Die Großoffensive der Anti-IS-Allianz auf die irakische Millionenstadt Mossul hat begonnen. Während viele Beobachter von einer deutlichen Niederlage der Terrormiliz ausgehen, meldet der Militärexperte Walter Feichtinger Bedenken an. Besonders die Kampfmoral der zusammengewürfelten Allianz könnte zu einem Problem werden.

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Herr Feichtinger, was macht den Kampf um die irakische Metropole Mossul, die der sogenannte Islamische Staat 2014 erobert hatte, so gefährlich?

Walter Feichtinger: Der IS hatte mehr als zwei Jahre Zeit, um sich auf diesen Angriff vorzubereiten. Es ist davon auszugehen, dass er bis in die Vororte hinein Vorkehrungen getroffen hat. Dazu zählt die Verminung des Geländes, das Anbringen von Sprengfallen, der Bau von Unterständen, Bunkern und unterirdischen Verbindungsanlagen. Damit ist die Verschiebung der eigenen Kräfte auch bei Luftangriffen oder Granatfeuer möglich.

Was wird für den Kampfverlauf entscheidend sein?

Ein ganz bedeutender Faktor ist die Entschlossenheit und Kampfkraft der jeweiligen Elemente. Also der irakischen Sicherheitskräfte, der kurdischen Peschmerga, der schiitischen Milizen und sonstigen Verbündeten aus der Region auf der einen Seite sowie der IS-Kämpfer auf der anderen Seite. Gerade im Häuserkampf ist die Moral das Entscheidende, weil er meist mit hohen Opferzahlen und Aufwand verbunden ist.

Ist die Vielfalt der Anti-IS-Allianz ein Nachteil?

Der Begriff "Allianz" ist vermutlich übertrieben. Da kämpfen ganz verschiedene Gruppierungen. Es gibt ja Befürchtungen, dass schiitische Milizen eine zu große Rolle spielen könnten, wenn eine überwiegend sunnitische Stadt angegriffen wird. Man weiß nicht, wie das Verhältnis der irakischen Sicherheitskräfte zu diesen Milizen ist. Man weiß außerdem nicht, wie die Abstimmung mit den kurdischen Peschmerga funktionieren kann und wie die lokalen Milizen eingebunden werden. Es ist sehr schwierig, alle diese Gruppen zu koordinieren.

Was macht Mossul aus militärstrategischer Sicht so speziell?

Die Geschichte und die Besiedelung der Stadt. Die Eroberung Mossuls kann regionalpolitische Sprengkraft haben. Daher stellt sich die Frage: Welche ethnisch-religiöse Gruppen bewohnen welchen Stadtteil? Man wird versuchen, diese Stadtteile jeweils von "eigenen" Kräften befreien zu lassen. Es sollten vor allem keine Schiiten in einen sunnitischen Ortsteil vorrücken. Das macht die Planung natürlich sehr kompliziert. Es ist zu fragen, ob überhaupt genug sunnitische Kräfte für den Vormarsch verfügbar sind

Mossul, Islamischer Staat, Terror

Angst und Terror: Steht der Islamische Staat im Irak vor dem Aus?

Es könnte der Anfang vom Ende des sogenannten Islamischen Staats sein. In Mossul kämpfen irakische Truppen gegen die Terrormiliz. Mit einem Sieg wäre der IS im Irak zumindest militärisch weitestgehend geschlagen.

Wie wichtig ist die Luftunterstützung durch die US-geführte Koalition?

Sie spielt sicher eine Rolle, ich würde sie aber nicht überbewerten.

Warum?

Die Verteidiger haben sich darauf gut vorbereitet. Außerdem sollten Flächenbombardements wie in Aleppo ausbleiben, um eine zusätzliche Gefährdung der Bevölkerung möglichst zu vermeiden. Kommandozentralen oder Munitionslager können sehr wohl angegriffen werden. Aber im großen Ausmaß aus der Luft die Bodenoffensive zu unterstützen, das sehe ich sehr kritisch.

Wäre ein Sieg ohne Bombardements möglich?

Nein, die Luftangriffe sind schon ein ganz wesentliches Element. Man sollte nur nicht eine überzogene Erwartungshaltung haben. Der Kampf wird am Boden entschieden - so wie immer.

Werden westliche Elite-Soldaten wie die Delta Force zum Einsatz kommen?

Darüber ist nichts Großartiges bekannt, aber von ihrem Einsatz ist auszugehen. Vorwiegend US-Einheiten, aber vielleicht beteiligen sich auch andere Staaten.

Wie schlagkräftig sind die Kämpfer des Islamischen Staats?

Die Kräfte sind hochprofessionell, es handelt sich zum Teil um ehemalige irakische Offiziere und Soldaten. Die haben vermutlich alles unternommen, um das Eindringen nach Mossul zu einem äußerst schwierigen Unterfangen zu machen.

Wo liegen die Stärken des IS im Straßenkampf?

Nehmen Sie das Beispiel Kobane. Der IS hat die Stadt sehr zäh verteidigt. Nur dank einer großen zahlenmäßigen Überlegenheit der Kurden, ihrer extremen Kampfmoral und der massiven Luftunterstützung konnte er zurückgedrängt werden. Wenn man diese Fähigkeiten auf eine wesentlich größere Stadt wie Mossul überträgt, kann man erwarten, dass auch dort eine hohe Abwehrkraft besteht.

Die Allianz soll über rund 30.000 Kämpfer verfügen, der IS über zirka 5.000. Inwiefern macht der Straßenkampf diesen Vorteil zunichte?

Die zahlenmäßige Überlegenheit besteht für mich nur auf dem Papier. In einem Häuserkampf liegt der Verteidiger etwa mit einem Faktor Fünf im Vorteil. Das heißt, der Angreifer muss für einen Erfolg ein Mehrfaches an Personal aufwenden. Das liegt an der langen Vorbereitung und den Geländekenntnissen der Verteidiger.

Ist es denkbar, dass die IS-Kämpfer die Stadt aufgrund der enormen feindlichen Übermacht fluchtartig verlassen werden?

Das halte ich nicht für ausgeschlossen. Es sind erste Berichte im Umlauf, dass sich Dschihadisten Richtung Rakka, ihre syrische Hauptstadt, abgesetzt haben. Es gibt ja überhaupt verschiedene Szenarien. Derzeit sieht es nach einem zähen Ringen aus, das viele Monate dauern könnte. Aber es könnte auch die Strategie des IS sein, Mossul nicht bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen und dafür die Verteidigung von Rakka zu verstärken.

Zum Schluss eine Prognose. Wie lange wird der Angriff dauern?
Man muss erstmal die nächsten zwei, drei Wochen abwarten, ob überhaupt ein Angriffsschwung entsteht. Derzeit wurde ja noch nicht einmal der Stadtrand erreicht. Erst dann kann man sehen, in welche Richtung es geht.

Ist es denn denkbar, dass die Rückeroberung Mossuls misslingt?

Das ist für mich ohne weiteres eine Option. Es kann sein, dass es nicht gelingt, die ganze Stadt einzunehmen, dass sich in einigen Stadtteilen Widerstand halten kann. Es ist nicht gesagt, dass in den nächsten Monaten der große Sieg kommen muss.

Walter Feichtinger ist Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der österreichischen Landesverteidigungsakademie. Der Offizier war 2001 bis 2002 im Bundeskanzleramt in Wien als sicherheits- und verteidigungspolitischer Berater tätig. In Feichtingers Reihe "Internationale Sicherheit und Konfliktmanagement" erschien 2016 das Buch "Der (Alb)traum vom Kalifat"
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