Kraftwerke fahren wegen des Kohleausstiegs ihre Kapazitäten zurück. Dadurch könnte die Leerung der vollen Mülltonne künftig deutlich teurer werden. Geht es nach Forschern, muss das nicht zwingend so sein. Entscheiden muss das aber die Politik.
Staubsaugerbeutel, Katzenstreu, Windeln oder Stoffreste - und ruckzuck ist die Mülltonne voll. Rund 13,1 Millionen Tonnen Haus- oder auch Restmüll haben die Deutschen laut Statistischem Bundesamt 2017 und 2016 pro Jahr produziert.
Wenn die Bürger für die Abholung der schwarzen Tonne künftig tiefer in die Tasche greifen muss, kann das auch am geplanten Ausstieg aus der Braunkohle liegen. Denn ein Teil der aus dem Hausmüll hergestellten sogenannten Ersatzbrennstoffe (EBS) wird dann nicht mehr in den Kohlekraftwerken zur Stromerzeugung mitverheizt. Experten sehen daher derzeit eine Verunsicherung auf dem Müllmarkt.
Kohlekraftwerke: Energieerzeugung aus Abfällen
Im Zuge der Energiewende würden sukzessive Kohlekraftwerke außer Betrieb genommen, heißt es in einer Studie mit dem Titel "Energieerzeugung aus Abfällen - Stand und Potenziale in Deutschland bis 2030", die das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau-Roßlau im Juni 2018 veröffentlicht hat. Damit werde in absehbarer Zeit auch die Mitverbrennung von Abfällen in diesen Anlagen nicht mehr möglich sein. "Da dieser Prozess bis zum Jahr 2030 weitestgehend abgeschlossen sein sollte, wurde bei der Prognose keine Behandlungskapazität für Abfälle in Kohlekraftwerken in 2030 mehr berücksichtigt", schreiben die Autoren.
Damit legen sie eine in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtete Problemzone des Kohleausstiegs frei. Denn die Studie hält fest: 2015, als laut Bundesumweltministerium 14,1 Millionen Tonnen Hausmüll in Deutschland angefallen sind, wurden mehr als 1,5 Millionen Tonnen Müll in Form von Ersatzbrennstoffen in Kohlekraftwerken mitverfeuert. "Die dadurch frei werdenden, bislang mitverbrannten Abfallmengen müssen auf andere Verbrennungsanlagen übergehen", hält die Interessengemeinschaft der thermischen Abfallbehandlungsanlagen Deutschland (ITAD) in ihrem Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2018 fest.
Wohin mit dem übrig gebliebenen Müll?
In Chemnitz ist das Thema schon in der Gegenwart aktuell. In der Mechanisch-physikalischen Restabfallbehandlungsanlage (Raba) werden aus Hausmüll Ersatzbrennstoffe hergestellt. Direkt neben der stillgelegten und sanierten Mülldeponie werden seit 2005 Haus- und Gewerbemüll so aufbereitet, dass Metalle, Feststoffe wie Glas oder Minerale und Wasser getrennt werden. Übrig bleiben Brennstoffe in Form von Pellets, die aussehen wie zusammengedrückte Wollmäuse.
Pro Jahr werden in der Fabrikhalle etwa 120.000 Tonnen Restmüll von mehr als 800.000 Menschen aus Chemnitz sowie aus Teilen der Landkreise Mittelsachsen und Erzgebirge verarbeitet. Zwei Drittel des Abfalls - rund 80.000 Tonnen - werden zu EBS. Noch werden die Pellets per Lkw zum Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg gefahren und dort für die Stromerzeugung mitverbrannt. Ab kommenden Sommer ist damit Schluss. In Jänschwalde wurde am 1. Oktober der zweite von sechs Kraftwerksblöcken vom Netz genommen.
"Der Kohleausstieg ist ein Unsicherheitsfaktor für die Müllentsorgung. Wenn ein Block wegfällt, bleibt Müll liegen", sagt Knut Förster, Geschäftsführer der kommunalen Abfallverwertungsgesellschaft Chemnitz (AWVC). So auch in seinem Unternehmen. Bei der neuen Ausschreibung für einen Müllentsorger hat sich Jänschwalde nicht mehr beworben.
Preise für Entsorgung steigen an
Die bisher 3500 Lkw-Ladungen Pellets werden vom 1. Juni 2020 an zur Müllverbrennungsanlage Zorbau in Lützen in Sachsen-Anhalt transportiert - mit erheblichen finanziellen Folgen für die Verbraucher. Laut Förster sind die Preise für die Entsorgung in die Höhe geschossen: Die AWVC hat bislang 35 Euro pro Tonne EBS an Jänschwalde gezahlt. Inklusive Logistik und Transport summierte es sich auf 61 Euro je Tonne. Künftig werden 65 Euro pro Tonne fällig - ohne Transport und Logistik. "Das bezahlen uns die Gebührenzahler. Die Preise werden eins zu eins durchgereicht. Wir machen keinen Gewinn", sagt Knut Förster.
Als Grund für die hohen Kosten vermutet Hans-Dieter Kowalski, Leiter des Referats Wertstoffwirtschaft im Sächsischen Umweltministerium (SMUL), den höheren Heizwert von EBS im Vergleich zu unbehandeltem Müll. Dadurch gebe es einen geringeren Durchsatz, die Erlöse aber hingen vom Durchsatz ab, sagt er. Der Heizwert von EBS liegt bei 12 bis 15 Megajoule pro Kilogramm, der von Hausmüll bei 10.
Das Institut für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (IEC) an der TU Bergakademie Freiberg geht davon aus, dass von den 7,9 Millionen Tonnen EBS, die jährlich bundesweit anfallen, 700.000 Tonnen in Kohlekraftwerken verbrannt werden. Mit dem Kohleausstieg fehlen dafür Abnehmer. "EBS sind auf dem Markt, aber keiner will es haben", sagt Knut Förster.
Müllverbrennungsanlagen sind fast ausgelastet
In Deutschland gibt es 32 EBS-Kraftwerke mit einer Kapazität von 6,3 Millionen Tonnen pro Jahr. Laut Umweltbundesamt waren sie 2016 mit 5,7 Millionen Tonnen pro Jahr zu mehr als 90 Prozent ausgelastet. Noch prekärer stellt sich die Situation bei Müllverbrennungslagen dar: Die bundesweit 66 Müllverbrennungsanlagen waren 2016 zu 97,5 Prozent ausgelastet.
In Freiberg wurde ein bereits bekanntes Verfahren zur Müllverbrennungsanlage weiterentwickelt. Kohlenstoffhaltige Feststoffe werden bei bis zu 1600 Grad Celsius und einem Druck von 60 bar in ihre Grundmoleküle Wasserstoff, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Wasserdampf aufgespalten. Die Gase können als Ausgangsstoffe für die Petrolchemie dienen. Statt Asche entsteht verglaste Schlacke, die in der Bauindustrie verwendet werden kann. Der Kohlendioxid-Ausstoß ist nach Institutsangaben halb so hoch wie bei der Müllverbrennung.
Auf dem Uni-Gelände steht eine Pilotanlage. Meyer und Lee machen politische Hemmnisse dafür verantwortlich, dass noch nicht mehr daraus geworden ist. Es fehle an einem Bekenntnis zum chemischen Recycling und den entsprechenden gesetzlichen Grundlagen. "Ein Gesetz für das chemische Recycling ist Grundlage für Investitionen", sagt Roh Pin Lee. (dpa/kad)
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