Die Polizei in München hat eine 31-jährige Frau erschossen. Zuvor hatte diese Beamte mit einem Messer bedroht. Nun wird ermittelt, ob das rechtmäßig war. Wann darf die Polizei überhaupt schießen? Wir haben uns die Gesetze dazu angeschaut.

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Ein Mann mit einer Machete in der Mannheimer Uni-Bibliothek, ein Obdachloser mit einer Eisenstange in Dortmund – und nun eine 31-Jährige in einem Supermarkt in München: In allen drei Fällen hat die Polizei von einer Schusswaffe Gebrauch gemacht und die Angreifer tödlich verletzt.

Im Fall der Münchenerin, die am Montag, 19. August, Beamte in einem Penny-Supermarkt mit einem Messer bedroht hatte und dieses auch nach mehrfacher Aufforderung und dem Einsatz von Pfefferspray nicht ablegte, ermitteln jetzt das Landeskriminalamt (LKA) und die Staatsanwaltschaft, ob der Schusswaffengebrauch rechtmäßig war. Das ist Routine und passiert immer, wenn in einem Diensteinsatz die Schusswaffe benutzt wurde.

Routinemäßige Untersuchung nach Schusswaffeneinsatz

Die genauen Abläufe können je nach Bundesland und den Umständen des Vorfalls variieren, normalerweise werden aber sowohl interne als auch externe Ermittlungen geführt. Die erste Instanz, die dabei involviert ist, ist in der Regel die Staatsanwaltschaft.

Ex-LKA-Ermittler Klaus Nachtigall hat während seiner Karriere mehrere solcher Ermittlungen erlebt.

"Zunächst kommt es darauf an, ob es sich um einen Schusswaffengebrauch gegen Menschen oder gegen Sachen handelt", sagt er. Ist bei dem Einsatz jemand zu Tode gekommen – handelt es sich also um ein Todesermittlungsverfahren – wird untersucht, ob Gesetze eingehalten wurden. "Und das unabhängig von den jeweiligen Polizeigesetzen der Länder", sagt Nachtigall. Bei einem solchen Verfahren werden dann beispielsweise die beteiligten Polizisten und Zeugen befragt und Schussgutachten ausgewertet.

Drei Fragen entscheidend

Wenn es zu Verletzungen oder Todesfällen kommt, ist auch die Gerichtsmedizin beteiligt, die die genauen Umstände ermittelt. So ist es auch im jetzigen Fall der 31-jährigen Münchenerin. Sie prüft beispielsweise auch, ob die Angreiferin unter dem Einfluss von Drogen stand.

Wenn die Polizei zu einem Einsatz gerufen wird, muss sie manchmal innerhalb weniger Sekunden entscheiden, ob der Einsatz einer Schusswaffe rechtens ist, oder nicht.

Drei Fragen sind dabei entscheidend: Besteht eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben? Ist der Einsatz der Schusswaffe geeignet, erforderlich und angemessen? Sind mildere Mittel ausgeschöpft? Alle Fragen müssen mit "Ja" beantwortet sein.

Großteil ist Notwehr

"Der Schusswaffengebrauch wird durch unterschiedliche Gesetze geregelt. Im ganz überwiegenden Teil der Fälle handelt es sich um das Recht auf Nothilfe oder Notwehr", sagt Nachtigall. Das steht im §32 des Strafgesetzbuches. In anderen Fällen – etwa bei Personen, die auf einer Flucht aufgehalten werden – greifen die Polizeigesetze der Bundesländer.

Ob und ab wann eine "gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben" besteht, müssen Beamte blitzschnell einschätzen und entsprechend handeln. Bei einem Messerangriff liegt die kritische Distanz zwischen Angreifer und Streifenbeamten beispielsweise bei rund zehn Metern. Bei diesem Abstand bleibt gerade noch die Zeit, auszuweichen und die Schusswaffe zu ziehen.

Hätten Sie richtig entschieden?

Zwei Beispiele: Bei der Einlasskontrolle zu einem Konzert wird bei einer Person eine Machete im Rucksack festgestellt. Er weigert sich, die Machete abzugeben, indem er beispielsweise sagt: "Ich lasse sie mir nicht wegnehmen", zeigt aber keine Anzeichen dafür, die Machete zu benutzen.

