• In der niederländischen Stadt Urk haben junge Menschen in Nazi-Verkleidung eine Hinrichtung nachgestellt.
  • Offenbar sollte die Aktion Protest gegen die Corona-Politik ausdrücken. In der Stadt war es bereits Anfang des Jahres zu Ausschreitungen gekommen.
  • Nun ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft.

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Ein Dutzend junger Männer marschiert im Dunkeln durch die Straßen. Sie tragen graue Nazi-Uniformen, zeigen den Hitler-Gruß, erschrecken Passanten mit Waffenattrappen. Der geschmacklose Höhepunkt: Die gespielte Hinrichtung eines Mannes in Häftlingskleidung und mit einem Judenstern auf der Brust.

Mehrere niederländische Medien berichten von diesen Szenen, die sich am vergangenen Samstagabend im Fischer-Städtchen Urk an der Ijsselmeer-Küste abgespielt haben. Auch in den sozialen Medien sorgen die Bilder für Abscheu und Bestürzung. Offenbar war dieses Nazi-Schauspiel als Protest gegen die Corona-Politik gedacht.

Urk: Hochburg der strenggläubigen Protestanten

Die Regionalzeitung De Stentor zitiert einen Mann, der einige Bilder mit einer Überwachungskamera aufgenommen hat: "Sie haben zuerst im Gewerbegebiet gefeiert und sind danach in den Dorfkern gezogen. Das sind respektlose Leute."

Das ehemalige Fischerdorf Urk sieht auf den ersten Blick aus wie andere niederländische Städte, ist aber einer der strenggläubigsten Orte Europas, eine Hochburg orthodoxer Protestanten. Mehr als 90 Prozent der rund 20.000 Einwohner gehen regelmäßig in die Kirche, viele von ihnen auch mehrmals pro Woche. Am Sonntag fährt in der Stadt kein einziger Bus, die strenggläubige Partei SGP schaltet ihre Homepage ab.

Die Gläubigen verteilen sich auf etwa 20 Kirchengemeinden, deren Ausrichtung schwankt zwischen konservativ und sehr konservativ. Die Urker gelten als verschworene Gemeinschaft, haben allerdings auch mit einem Alkoholproblem zu kämpfen. Trinkgelage gerade unter Jugendlichen sind keine Seltenheit – offenbar auch als Möglichkeit, den strengen moralischen Regeln zu entfliehen.

Ausschreitungen wegen Corona-Maßnahmen

Urk ist in den Niederlanden jedem ein Begriff – und taucht auch international immer wieder in den Schlagzeilen auf. Anfang des Jahres kam es in der beschaulichen Stadt zu schweren Ausschreitungen, als junge Menschen die Polizei mit Feuerwerkskörpern und Steinen bewarfen und schließlich sogar ein Corona-Testzentrum in Brand steckten.

Überall in den Niederlanden kam es zu dieser Zeit zu gewaltsamen Protesten gegen die coronabedingte Ausgangssperre. In der Stadt Urk ist die Virusbekämpfung aber ein besonders umstrittenes Thema. Medienberichten zufolge sollte das Nazi-Schauspiel der jungen Urker eine Protestaktion gegen eine 3G-Regelung für die Teilnahme an Freizeitveranstaltungen sein.

Teile der orthodoxen niederländischen Protestanten sehen Seuchen als Werk Gottes an. Wer sich impfen lässt, pfuscht ihrer Meinung nach Gott ins Handwerk. Nur rund 23 Prozent der erwachsenen Urkerinnen und Urker sind bisher gegen das Coronavirus geimpft. Im niederländischen Landesschnitt sind es bereits knapp 80 Prozent, das meldet das zuständige Institut RIVM. Auch bei der Grundimmunisierung gegen Diphterie, Tetanus, Polio und Keuchhusten lag die Impfquote in Urk in den vergangenen Jahren unter 70 Prozent.

Bürgermeister: Wird ein Nachspiel haben

Urk liegt am Rand des sogenannten Bibelgürtels. Die dort lebenden strengen Protestanten sind ein kleiner, aber selbstbewusster Teil der niederländischen Gesellschaft. Sie haben eigene Medien, Schulen und Parteien im Parlament.

Mit ihrer Aktion haben die jungen Männer aus Urk aus Sicht vieler Menschen eine Grenze überschritten. Gemeindeverwaltung, Polizei und Staatsanwaltschaft untersuchen den Sachverhalt. Das "Zentrum Information und Dokumentation Israel", das sich gegen Antisemitismus einsetzt, erstattete Anzeige.

Urks Bürgermeister Cees van den Bos kündigte der Zeitung AD zufolge einerseits einen Dialog an: "Wir verstehen, dass die Jugendlichen sich zu den Auswirkungen der aktuellen und kommenden Corona-Maßregeln äußern wollen." Allerdings hätten sie ganz klar eine Grenze überschritten: "Das ist eine geschmacklose Aktion, die mehrere Bevölkerungsgruppen verletzt."

Die Identitäten der meisten Beteiligten sind inzwischen bekannt. Der Urker Bürgermeister sagte der AD: "Momentan machen offenbar Botschaften mit aufrechten Entschuldigungen die Runde. Aber meiner Meinung nach wird das Ganze noch ein Nachspiel haben."

Quellen:

  • AD.nl: Urk in shock door nazi-verkleedpartij dorpsgenoten: ‘Absoluut strafbaar’
  • DeStentor: Gemeente Urk onderzoekt ‘heftige’ beelden van jongeren in ‘nazi-kledij’ en gevangene met Jodenster op
  • Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu (RIVM): Vaccinatiecijfers 30 augustus t/m 5 september 2021
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