Ein Handy wurde beschlagnahmt, ein Mann festgenommen, sechs Tote identifiziert - doch noch sind nach dem Anschlag in Berlin viele Fragen offen. Unter anderem, ob hinter der Tat doch mehre Täter stecken. Ob gegen den Verdächtigen Haftbefehl beantragt wird, entscheidet sich hingegen bald.
Noch sei nicht abschließend geklärt, ob man den Falschen verhaftet habe. Auch ob ein Täter oder mehrere am Werk gewesen seien, wisse man noch nicht. Fast eine Stunde lang haben Generalbundesanwalt Peter Frank, BKA-Chef Holger Münch und der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt auf einer Pressekonferenz über den aktuellen Stand der Ermittlungen informiert. Und konnten dennoch viele Fragen nicht beantworten.
Man warte noch gewisse Untersuchungsergebnisse ab, um zu beurteilen, ob der Verdächtige tatsächlich der Täter sei, erklärt Frank. Dazu gehörten etwa kriminaltechnische Untersuchungen. Es bestehe aber die Möglichkeit, dass er es nicht sei - und dass man deswegen keinen Haftbefehl beantragen werde.
Die Frage sei nicht, ob man Beweise gefunden habe, die den Verdächtigen entlasteten, betonte Münch. Vielmehr gehe es darum, belastende Beweise zu finden. Zudem müsse man den Tatablauf rekonstruieren. Der Verdächtige stand Kandt zufolge nach der Tat "nicht lückenlos unter Beobachtung".
Sechs der elf toten Weihnachtsmarktbesucher sind inzwischen identifiziert: Sie waren deutsche Staatsbürger. Der zwölfte Tote ist der polnische Mann, der auf dem Beifahrersitz des Lkw gefunden worden war.
Ein Täter oder mehrere?
Die Generalbundesanwaltschaft "geht von einem terroristischen Hintergrund aus", sagte Frank. Ermittelt werde zunächst wegen mehrfachen Mordes und versuchten Mordes. Wegen einer "besonderen Bedeutung des Falles" habe die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich gezogen - auch aufgrund der Ähnlichkeit mit der Fahrt in Nizza und des damit beabsichtigten Aufsehens. In der Behörde ist die Abteilung Terrorismus mit dem Fall betraut.
Unklar ist indes, ob noch immer ein bewaffneter Tatverdächtiger auf freiem Fuß sein könnte. BKA-Chef Münch konnte dies zumindest nicht ausschließen. an sei "hochalarmiert", um eventuelle Tatbeteiligte zu identifizieren. Man wisse nicht, ob es nur einen einzigen Täter gebe.
Kandt betonte jedoch, es sei "nicht zwingend notwendig", dass mehr als eine Person beteiligt gewesen sei. Die Tat sei "logistisch nicht so anspruchsvoll" gewesen.
Dem Polizeipräsidenten zufolge befindet sich die Berliner Polizei rund um die Uhr in einem Sondereinsatz. In den kommenden Tagen werde die Polizeipräsenz erhöht, um im Bedarfsfall eingreifen zu können. Kandt rechnet damit, dass die Maßnahme jedenfalls bis Silvester greifen wird.
Islamistischer Hintergrund nicht ausgeschlossen
In der Vergangenheit habe man häufig recht schnell ein Bekennervideo bekommen, sagte Frank. Bisher gebe es jedoch noch keine Bekennerschreiben oder ähnliches. Daher sei der Hintergrund des Anschlags noch nicht abschließend geklärt.
Das Ziel und die Vorgehensweise legten zwar einen islamistischen Hintergrund nahe, es könne sich jedoch auch um einen Nachahmungstäter handeln.
Münch betonte, ein Verdächtiger sei noch kein Täter. Auch wenn man einen Verdächtigen habe, müsse man die Ermittlungen in mehrere Richtungen weiterführen.
Beschlagnahmtes Handy wird ausgewertet
Die Polizei durchsuchte in der Nacht die Flüchtlingsunterkunft im früheren Flughafen Tempelhof, weil der festgenommene Tatverdächtige dort vermutlich untergebracht war. Kandt: "Ich glaube schon, dass wir die richtige Schlafstelle da auch gefunden haben."
Bei der Aktion wurde ein Mobiltelefon beschlagnahmt. "Wir haben ein Handy gefunden, das wir auswerten", sagte Berlins Polizeipräsident, machte jedoch keine weiteren Angaben. Die Auswertung des Telefons sei noch nicht weit genug fortgeschritten.
Zwar war der Festgenommene polizeilich bekannt, aber nicht im Zusammenhang mit Waffen oder wegen möglicher Kontakte ins islamistische Spektrum. Er sei "kein eingestufter Gefährder" gewesen, sagte Münch.
Um 24:00 Uhr läuft Frist für Haftbefehl ab
Auf jeden Fall wird sich noch heute klären, wie mit dem Verdächtigen weiter verfahren wird: Bis 24:00 Uhr hat der Generalbundesanwalt Zeit, einen Haftbefehl gegen den Verdächtigen zu beantragen. "Es ist möglich, dass wir heute Abend entscheiden: Er ist es aus unserer Sicht nicht", sagte Frank.
Nach Angaben von Klaus Kandt sind die Beschreibungen des geflüchteten Täters nicht konkret genug. BKA-Chef Münch betonte, man müsse das Ergebnis der Spurensicherung abwarten.
Keine größere Gefahr
Man könne Weihnachtsmärkte auch nicht zu Burgen ausbauen, sagte der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt auf die Frage, warum auf der Zufahrt zum Breitscheidplatz keine Betonblöcke aufgestellt worden seien. Es gebe Hunderte sogenannter weicher Ziele, nicht nur Weihnachtsmärkte: "Es gibt so viele Möglichkeiten, mit einem Lkw Menschen zu töten."
Die Gefahr sei heute nicht größer als gestern: Darin waren sich die Behördenvertreter einig. Schon vor der Tat hätten die Sicherheitsbehörden von einer ernstzunehmenden Bedrohungslage in Deutschland gesprochen. Diese Einschätzung habe sich nun bestätigt.
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