Beleidigungen, Anschuldigungen, Lügen: Donald Trump macht immer wieder durch sein auffälliges Verhalten Schlagzeilen und irritiert damit Politiker rund um den Globus. Eine Psychologin versucht, sein Vorgehen zu erklären.
Was will
Donald Trump wird von namhaften US-Psychologen und Psychiatern eine narzisstische Persönlichkeitsstörung attestiert. Wie bewerten Sie das?
Kornyeyeva: Meines Erachtens ist es kontraproduktiv, ihn zu pathologisieren, also als krank zu bezeichnen. Damit entlässt man ihn zu rasch aus seiner Verantwortung und nimmt ihn nicht ernst genug. Wichtig ist es, angemessen auf ein unangemessenes Verhalten zu reagieren.
Der Narzisst versucht durch äußere Anerkennung ein inneres Defizit zu kompensieren. Wie anfällig ist die Politik durch Macht, Öffentlichkeit, Geltung und Gestaltungsspielraum für solche Menschen?
Es geht hier mehr um die Wertsysteme als um Auffälligkeiten. Für einen Politiker ist Frieden von Wert, für den anderen sind es womöglich mehr die militärische Auseinandersetzungen und die damit verbundenen Profite. Politiker sind in Demokratien ein Ergebnis der Wahlen und nicht zuletzt ein Spiegel der unerfüllten Bedürfnisse der Wähler. Ein Narzisst erzeugt bekanntlich eine gewisse Faszination, aber nur wenn er den Faszinierten etwas Wertvolles verspricht, das ihrem unerfüllten Bedürfnis entspricht.
Was spiegelt sich in Trump?
Der erodierende Mittelstand in den USA, der nach Jahren des Niedergangs in seinen Worten und Machtphantasien ein attraktives Versprechen erkennt. In seiner Wahlkampagne positionierte er sich als "anti-elitär", was der realen Lage nicht entspricht.
Im Interview mit der "Bild" und der "Times" sagt Trump, er halte die Nato für überflüssig. Wenig später sagt er, die Nato sei ihm sehr wichtig. Wie sind solche total gegensätzlichen Aussagen zu interpretieren?
Er folgt in seinen Antworten ganz seinen Gefühlen und prüft nicht, ob das Gesagte auch nach Abwägung aller Argumente von ihm verantwortet werden kann. Ein selbständiger Mensch, der seine Linie bewusst überlegt hat, handelt ganz anders. Das ist für einen angehenden Präsidenten schon erstaunlich.
Trump hat Mexikaner als Vergewaltiger bezeichnet, Frauen als Schweine, er hat einen behinderten Reporter nachgeäfft. Was sagt das über ihn aus?
Aus seiner Erfahrung hat Trump gelernt, dass er von solchen Ausfällen mehr profitiert als von einem wertschätzenden Verhalten. Für ihn ist die Herabsetzung ein Ausdruck der Macht ("Ich darf das, was die anderen nicht dürfen"). Die Wähler - die vom System Enttäuschten - sehen gerade in diesem eigentlich unangemessenen Verhalten eine Art Revolution gegen das als ungenügend erkannte Bisherige. Es ist daher kaum zu erwarten, dass Trump seine Strategie ändert.
Trump scheint von schönen Frauen sehr angetan zu sein. Aber er äußert sich in der Öffentlichkeit auch abfällig über sie. Wie ist das zu erklären?
Es ist eine typische Inversion - was man begehrt und anbetet, wertet man gleichzeitig ab. Trump wurde noch von der Macho-Kultur geprägt; Macho zu sein bedeutet, dass das Zeigen von Gefühlen und von der subjektiv wahrgenommenen "Schwäche" tabuisiert ist. Wir können froh sein, dass die jüngeren Menschen offener, gelassener und auch ehrlicher mit ihren Gefühlen umgehen können.
Gleichzeitig scheint der künftige US-Präsident selbst dünnhäutig zu sein, was man zum Beispiel an seiner geringschätzigen Twitter-Nachricht über die Schauspielerin Meryl Streep gesehen hat, die ihn bei der Verleihung der Golden Globes kritisiert hatte. Warum sucht ausgerechnet so ein Mensch die politische Öffentlichkeit, in der Kritik - also potenzielle Kränkungen - Teil des Geschäfts sind?
Die Herabsetzung des politischen oder persönlichen Gegners ist ein Teil des Machtspiels, mit dem Trump erfolgreich wurde. Gleichzeitig - und das ist die andere Seite der Medaille - empfindet Trump es als besondere Schmach, wenn er selbst als "Verlierer" erscheint.
Haben Sie eine Vermutung, warum Trump so geworden sein könnte?
In der Erziehung eines Kindes wird das Erleben von Macht oft mit der Entmachtung von anderen verknüpft. Wenn die eigene Größe auf der Abwertung von Dritten aufgebaut wird, ist das ein meist in der Kindheit gelerntes Verhaltensmuster. Ein enormer innerer Druck entsteht da, wo dem Menschen vermittelt wurde, dass sein Wert nur vom Grad seines Erfolges abhängig ist. Je autonomer und freier ein Mensch hingegen erzogen wird, umso wertschätzender zeigt er sich anderen und auch sich selbst gegenüber.
Ein Bruder Trumps zerbrach als Alkoholiker an dem großen Druck des Vaters, der selbst ein erfolgreicher Geschäftsmann war, und starb mit 43. Muss man mit Trumps Verhalten wegen seiner teilweise harten Erziehung am Ende nachsichtiger sein?
Ein erwachsener Mensch ist für sein Verhalten verantwortlich. Mit Nachsicht würden wir einen Politiker, der sich unangemessen äußert und verhält, nur stützen. Gleichzeitig sollte man sich aber auch nicht auf das Niveau des angehenden amerikanischen Präsidenten begeben und ihn beschimpfen oder herabsetzen.
Angenommen, Trump käme zu Ihnen in die Praxis - wie würden Sie ihn behandeln?
Manche Menschen versuchen, Liebe und Anerkennung zu finden, indem sie andere herabsetzen und beleidigen. Ihre größte Angst ist oft, anderen gegenüber "schwach" zu erscheinen. Meist erreichen diese Menschen ihre Ziele natürlich so nicht und manchmal sitzen sie dann bei mir und wissen nicht weiter. Mit meiner Begleitung können sie lernen, das Gewünschte von den Mitmenschen zu bekommen, ohne diese herabsetzen zu müssen. Sie können einen Umgang mit anderen Menschen lernen, bei dem sie nicht ihre vermeintliche Stärke herauskehren müssen. Denn die ist meist nur eine Verpackung der eigenen Angst.
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