- Die militant-islamistischen Taliban haben ihre Übergangsregierung für Afghanistan vorgestellt.
- Alle 33 Minister stammen aus den Reihen der Taliban, Frauen sind im Kabinett nicht vertreten. Deutschland und die EU reagierten mit Kritik auf die Liste.
- Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Wie ist das Übergangskabinett zusammengesetzt?
Alle nun bekannten 33 Minister und anderen Amtsträger sind Männer. Bis auf drei gehören alle der Ethnie der Paschtunen an. Zwei sind Tadschiken, einer ist Usbeke. Angehörige der Minderheit der Hasara sucht man vergebens.
Die Islamisten hatten ursprünglich erklärt, eine "inklusive Regierung" bilden zu wollen, also auch mit anderen Politikern. Alle 33 Minister stammen nun aber aus den Reihen der Taliban. Beobachter nennen es ein "Kabinett der Gewinner".
Dass keine Frauen hochrangige Posten bekommen, hatten die Taliban zuvor schon erklärt. Viele Ämter erhielten hochrangige Taliban, die bereits während der ersten Herrschaft der Islamisten in ähnlichen Funktionen tätig waren. Beobachter werten dies als Zeichen dafür, dass der konservative und religiös legitimierte Kern der Gruppe weitgehend unverändert ist.
Eine Überraschung ist die Benennung des wenig bekannten Mullah Mohammed Hassan Achund als Regierungschef. Mullah Abdul Ghani Baradar wird dessen Stellvertreter. Er war zuletzt das Gesicht der Taliban nach außen und hatte auch das Abkommen mit den USA über einen Truppenabzug unterzeichnet.
Können andere politische Kräfte noch in die Regierung geholt werden?
Theoretisch ja. Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid sagte, es handle sich um ein Übergangskabinett. Es wurden auch noch nicht alle Posten besetzt.
Da alle Schlüsselpositionen erst einmal an Taliban gingen, ist aber zu vermuten, dass Politiker von außerhalb nur symbolisch berücksichtigt werden und keinen wirklichen Einfluss erhalten. Zuletzt mehrten sich sogar Zeichen, dass die Taliban tatsächlich nur eigene Leute berufen.
Was bedeutet die Ernennung von Mullah Hassan zum Regierungschef?
Für den Afghanistan-Experten Thomas Ruttig von der Denkfabrik Afganistan Analysts Network ist die Ernennung von Mullah Hassan und der gleichzeitige Abstieg des bisherigen Chefverhandlers Mullah Baradar in die zweite Reihe kein gutes Zeichen an die internationale Gemeinschaft. Mullah Hassan sei als Außenminister während der ersten Taliban-Herrschaft sehr konfrontativ und nicht für gute Beziehungen zum Westen bekannt gewesen.
Werden andere Länder diese Regierung anerkennen?
Nun wächst der Druck, über eine Anerkennung einer Taliban-Regierung zu entscheiden. Als die Islamisten von 1996 bis 2001 an der Macht waren, wurden sie lediglich von drei Staaten anerkannt: Pakistan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Schnelle diplomatische Anerkennungen waren bisher nicht in Sicht. Mit dem jetzt vorgestellten Kabinett sind sie noch weniger wahrscheinlich, vor allem bei westlichen Staaten.
Bisher hieß es von vielen Ländern, eine mögliche Anerkennung hänge unter anderem davon ab, ob sich alle Bevölkerungsgruppen in der Regierung wiederfänden. Anders sieht dies etwa bei China aus. Manche Analysten gehen davon aus, dass Peking die Regierung in den kommenden Wochen oder Monaten anerkennen wird. Es gibt Befürchtungen, dass sich die Taliban wieder radikalisieren, sobald sie legitimiert sind.
Wie wird Deutschland mit der Taliban-Regierung umgehen?
Eine Anerkennung kommt in dieser Besetzung nicht in Frage. Auch für die in Aussicht gestellte deutsche Entwicklungshilfe sinken die Chancen deutlich. Die Bundesregierung hat dafür zur Bedingung gemacht, dass der Regierung Frauen und Vertreter anderer politischer Gruppierungen angehören. Solange das nicht der Fall ist, kann auch keine Entwicklungshilfe etwa für Infrastrukturprojekte fließen. Es geht dabei um einen dreistelligen Millionenbetrag.
Humanitäre Hilfe - zum Beispiel Nahrungsmittel oder medizinische Versorgung - wird es dagegen weiter geben. Die Bundesregierung wird auch den Gesprächsfaden mit den Islamisten nicht abreißen lassen. Sie ist weiter auf deren Kooperation bei den Bemühungen angewiesen, schutzbedürftige Afghanen außer Landes zu bringen.
Wie reagierte die Europäische Union auf das Übergangskabinett?
Die EU hat sich enttäuscht geäußert. Nach einer ersten Analyse erscheine es in Hinblick auf die reiche ethnische und religiöse Vielfalt des Landes nicht so inklusiv und repräsentativ wie erhofft, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Brüssel. Die Taliban hätten in den vergangenen Wochen andere Ankündigungen gemacht.
Der Sprecher wies darauf hin, dass die Bildung einer inklusiven und repräsentativen Übergangsregierung eine der fünf Bedingungen für eine beschränkte Zusammenarbeit mit den militant-islamistischen Taliban ist. "Diese Inklusivität und Repräsentativität wird bei der Zusammensetzung einer künftigen Übergangsregierung erwartet", sagte er. Die Übergangsregierung müsse das Ergebnis von Verhandlungen sein.
Mit welchen Herausforderungen ist die Taliban-Regierung konfrontiert?
Das Land befindet sich in einer schweren Krise. Die Nahrungsmittelpreise sind zuletzt massiv gestiegen, etwa ein Drittel der Bevölkerung braucht bereits jetzt dringend Nahrungsmittelhilfe. Guthaben der Regierung im Ausland sind seit der Machtübernahme der Taliban eingefroren, Hilfsgelder auf Eis gelegt.
Bereits zuvor wurde die internationale Unterstützung heruntergefahren. Fast 80 Prozent der Staatsausgaben wurden bisher von außen finanziert. Dürre und die Corona-Pandemie tragen das ihre bei. Die Taliban-Regierung wird also im permanenten Krisenmodus agieren müssen.
Werden die Taliban regieren wie zu ihrer Schreckensherrschaft vor 20 Jahren?
Bislang stellen sich die Islamisten gemäßigter dar. Sie werden nicht müde, auf eine Generalamnestie zu verweisen.
Es gibt allerdings Berichte über Tötungen von ehemaligen Sicherheitskräften. Trotz öffentlicher Erklärungen, dass ihnen freie Medien wichtig seien, wurden Journalisten geschlagen und festgenommen. Frauen wollen sie weiter nur beschränkt arbeiten lassen. Es besteht die Sorge, dass die Gruppe ihre Herrschaft erneut auf Unterdrückung und drakonischen Strafen gründet.
Wieso haben die Taliban nur eine Übergangsregierung ernannt?
Sprecher Mudschahid begründete dies damit, dass so die "notwendigen Regierungsarbeiten" angegangen werden könnten. Das könnte aber nicht der einzige Grund sein. Für die Taliban werde es einfacher sein, das Land so lange wie möglich interimistisch zu regieren, schrieb die Afghanistan-Expertin der Denkfabrik International Crisis Group, Laurel Miller, auf Twitter. Damit könnten sie schwierige und potenziell kontroverse Fragen vermeiden, welches Staatssystem Afghanistan haben solle, wie die Entscheidungsträger gewählt werden oder was nun mit dem Parlament sei. (dpa/fab)
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