Zu teuer, altbacken, redundant: Die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist groß – und manchen Punkt kann sogar der ARD-Vorsitzende nachvollziehen. Im Interview erklärt Kai Gniffke, wie er die ARD reformieren will und warum auch die Politik handeln muss, damit das gelingen kann.

Ein Interview

Zum Interview via Videocall erscheint Kai Gniffke vor dem virtuellen Hintergrund eines kunterbunten Klassenzimmers im Comic-Stil. Das passt insofern, als sich Gniffke gerne flapsig "Klassensprecher der ARD" nennt. Denn als ARD-Vorsitzender führt der SWR-Intendant zwar formal die Geschäfte der ARD, doch Weisungsbefugnis gegenüber den anderen Intendanten hat er nicht.

Mehr aktuelle News

Herr Gniffke, der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter Druck. Er soll mit weniger Geld besseres Programm machen. Wie soll das funktionieren?

Gniffke: Früher hatte jeder Intendant in Zeiten, in denen das Geld knapp war, den Reflex zu sagen: dann machen wir eben weniger für die Gemeinschaft, damit mehr für mein eigenes Haus bleibt. Dieses Prinzip haben wir jetzt umgekehrt. Wir entwickeln uns zu einer wirklichen Arbeitsgemeinschaft, in der nicht jede Landesrundfunkanstalt jedes Themengebiet beackert und nicht jede ihre eigenen Verwaltungsabläufe hat.

Wo genau streichen Sie oder schichten um?

Wir schaffen sogenannte Kompetenzcenter für journalistische Themenfelder. Mit den ersten drei – Gesundheit, Klima und Verbraucher – wollen wir spätestens im Juni starten. Drei weitere sind beschlossen und es sollen noch mehr Kompetenzcenter folgen. Arthrose bleibt Arthrose, egal ob in Flensburg oder in Friedrichshafen. Es macht wenig Sinn, sieben unterschiedliche Gesundheitssendungen im Fernsehen und viele unterschiedliche Gesundheitsbeiträge in den Radioprogrammen zu haben.

Sondern?

Künftig macht eine große Redaktion die Recherche und die Beiträge und alle ARD-Medienhäuser können sie nutzen. Wir sammeln auch Kraft, indem wir bei den Radioprogrammen in den nutzungsschwachen Zeiten am Abend mehr gemeinsam machen, bei den Info-, Kultur- und Popwellen zum Beispiel. Oder mit einer Art Baukasten für die Dritten TV-Programme, aus dem sich jeder bedienen kann, anstatt dass alle ein 24-Stunden-Vollprogramm selbst stemmen müssen.

Und da ziehen alle mit?

Egal, wo wir Kraft herausnehmen – es wird immer Menschen geben, die das nicht toll finden. Beim SWR zum Beispiel verzahnen wir gerade zwei Radioprogramme enger miteinander. Wenn ich Ihnen erzähle, was ich dazu aus dem Publikum und von der Belegschaft höre und vor allem, was Landtagsabgeordnete mir für Briefe schreiben ...

... erzählen Sie!

Die beschweren sich und sagen, das sei schreiendes Unrecht. Da wünsche ich mir dann doch eine redliche Diskussion. Wer ist für was zuständig, wer kann was ändern – und was nicht? Wir als ARD machen unsere Arbeit in Form der größten Reform unserer Geschichte. Die Politik soll bitte auch ihre Arbeit machen. Wer schreibt den Auftrag für die Programme fest? Es sind die Bundesländer. Wer entscheidet darüber, wie viele Landesrundfunkanstalten es gibt? Wer entscheidet über unsere Finanzierung? Die Länder. Wer kann die Aufsichtsgremien der ARD verändern? Das alles können nur die Länder.

Söder: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk soll deutlich schlanker werden

Die Diskussion um eine Abschaffung der kleineren der deutschen ARD-Anstalten wird seit Jahrzehnten geführt. Bayerns Ministerpräsident Söder hat der Debatte wieder neues Leben eingehaucht.

Was erwarten Sie von der Politik?

Dass man uns nicht länger minutiös vorschreibt, welche Programme wir zu machen haben, zwei Schlagerwellen zum Beispiel. Derzeit müssen wir ja froh sein, dass in den Staatsverträgen nicht noch steht, um welche Uhrzeit wir welchen Titel spielen sollen. Mehr Flexibilität wäre toll und dadurch mehr Eigenverantwortung – mit der Betonung auf Verantwortung. Dann können wir die Rolle, die uns zugedacht ist, noch besser erfüllen.

