war – das Auto musste also schon länger in der Böschung gelegen haben. Laut dem ehemaligen Ermittler Hans Leppler sei das Fahrzeug "von wem auch immer" in die Böschung gelenkt worden, Günter Stoll hätte das Auto aufgrund seiner Verletzungen selbst nicht mehr fahren können.

An der Einfahrt Hagen-Süd, aber in entgegengesetzter Richtung, sahen andere Autofahrer laut Leppler einen Anhalter. Die Polizei bat ihn, sich zu melden, er konnte jedoch nicht gefunden werden. Der eigentliche Tatort, an dem Günter Stoll von einem Fahrzeug überrollt wurde, ist nicht bekannt.

Was ist über Günter Stolls Leben bekannt?

Günter Stoll galt als zurückhaltend und schüchtern. Sein Studium der Lebensmitteltechnologie musste er abbrechen, weil er eine Prüfung nicht bestanden hatte – ausgerechnet die letzte von insgesamt 20. Stoll war arbeitslos, seine Frau war Alleinverdienerin und sorgte für die kleine Familie. Das Paar hatte eine fünfjährige Tochter.

Laut dem Podcast "Aktenzeichen XY… Unvergessene Verbrechen" sagte die Ehefrau der Polizei, dass ihr Mann depressiv gewesen und jeden Tag trauriger geworden sei. Stoll soll Wahnvorstellungen gehabt haben. In psychologischer Behandlung sei er nie gewesen. Seine Ängste belasteten demnach die Beziehung des Paares – zum Teil kam es zu schweren Auseinandersetzungen. Auch am Abend vor seinem Tod sei Stoll in keiner guten Verfassung gewesen sein. Ob es sich bei den Ängsten Günter Stolls um reale oder eingebildete Sorgen handelte, ob er eine Vorahnung hatte, konnte nie geklärt werden. Die Polizei fand keine Belege für konkrete Bedrohungen.

Für seinen kurzen Blackout in der Kneipe "Papillon" gab es für Bekannte keine Erklärung. Der 34-Jährige nahm keine Medikamente und galt in der Nacht seines Todes als nicht alkoholisiert.

Was hat es mit der Notiz "YOG'TZE" auf sich?

Bis heute ist die Notiz "YOG'TZE" nicht entschlüsselt. Doch ist die Botschaft überhaupt ein Rätsel oder hat sie gar nichts zu bedeuten? Bis heute tappen die Ermittler dahingehend im Dunkeln. Günter Stolls Ehefrau erwähnte den Zettel in einem handgeschriebenen Brief, den sie am Tag nach Stolls Tod bei der Polizei abgab. Noch am Abend des 25. Oktober habe sie demnach den Zettel mit der sagenumwobenen Botschaft weggeworfen.

Nach Hinweisen zur Notiz wurde auch in der Sendung "Aktenzeichen XY… ungelöst" 1985 gefragt. 170 Zuschauerinnen und Zuschauer meldeten sich laut der Podcast-Folge vom August 2023 mit möglichen Erklärungen zu der Buchstabenkombination. Hobbyfunker hatten demnach die Idee, dass es sich um ein rumänisches Funkrufzeichen handeln könnte, wenn man das G als 6 liest, andere vermuteten verschiedene Autokennzeichen oder gar einen Nato-Code.

In Internetforen wird noch heute versucht, das Rätsel um "YOG'TZE" zu entschlüsseln. Der Kryptologe Klaus Schmeh sagte im "Aktenzeichen XY"-Podcast jedoch, dass er es für unwahrscheinlich halte, dass hinter der Botschaft ein Code stecke.

Ermittlungsrichtungen und Theorien

Bis heute ist der Todesfall um Günter Stoll ungeklärt. Dennoch gab es viele unterschiedliche Ermittlungsrichtungen und Spekulationen und Theorien – bis heute. In der Sendung "Aktenzeichen XY… ungelöst" fragte die Polizei etwa, ob Günter Stoll in den Niederlanden Kontakte zur Rauschgiftszene hatte, "die ihm vielleicht zum Verhängnis geworden sind". Wie Hans Leppler 2023 ausführte, sei die Familie mehrfach in den Urlaub in die Niederlande gefahren. Bei der Polizei kam demnach die Frage auf, wie die Stolls sich das leisten konnten, schließlich war die Frau Alleinverdienerin.

