Die Attacken von Würzburg, Nizza und Orlando haben nicht nur Fassungslosigkeit hinterlassen, sondern auch Grenzen verschoben: Die Übergange vom Amokläufer zum Terroristen werden immer fließender. Für die Behörden und Sicherheitskräfte wird es schwieriger, zu unterscheiden und präventiv Anschläge zu verhindern.

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Mittlerweile ist nicht mehr eindeutig, welche Motive bei Anschlägen vorherrschen. Die Behörden stehen immer häufiger vor der Frage, ob der sogenannte Islamische Staat (IS) Morde für seine Propaganda nutzt – oder ob Amokläufer den Islamismus nutzen, um sich ins weltweite Rampenlicht zu rücken. Was für die Toten und deren Angehörige Spitzfindigkeiten sind, macht politisch einen großen Unterschied.

Was versteht man allgemein unter "Terror"?

Der Begriff "Terror" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet wörtlich "Furcht" oder "Schrecken". Gemeint sind allgemein Gewalt und Gewaltaktionen wie Attentate oder auch Anschläge, die sich gegen eine politische Ordnung richten. "Einerseits sollen Unsicherheit und Schrecken verbreitet, andererseits sollen Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugt werden. Genau das sind die zwei Merkmale des IS-Terrors. Aus dessen Sicht sind die Anschläge aber kein Terror, sondern religiös gerechtfertigte Maßnahmen gegen Gottesfeinde", erklärt Sicherheitsexperte Jörg H. Trauboth im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ein islamistischer Terrorist ist bereit zu sterben, weil er daran glaubt, dass die islamistische Weltordnung und Lebensweise überall - wenn es sein muss auch mit Gewalt - durchzusetzen sei oder weil er zum Hass gegen Ungläubige erzogen wurde. Er vollzieht seine Taten religiös oder politisch motiviert. Im Unterschied zum gewöhnlichen Amokläufer tötet und stirbt er also für eine Überzeugung. Die verbreitete Irrglaube, wonach zwar nicht jeder Muslim ein Terrorist, aber jeder islamistische Terrorist zumindest ein Muslim sei, führt dabei aber zu gefährlichen Schlussfolgerungen.

So geschehen beim gerade nominierten US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Dieser pauschalisiert das Thema zu Wahlkampfzwecken und fordert schon seit langer Zeit und mit Nachdruck ein Einreiseverbot für Muslime in die Vereinigten Staaten. Doch: Ist jede Bluttat als IS-Anschlag anzusehen, weil der Attentäter und die Terrormiliz das behaupten? "Das schnelle Aufsatteln des IS auf die Attacken in Nizza und Würzburg ist mit Vorsicht zu genießen", meint Trauboth.

Eine akzeptierte wissenschaftliche Definition von Terrorismus gibt es nicht, weswegen jedes Land eine andere Auffassung von Terror hat und auch jeweils anders mit dem Thema umgeht. Jüngstes Beispiel sind die Anti-Terror-Gesetze in der Türkei, die der dortige Präsident Recep Tayyip Erdogan für seine Machtpolitik im eigenen Land missbraucht.


Was versteht man allgemein unter "Amok"?

Der Begriff "Amok" kommt aus dem Malaiischen und bedeutet wörtlich "im Kampf sein Letztes geben". Amok-Krieger in Südindien und Malaysia waren darauf trainiert, ihre Feinde ohne Rücksicht auf das eigene Leben anzugreifen. "Sieg oder Tod" hieß die Devise der Elitekämpfer. Häufig endete diese Taktik im kollektiven Selbstmord.

Beim Amoklauf handelt der Täter in einem Zustand äußerster Erregung und Konzentration - und meist frei von hemmender Angst. Deshalb ist es häufig nicht möglich, ihn zu überwältigen oder festzunehmen, weswegen er meist getötet wird. So geschehen in Würzburg, Nizza und Orlando. Ebenso wie die Amok-Krieger in Malaysia glaubte auch der Attentäter von Würzburg offenbar, für eine höhere Sache zu handeln. Das beweisen das Bekennervideo und der Abschiedsbrief, den er hinterlassen hat. Diese zeugen auch vom Hass, den er gegenüber seinen potenziellen Opfern hegte.

Der Begriff "Amok" bezieht sich also auf die Art und Weise, wie eine Tat ausgeführt wird: darauf, dass jemand ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben andere Menschen angreift. Der Begriff "Terror" bezieht sich auf die Absicht, durch die Handlung Angst und Unsicherheit auszulösen. Ein Amokläufer und ein Terrorist verletzten oder töten Menschen willkürlich. "Beide haben oft gemeinsam, dass sie ihren Tod bewusst oder billigend in Kauf nehmen", erklärt Trauboth.

"So wie es aussieht, waren es sowohl in Nizza als auch in Würzburg zwei psychisch gestörte Menschen, die mit ihrer letzten Tat nochmal etwas Großes bewegen wollten", schätzt der Sicherheitsexperte die Lage ein. Diese Definition ist vermutlich für sämtliche freiwilligen Kämpfer der Terrororganisation "Islamischer Staat" ebenso gültig.

Fließende Grenzen machen Terror-Prävention schwierig

Der Grund für die Schwierigkeit, Amokläufe und Terrorhandlungen auseinanderzuhalten, liegt in der Strategie des "IS". Denn dieser hat seinen "Kampf gegen die Ungläubigen" auf eine neue Ebene geführt. Wo es möglich ist, plant und realisiert der "IS" Anschläge selbst. Die Terrororganisation nutzt aber auch die Möglichkeit, Anhänger aus der Distanz zu Anschlägen zu bewegen. Sie radikalisieren sich vor Ort selbst und setzen ihre Pläne in die Tat um.

Zur Person: Jörg H. Trauboth ist Oberst a. D. der Luftwaffe, flog in Kampfflugzeugen PHANTOM und TORNADO und vertrat zuletzt die Interessen Deutschlands im Militärausschuss der NATO (Brüssel). Er quittierte mit 50 Jahren den Dienst und beriet als Krisenmanager europäische Unternehmen und Behörden in weltweiten Gefährdungslagen. Heute ist er Krisenmanagement-Sachbuchautor, gefragter Sicherheitsexperte und hat den neuen Terror in seinem Polit-Thriller "Drei Brüder" verarbeitet. Sein neues Sachbuch "Krisenmanagement in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen" erscheint im September 2016.
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