Bauern, Ärzte und Lokführer protestieren. Die Regierung und ihre Parteien haben nur geringe Beliebtheitswerte. Wo liegen die tieferen Ursachen für diese gesellschaftliche Unzufriedenheit und was kann dagegen getan werden?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Bauern stellen sich gegen Subventionsabbau, Ärzte fordern höhere Gehälter und die Lokführer wollen kürzere Arbeitszeiten durchsetzen. Bei den Bauernprotesten haben sich zuletzt auch verschiedene Handwerksgruppen und LKW-Fahrer angeschlossen.

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Die große Protestwoche der Bauern ist erstmal vorbei, doch wie es nun weitergeht, weiß niemand. Auch, wann der nächste Lokführerstreik kommt, steht in den Sternen. Die Konflikte sind nicht gelöst, Unsicherheit für die Beteiligten aber auch für die Bevölkerung hängt weiter über dem Land.

Derweil ist in den Augen der Bevölkerung Protest nicht gleich Protest. Für den Bahnstreik Mitte Januar hatten 54 Prozent der Menschen kein Verständnis, wie die Forschungsgruppe Wahlen ermittelte. Bei den Bauernprotesten sieht es hingegen ganz anders aus. Immerhin 68 Prozent der Befragten gaben an, den Unmut der Bauern nachvollziehen zu können.

52 Prozent fordern gar, dass es bei der Landwirtschaft gar keine Kürzungen geben dürfe. Ein ganz anderes Bild ergab sich im letzten Jahr bei den sogenannten "Klimaklebern", wie tagesschau.de berichtete. 85 Prozent erklärten in einer Umfrage, dass sie solche Aktionen nicht unterstützen könnten.

Menschen haben mehr Verständnis für Proteste der Bauern als für Klimaaktivisten

Doch woher kommt diese sehr unterschiedliche Wahrnehmung gegenüber Menschen, die einerseits für das Klima und andererseits für ihre eigenen Höfe demonstrieren? Denn eines haben sie ja gemeinsam: beide legen mit Blockaden den Verkehr lahm. "Die Landwirtschaft ist mit positiven Emotionen besetzt, wie Heimat und gesundem Essen", sagt der Zeithistoriker Philipp Gassert von der Uni Mannheim.

Bauern würden, anders als die Letzte Generation nicht als "sektiererische Randgruppe" wahrgenommen. Entscheidend sei zudem, dass die Bauern sich gegen "Zumutungen des Staates" wenden würden. Klimaaktivisten hingegen verlangten eine Änderung Lebensstils der Mehrheit der Bürger. "Das will keiner gern hören", so Gassert.

Die Bauern würden "dem Volk aus der Seele" sprechen, sagt der Historiker. Denn Unmut über Bürokratisierung und Überregulierung sei weit verbreitet in der Gesellschaft. Und an dieser Stelle finde sich auch ein verbindendes Element zu den Protesten von Ärzten und dem Pflegepersonal. Der wirtschaftliche Strukturwandel treffe auf eine generelle Unzufriedenheit vor dem Hintergrund von Inflation und politischer Unsicherheit.

Reformen belasteten immer zunächst einzelne Berufsgruppen stärker als andere, erklärt Gassert. Was die Lösung der Probleme jedoch erschwere: Der Handlungsspielraum des Staates sei begrenzt. Denn mögliche Zugeständnisse etwa bei Ärzten würden wiederum zu höheren Krankenkassenbeiträgen führen.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Historiker: "Diffuse Ängste" sind weit verbreitet

Doch es scheint tiefere Ursachen für jenes Unbehagen zu geben, das viele Menschen befallen hat. So hätten sich "diffuse Ängste" bei vielen Menschen eingeschlichen, erklärt Historiker Philipp Gassert. Nämlich jenes bedrückende "Gefühl, dass der Kuchen nicht größer wird, dass Wachstum nicht unendlich ist und Deutschland absteigen könnte".

Nun zeigten sich die Verletzlichkeiten, die damit einhergingen, wenn ein Land "Exportweltmeister" sei. Die Folgen des Krieges um die Ukraine und auch die Corona-Krise hätten gezeigt, wie abhängig Deutschland von weltweit funktionierenden Handelsketten sei.

Dies alles habe "das deutsche Wirtschaftsmodell in Frage gestellt", so Gassert. Hinzu komme aber nun noch, dass Energiesicherheit und Verkehr künftig klimagerecht gestalten werden müssten. Dies werde von vielen als eine weitere "Herkulesaufgabe" empfunden. Gassert warnt aber vor Schwarzseherei. Solch eine "negative Stimmung" sei "sehr deutsch. Vermutlich sind wir schon weiter als wir denken", bemerkt der Historiker.

Dass jedoch die Bundesregierung gegenwärtig als kraftvoller Schlichter, der hohes Vertrauen in breiten gesellschaftlichen Gruppen genießt, auftreten könnte, können sich derzeit wohl offenbar nicht viele Menschen vorstellen. Denn die Regierung als Ganzes, die sie tragenden Parteien und auch einzelne ihrer Politiker erreichen gegenwärtig nur sehr geringe Zustimmungswerte.

Laut aktuellem ARD-Deutschlandtrend sind gerade einmal 17 Prozent der Menschen mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden. Die Ampelparteien kommen zusammen nur noch auf 32 Prozent. Der Bundeskanzler genießt nur noch eine Zustimmung von 19 Prozent.

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Zivilgesellschaft müsse vor Radikalismus und Extremismus warnen

In diesem Zusammenhang weist der Historiker Philipp Gassert auf eine seit vielen Jahren stattfindende Veränderung im politischen System der Bundesrepublik hin. Gesellschaftliche Debatten über die seit Jahrzehnten bewährten Wege zu moderieren, funktioniere nicht mehr so gut wie früher, sagt der Mannheimer Historiker.

"Plötzlich gibt es Alternativen von Links und Rechts außen." Auch die in der Geschichte des Landes wichtigen Großorganisationen wie Gewerkschaften, Kirchen und Verbände hätten in ihrer Kraft stark nachgelassen. Durch die Digitalisierung hätten sich viele Diskussionen in den digitalen Raum verlagert. Die Debattenführung in diesem Umfeld falle den Parteien sichtlich schwer. Besonders der Regierung fehle eine überzeugende Kommunikationsstrategie.

Diese wirtschaftliche und politische Gemengelage wirkt äußerst kompliziert und schwer auflösbar. Die scheinbaren Patentlösungen der Neuen Rechten jedenfalls würden, so der Historiker, "ganz bestimmt nicht für mehr Wohlstand sorgen, sondern zu sozialem Abstieg und Katastrophe führen". Vielmehr sei es eine zivilgesellschaftliche Aufgabe "vor Radikalismus und Extremismus zu warnen und sich vor die liberale Demokratie zu stellen."

Über den Gesprächspartner

  • Philipp Gassert ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim

Verwendete Quellen

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