Ob für Steuerhinterziehung, das Schreiben von Hasskommentaren auf Facebook oder für die Vernachlässigung der Unterhaltspflicht: Zahlreiche Politiker fordern, dass Straftätern künftig der Führerschein entzogen werden soll – auch wenn der eigentliche Fall gar nicht das Verkehrsrecht verletzt. Doch ist dieser Vorschlag wirklich fair? Wir haben mit einem Fachanwalt für Strafrecht gesprochen.

Ein Interview

Dr. Sascha Böttner, wie sinnvoll finden Sie den Vorschlag, Straftätern unabhängig vom Strafbestand den Führerschein zu entziehen?

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Sascha Böttner: Ich finde den Vorschlag in zweierlei Hinsicht sehr bedenklich. Zum einen aufgrund der Ungleichbehandlung, die entsteht, weil gar nicht alle Personen überhaupt einen Führerschein besitzen. Oder weil sie ganz unterschiedlich darauf angewiesen sind. Wer in der Großstadt wohnt, ist von der Strafe unter Umständen kaum betroffen, während diejenigen auf dem Land ohne Führerschein richtig aufgeschmissen sind.

Und was spricht Ihrer Meinung nach noch dagegen?

Es ist hinlänglich bekannt, dass man am ehesten eine Änderung im Verhalten bewirken kann, wenn die Strafe auch in einer gewissen Verbindung mit dem steht, was derjenige getan hat. Dazu zählt zum Beispiel, dass man den Schaden wiedergutmacht, wenn es ein Opfer einer Straftat gibt.

Wenn man nun aber zu einer Sanktion greift, die überhaupt gar nichts mit der eigentlichen Tat zu tun hat, dann macht man deutlich, dass man sich nicht anders zu helfen weiß. Und dass man mit seinem Latein am Ende ist, weil Geld- und Gefängnisstrafen nicht mehr ausreichen. Das kommt dann wirklich als Armutszeugnis rüber.

Das heißt, wir brauchen eigentlich gar keine neuen Strafmaßnahmen, sondern die bestehenden müssten nur härter durchgesetzt werden?

Genau, wenn die Gerichte bei Unterhaltsstreitigkeiten richtig durchgreifen, dann haben wir überhaupt kein Problem. Wer regelmäßig keinen Unterhalt zahlt, der bekommt eben eine Bewährungsstrafe. Und wenn das nicht reicht, dann muss er oder sie eben ins Gefängnis.

Für wie realistisch halten Sie es denn, dass der Vorschlag durchkommt?

Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass es so kommen wird. Denn schließlich gibt es ja nur eine sehr schwache Lobby dagegen, die das verhindern könnte. Denn wenn es heißt, dass nur diejenigen den Führerschein abgeben müssen, die eine Straftat begehen, dann müssten ja jetzt die Leute aufschreien, die sagen, dass es ihnen eines Tages passieren könnte. Und die werden sich öffentlich nicht zeigen.

Wie wird dann die Umsetzung in der Realität aussehen?

Jeder Richter wird völlig frei darin sein zu entscheiden, ob er den Führerschein entziehen oder eine andere Form der Bestrafung wählen will. Gesetzliche Vorgaben dazu, wann die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, wie wir sie beispielsweise bei Trunkenheit am Steuer oder zu schnellem Fahren kennen, wird es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geben können. Und damit ist dann der Weg für eine Ungleichbehandlung frei.

Rechtsanwalt Sascha Böttner (41) ist Fachanwalt für Strafrecht sowie Strafverteidiger. Er hat an der Universität Kiel studiert und in Strafrecht promoviert. Böttner bearbeitet im gesamten Bundesgebiet neben dem Strafrecht auch Fälle im Wirtschaftsstrafrecht und führt eine Kanzlei in Hamburg.

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