Die Polizei konnte laut Leppler tatsächlich Personen aus dem Rauschgiftmilieu ausfindig machen, die mit Stoll Kontakt hatten. "Bei uns kam der Gedanke auf: Vielleicht hat er dort den Kontakt gehabt und hat vielleicht aufgrund seines Studiums bei der Rauschgiftherstellung oder Ähnlichem mitgearbeitet", sagte der ehemalige Ermittler. Die Polizei habe in den Niederlanden mehrere Personen vernehmen können, eine Verbindung zum Todesfall stellte sich jedoch nicht heraus. Bei den Verhören habe sich auch ergeben, dass das Fahrzeug einer Person laut Leppler "außer Kontrolle geraten" sei. Doch bei den Untersuchungen des Autos konnte nicht festgestellt werden, dass Stoll möglicherweise davon überrollt wurde.

Der ehemalige Ermittler erwähnte im Podcast "Aktenzeichen XY… Unvergessene Verbrechen" noch weitere Theorien der Polizei: Stoll könnte ein außereheliches Verhältnis gehabt haben, der gehörnte Ehemann könnte Stoll etwas angetan haben. Laut Stolls Ehefrau gab es jedoch keine Affäre. Eine weitere Theorie der Polizei: "Falsche Freunde, mit denen er irgendwelche Geschäfte gemacht hatte".

In Internetforen wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob Günter Stoll an einer Psychose gelitten haben könnte. Auch eine Psychologin glaubt an diese Theorie: Beatrice Wpych erklärte im "Aktenzeichen XY"-Podcast, sie glaube an eine paranoide Schizophrenie. Ihre Spekulation: Günter Stoll könnte sich entkleidet haben, um seine vermeintlichen Verfolger loszuwerden – möglicherweise dachte er, sie könnten Geräte in seiner Kleidung versteckt haben, mit denen sie ihn aufspüren könnten. So könnte er nackt auf die Autobahn gelaufen und überfahren worden sein. Was für sie klar ist: "Er hat zu 100 Prozent Angst um sein Leben gehabt."

Leppler widersprach dieser Theorie: "Die Theorie, dass es sich um einen Unfall handelt, wo Stoll angefahren wurde, das halte ich nicht für nachvollziehbar. (…) Bei der Obduktion sind keine derartigen Verletzungen festgestellt worden." Der ehemalige Ermittler geht davon aus, dass Stoll, "aus welchem Grund auch immer, gefügig gemacht werden sollte, er sollte bestraft werden oder man wollte ihn einfach demütigen". Dann habe man ihn überrollt, in sein Auto gesetzt und zum Fundort gebracht. "Es ist auch nicht auszuschließen, dass Stoll eine Vorahnung hatte, weil er mit irgendwelchen Leuten in Streit geraten war und die ihm was auch immer angedroht haben."

Vieles sei denkbar in diesem Fall – es fehle "einfach der Kommissar Zufall, der dann dazu führt, dass man Hinweise bekommt, die einen weiterbringen", so Leppler.

Ein Pressesprecher der Polizei Hagen teilte unserer Redaktion mit: "Wir verzeichnen keine neuen Hinweise, die in den vergangenen Monaten zu dem Fall eingegangen sind. Über die Tat wurde bundesweit berichtet. Sie findet jedoch immer wieder Erwähnung auf diversen Cold-Case-Plattformen. Auch hier hatten wir bei Anfragen keine neuen Erkenntnisse zu verlautbaren." Eine Anfrage zu neuen Hinweisen an die "Aktenzeichen XY"-Redaktion blieb bislang unbeantwortet.

Verwendete Quellen

  • Sendung "Aktenzeichen XY... Ungelöst" vom 12. April 1985
  • Podcast "Aktenzeichen XY... Unvergessene Verbrechen": Folge 27 "Das Rätsel um den YOG'TZE-Fall"
  • Schriftliche Anfrage an das Polizeipräsidium Hagen
  • Schriftliche Anfrage an die Redaktion von "Aktenzeichen XY"
  • allmystery.de: Der Yogtze-Fall
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