Darf die Polizei schießen? "Nein", sagt Nachtigall. Denn das alleinige Mitführen einer Waffe reiche noch nicht aus, damit die Polizei schießen darf. "Erst, sobald die Person die Waffe ziehen würde, wäre es möglicherweise erlaubt", sagt Nachtigall.

Ziel: Angreifer angriffs- oder fluchtunfähig machen

Anders sieht es aus, bei einer Person in einem offensichtlich psychischen Ausnahmezustand, die in einem Park in der Nähe von einer Gruppe Kindern bereits mit einem Messer hantiert. "Bereits das Hantieren kann als Bedrohung ausgelegt werden", sagt Nachtigall. Es sei möglich, dass die Person innerhalb von Sekunden losrenne und auf Menschen einsteche. "Reagiert die Person nicht sofort auf die Aufforderung, die Waffe abzulegen, darf die Polizei schießen", sagt Nachtigall.

Die Maßgabe für die Polizei ist es dabei, die Personen angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Es ist also in der Regel nicht das konkrete Ziel, jemanden zu töten. Wenn die Situation es zulässt, sollen ernsthafte Verletzungen vermieden werden und zum Beispiel auf den Unterkörper gezielt werden. Wenn aber eine sofortige Gefahr für das Leben von anderen besteht, zielt die Polizei in der Regel auf den Oberkörper. In Ausnahmen sogar auf den Kopf.

So vorgekommen ist das beispielsweise 2022, als die Polizei in Frankfurt am Main dem 23-jährigen Amin F. in den Kopf schoss. Er hatte zuvor in einem Hotel zwei Prostituierte mit einem Messer bedroht. Im Jahr 2023 setzte die Polizei in 65 Fällen Schusswaffen gegen Personen ein. Ums Leben kamen dabei 9 von ihnen, tödliche Schüsse sind also die Ausnahme. Die Polizei verzeichnete im Jahr 2023 nur einen unzulässigen Schusswaffengebrauch gegen Personen.

Schüsse auf Autoreifen

Rechtliche Rahmenbedingungen, Schießen unter stressigen Bedingungen, Deeskalationstechniken und gefährliche Situationen ohne Waffeneinsatz – all so etwas trainieren Polizeianwärter immer und immer wieder in ihrer Ausbildung. Bei dem eingangs beschriebenen Szenario beim Konzert könnten mildere Maßnahmen zum Beispiel Deeskalationstechniken sein, bei einer Geiselnahme Verhandlungsversuche mit dem Geiselnehmer oder in anderen Fällen der Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken.

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Es gibt weitere Fälle, in denen die Polizei nicht einfach auf Personen schießen darf: Wenn nämlich auch der Schusswaffengebrauch gegen Sachen zum Erfolg führen könnte. In der Silvesternacht 2016 wurden beispielsweise bei einem Einsatz der Hamburger Polizei gegen Randalierer gezielte Schüsse auf Fahrzeugreifen abgegeben. Damit wollte man sie stoppen und die Situation unter Kontrolle bringen.

Taser als Alternative

Besondere Regeln gibt es für den Schusswaffengebrauch gegen Personen, die dem äußeren Eindruck nach noch nicht 14 Jahre alt sind. Hier dürfen sie nur eingesetzt werden, wenn der Schusswaffengebrauch das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben ist.

Nach dem Vorfall in München hat die dortige Deutsche Polizeigewerkschaft ihre Forderung nach dem Einsatz von Tasern für jeden Streifenwagen erneuert. Bislang sind nur Sondereinsatz- und Unterstützungskommandos damit routinemäßig ausgestattet. Sie könnten, so schreibt die Gewerkschaft "guter Lückenschluss zwischen Pfefferspray und Dienstwaffe" sein.

Über den Gesprächspartner:

  • Klaus Nachtigall ist ehemaliger LKA-Ermittler aus Berlin.

Verwendete Quellen

Waffenrecht soll verschärft werden

Das Bundesinnenministerium will das Waffenrecht in Deutschland verschärfen. Aus Sicht des Ministeriums müsse "der Schutz der Bevölkerung vor Missbrauch von Waffen und Messern verbessert werden".
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