Eiligst erarbeiten Stadt und Polizei nach den Übergriffen auf geschätzt 100 Frauen in der Silvesternacht in Köln einen Maßnahmenkatalog für den Karneval. Polizeigewerkschafter Radek erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion, ob die Vorschläge solche Delikte verhindern können.
Das Thema polarisiert. Ein Mob von Männern bedrängt in der Silvesternacht auf der Domplatte in Köln mehr als 100 Frauen. Eine soll vergewaltigt worden sein, viele mehr sexuell belästigt. Munter wird die Verantwortung für das angebliche Versagen zwischen den Behörden hin-und hergeschoben. "So kann die Polizei nicht arbeiten", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière in den "Tagesthemen" vor einem Millionenpublikum.
"In dieser Weise pauschal über die Polizei in Köln herzufallen, ist unanständig. Das gehört sich nicht", sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Rainer Wendt, dem Radiosender "HR-Info". Die Kölner Bevölkerung ist indes vor dem nahenden Karneval verunsichert. Stadt und Polizei reagieren mit einem Maßnahmenkatalog. Wie dieser aussieht, was er bringt - und warum nicht schon früher etwas geschah.
Wie sehen die Maßnahmen aus?
Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers kündigt an, die Zahl der Einsatzkräfte zu erhöhen. Es werde "mehr Präsenz Uniformierter" geben. Auch Beamte in Zivil sollen zum Einsatz kommen. Durch sie sollen stärkere Kontrollen gewährleistet sein.
Die Stadt plant zudem einen Verhaltenskodex. "Die Spielregeln an Karneval müssen wir Menschen fremder Kulturen besser erklären", sagt Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos). Offenherzigkeit dürfe nicht mit Freizügigkeit verwechselt werden, zitiert sie der "Express". Reker spricht zudem von Verhaltenshinweisen für junge Frauen und Mädchen.
Weitere Maßnahmen sind laut Albers Platzverbote und Meldeauflagen für polizeilich bekannte Taschendiebe. Bei diesen gibt es offenbar Überschneidungen mit mutmaßlichen Tätern aus der Silvesternacht. Polizeibekannte Personen sollen intensiver überwacht werden und es werde eine temporäre Videoüberwachung mit mobilen Videoanlagen geben.
Wie sinnvoll sind die Maßnahmen?
"Die mobile Videoüberwachung ist ein probates Mittel", sagt der GdP-Vizevorsitzende Jörg Radek im Gespräch mit unserer Redaktion. Am ehesten durchschlagend seien Meldeauflagen und Betretungsverbote, erklärt er.
"Die Frage ist, inwieweit die Gerichte solche Meldeauflagen auch bestätigen. Ob sie sagen, die Polizei hat mit ihrer Gefährdungsprognose Recht." Natürlich sei es zudem gut, Verhaltensregeln zu geben, meint er. "Aber wir müssen uns fragen: Reicht das, was wir in unserer deutschen Gesellschaft an Anstandsregeln ausgearbeitet haben?"
Viel Spott bekam Reker wegen ihres Vorschlages. "Es ist immer eine Möglichkeit, eine gewisse Distanz zu halten, die weiter als eine Armlänge betrifft", hatte die Oberbürgermeisterin gesagt. Viele Menschen in den sozialen Medien reagierten mit Unverständnis. Unter dem Hashtag #einearmlaenge echauffierten sie sich auf Twitter. Ein User schrieb: "Ich könnte platzen! Bekommen Frauen jetzt eine Mitschuld, wenn sie sich nicht an die Verhaltensregeln halten?"
Können die Maßnahmen Übergriffe verhindern?
Nicht per se. Man solle sich nicht der "Illusion" hingeben, mit Videoüberwachung könne man Tätern "individuell und konkret Straftaten" nachweisen, meint GdP-Vorsitzender Wendt. Andere Maßnahmen wirken wohl besser.
"Ich finde gut, dass die Oberbürgermeisterin gesagt hat, dass sich die Stadt Köln jetzt grundsätzlich als Veranstalter erklärt. In diesem Fall gab es nämlich keinen Veranstalter, keinen konkreten Ansprechpartner für die Polizei", sagt GdP-Vizevorsitzender Radek. Dass Reker gesagt habe, die Stadt werde künftig als Veranstalter Verantwortung übernehmen, erleichtere die Zusammenarbeit.
Einen Verhaltenskodex für Frauen sieht auch er kritisch. "Die Silvesternacht lebt davon, dass man sich begrüßt, sich Glückwünsche ausspricht. Das geht einher mit menschlichen Kontakten. Da kann es zu einer Situation kommen, in der die Grenzen nicht mehr eindeutig sind", sagt er. "Das begünstigt Übergriffe." Sehr wohl dürfe man daraus keine Einladung schlussfolgern. Ergo: Es liegt nicht an den Frauen, sich schützen zu müssen.
Wieso wurde nicht früher was unternommen?
Die Lage wurde falsch eingeschätzt, weil sie die Polizei schlicht nicht vorhersehen konnte. Derart große Gruppen hätten sich bisher nur an den Ringen getroffen. "Die sexuellen Übergriffe sind neu", schildert der Kölner Polizeipräsident Albers.
Und Wendt meint im Gespräch mit "WDR 5": "Die Polizei kann nicht immer alle Eventualitäten voraussehen." Alle wüssten, dass dieses Ereignis in seiner Dimension bislang einmalig gewesen sei. Radek pflichtet bei: "Es waren Polizeikräfte vor Ort, man hat eine Gefährdungsanalyse gemacht. Es war aber nicht absehbar, dass sich die Lage so entwickeln würde, wie geschehen."
Was sind die Schwächen der geplanten Maßnahmen?
Erstens, die nicht geklärte Zuständigkeit. "Eine Prävention zu entwickeln, kann nicht die polizeiliche Aufgabe sein", meint Radek.
Sein Kollege Wendt wird noch deutlicher: Dass nicht entschiedener gegen organisierte Diebesbanden vorgegangen werde, müsse man der Justiz vorwerfen, meint er. "Ich bin auch verwundert darüber, dass man immer erst Opfer braucht, bis man zu vernünftigen politischen Entscheidungen kommt, nämlich mehr Personal, bessere Technik und hoffentlich auch bald vernünftige Gesetze."
Zweitens, der offensichtliche Personalmangel der Polizei. "Die Bundespolizei hat ein grundsätzliches Personalproblem. Um die Aufgaben an der deutsch-österreichischen Grenze zu bewältigen, müssen wir uns im bahnpolizeilichen Bereich entblößen", sagt Radek "Die Bundespolizei muss sich teils aus Bahnhöfen zurückziehen, teilweise Reviere schließen. Da gehört der Kölner Hauptbahnhof sicher nicht dazu."
Wendt dagegen sagt Medienberichten zufolge: "De Maizière muss die Frage beantworten, wo die vielen Bundespolizisten waren, die am Kölner Hauptbahnhof eigentlich auf dem Dienstplan stehen." Diese würden "zweckentfremdet" in Bayern für die Grenzsicherung eingesetzt.
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