Teile der Carolabrücke in Dresden stürzen in die Elbe. Den Verkehr und die Wärmeversorgung trifft das hart. Aber: Es hätte noch viel schlimmer kommen können. Ein Experte spricht bereits über eine mögliche Ursache.
Nur knapp ist Dresden beim teilweisen Einsturz der Carolabrücke einer Katastrophe entgangen. Ein etwa 100 Meter langes Stück, über das Straßenbahngleise sowie ein Fuß- und Radweg führten, stürzte mitten in der Nacht in die Elbe. Ein weiterer Abschnitt ist einsturzgefährdet. Zum Glück wurde niemand verletzt oder gar getötet. Die Polizei sieht keine Anhaltspunkte für eine Fremdeinwirkung, sie geht von einem Unglück aus. Doch was war der Auslöser für das Desaster?
Nur Minuten zwischen letzter Straßenbahn und Einsturz
Die Brücke gilt als eine der wichtigsten Verkehrsadern in der Stadt, in der Innenstadt überspannt sie die Elbe. Der Einsturz hätte noch schlimmer enden können: Nur 18 Minuten vor dem Teileinsturz hat die letzte Straßenbahn die Carolabrücke passiert. Die Straßenbahn sei um 2.50 Uhr über die Brücke gefahren, die Brücke sei um 3.08 eingestürzt, teilten die Verkehrsbetriebe mit. Dem Fahrer dieser Bahn gehe es gut, er können weiter arbeiten.
"Glauben Sie mir, das ist ein Morgen, den wollen Sie nie erleben."
Als Holger Kalbe, verantwortlich für die Sicherheit aller Brücken in Dresden, am Morgen vor die Presse tritt, wirkt er sichtlich erschüttert. "Glauben Sie mir, das ist ein Morgen, den wollen Sie nie erleben", sagte der Abteilungsleiter Brücken- und Ingenieurbauwerke bei der Stadt Dresden.
Die ersten Informationen zum Brückeneinsturz bei der Polizei kamen in der Nacht von den eigenen Kollegen: "Bei uns ging heute kurz nach 3:00 Uhr die erste Meldung ein. Das waren unsere eigenen Kollegen, die 50 Meter entfernt an der jüdischen Synagoge Objektschutzmaßnahmen durchführen", berichtete Polizeisprecher Thomas Geithner. "Sie haben es beschrieben als großes, schwere Geräusch. Der Boden hat gewackelt."
Vermutung zur Ursache: War es Korrosion?
Sachsens Ministerpräsident
Die Carolabrücke ist eine Spannbetonbrücke aus dem Jahr 1971. Zwei ihrer Brückenzüge, die Teile A und B, wurden in den vergangenen Jahren bereits saniert. Eingestürzt ist nun der Teil C, der im nächsten Jahr saniert werden sollte. "Das ist ein Risiko, mit dem wir uns seit vielen Jahren auseinandersetzen", sagte Abteilungsleiter Kalbe. "Dass der Zustand im Zug C so schlimm ist, dass es zum Einbruch gekommen ist, das war nicht voraussehbar."
Die Ermittlungen zur genauen Unglücksursache laufen noch, aber Holger Kalbe äußerte zumindest eine Vermutung: Korrosion könnte verantwortlich sein – eine Folge von mangelhafter Wartung in der Vergangenheit. "Wir haben hier zu DDR-Zeiten massiven Chlorid-Eintrag gehabt", sagte Kalbe. Zwar sei bereits Chlorid entzogen worden, aber an der Stelle, wo das Brückenteil einbrach, habe ein Mast der Verkehrsbetriebe gestanden. Es sei denkbar, "dass an der Stelle massiv die Chloride eingedrungen sind und dort im Inneren der Brücke zu einer Korrosion der Bewehrung geführt haben".
Die Leiterin des Dresdner Straßen- und Tiefbauamtes, Simone Prüfer, betonte, dass die Brücke regelmäßig überprüft und kontrolliert worden sei. Zweimal pro Jahr habe es Besichtigungen gegeben, die letzte große Prüfung liege etwa drei Jahre zurück. Eine Erklärung für das Versagen des Bauwerks habe sie noch nicht, sagte Prüfer.
Brückenbauspezialist: "Ein Desaster", das "niemand vorhergesagt hat"
Der Brückenbauexperte Steffen Marx bezeichnete den Einsturz als Desaster. "Es ist insbesondere auch deswegen ein Desaster, weil es niemand vorhergesagt hat", sagte Marx, der Professor am Institut für Massivbau an der TU Dresden ist, vor Ort. "Das Bauwerk muss man heute unter komplett einsturzgefährdet verbuchen."
Als eine der ersten großen Spannbetonbrücken in der DDR habe die Carolabrücke alle Defizite, die ein solches Bauwerk aus der Frühzeit der Spannbetonbrücken habe. "Ein besonders tragisches Defizit ist, dass die Brücke keine Redundanzen hat, das heißt: Wenn irgendwas ist, folgt der Einsturz", erläuterte Marx.
Hochwasser erwartet
Der Einsturz wirkte sich auch auf die Fernwärmeversorgung in Dresden aus. Zwei Leitungen barsten, das ausströmende Wasser setzte Teile des Terrassenufers komplett unter Wasser. Erst nach und nach können Stadtteile wieder ans Netz genommen werden.
Und die Einsatzkräfte blicken mit Sorge auf die Wettervorhersagen: Es könnte ein Elbehochwasser kommen. Das ist wegen der Trümmer im Fluss ein Problem. Laut Deutschem Wetterdienst werden unter anderem in Zentral-Tschechien und im Isergebirge extrem ergiebige Regenfälle erwartet. Das werde sich auf die Elbe und andere Flüsse auswirken – das Wasser soll steigen.
Einsturzort großräumig abgesperrt
Die Polizei sperrte den Einsturzort großräumig ab. Der Autoverkehr und Straßenbahnen wurden umgeleitet. Menschen sollten sich möglichst fernhalten. Trotzdem versammelten sich Hunderte Schaulustige an der Elbe, um einen Blick auf die eingestürzte Brücke zu erhaschen.
Die noch stehenden Brückenteile können bis auf Weiteres nicht genutzt werden. Es werde keine kurzfristige Freigabe der beiden übrigen Brückenzüge geben, sagte Kalbe. Der eingestürzte Teil sei an einer Stelle mit den anderen Brückenzügen verbunden gewesen. Auch dort habe es einen Schaden gegeben. Die gesamte Konstruktion müsse nun überprüft werden.
Polizei geht von Unglück aus
Der eingestürzte Brückenzug sollte im nächsten Jahr saniert werden. Zudem sollte noch bis Ende des Jahres ein Verkehrsversuch auf der Brücke laufen, mit dem Ziel, sie für Fahrradfahrer und Fußgänger sicherer zu machen. Der Versuch und das Vorhaben wurden kontrovers diskutiert.
Die Polizei geht bei dem Teileinsturz bislang von einem Unglück aus. "Es gibt null Anhaltspunkte für irgendein strafbares Verhalten. Es gibt kein Ermittlungsverfahren", sagte Polizeisprecher Geithner. Es gehe nun darum, die genaue Ursache zu klären. Sollte sich dabei herausstellen, dass Fehler gemacht worden seien, dann würde auch ein Strafverfahren eingeleitet, sagte Geithner. "Aber diese Anhaltspunkte fehlen im Moment." (Birgit Zimmermann und Christiane Raatz, dpa/bearbeitet von tas)
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