Zu dieser Rolle gehört, ein Angebot für alle Bürger zu machen. Tatsächlich fließen drei Viertel des Budgets in Programme mit der Zielgruppe 50 plus.

Meine Kinder sind 27 und 30, die haben keinen Fernseher und werden sich in ihrem Leben auch keinen mehr zulegen. Das ist die Generation, die in den nächsten Jahren Verantwortung in unserem Land übernehmen wird. Da kann man selbstkritisch sagen: Die überlassen wir derzeit zumindest in Teilen den chinesischen Algorithmen von TikTok oder den Launen von Elon Musk. Ganz klar, da müssen wir ran.

Wie kann das gelingen?

Wir brauchen relevante regionale und überregionale Inhalte für alle Menschen: egal ob jung oder alt, arm oder reich, in der Stadt oder auf dem Land. Die Menschen müssen bei uns interessante Podcasts finden, spannende Videos. Darum müssen mehr Ressourcen in die ARD-Mediathek und in die ARD-Audiothek gehen. Wir brauchen mehr Podcasts wie "Mafialand" über die Strukturen der Mafia hier im Südwesten und Instagram-Projekte wie "Ich bin Sophie Scholl". Ich werde keine Image-Kampagne machen. Die ARD überzeugt dadurch, dass sie die bestmöglichen Angebote für alle Altersgruppen in allen Regionen macht.

Das dürfte nicht leicht werden. In einer Langzeitstudie der Uni Mainz gaben zuletzt nur noch 62 Prozent an, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu vertrauen, der niedrigste Wert seit dem Start der Studie 2015. Laut aktuellem Sachsen-Monitor hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk gegenüber 2021/2022 bei der Frage nach der Glaubwürdigkeit zwölf Prozentpunkte eingebüßt.

Trotzdem ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach beiden Studien von allen Medien noch immer jenes, dem die Menschen am meisten vertrauen. Wir müssen uns also nichts schönreden, aber wir dürfen uns damit auch nicht zufriedengeben. Wir kämpfen auch um die Menschen, die uns kritisch sehen, indem wir mit ihnen reden. Neulich hatte ich die komplette AfD-Fraktion des Landtags von Baden-Württemberg beim SWR zu Besuch. Auf den Infowellen gibt es jetzt bald zweimal pro Woche Dialogsendungen. Ich habe ein Dialogformat auf Twitch gemacht, darauf haben mehr als 100.000 Menschen zugegriffen, und mehrfach Insta-Lives, zuletzt mit 21.000 Menschen.

Da ging es sicher auch um den Rundfunkbeitrag. Der wird jetzt womöglich steigen. Wie erklären Sie das den Bürgern, von denen viele gerade ohnehin sparen müssen?

Die Politiker, die eine Beitragsanpassung ablehnen, haben gut reden. Bei öffentlichen Haushalten steigt mit jedem Prozent Inflation das Steueraufkommen. Bei uns ist es so: Wir verlieren Kaufkraft. Bei einer Inflation von sechs Prozent hatten wir etwa im vergangenen Jahr ein deutliches Minus. Der Bericht der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten – Anm. d. Red.) steht noch aus. Sollte es am Ende eine Beitragserhöhung um 58 Cent geben, wie es gerüchteweise heißt, dann wäre das angesichts der hohen Inflation eine Schrumpfung.

Die Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag lagen zuletzt bei rund 8,4 Milliarden Euro pro Jahr. Ist da ein bisschen Schrumpfung nicht verschmerzbar?

Ich weiß um das große Glück, um nicht zu sagen: die Gnade dieser Beitragsfinanzierung. Deswegen ist es völlig in Ordnung, dass wir uns dieser Diskussion stellen müssen. Aber unser Auftrag hat sich nur insofern verändert, dass wir noch mehr machen sollen: mehr für junge Menschen, mehr für die digitale Mediennutzung. Gleichzeitig ist unser Auftrag im Linearen aber gleich geblieben. Also wir sollen immer mehr machen, mit letztlich schrumpfender Kaufkraft.

Legen Sie sich fest, wie viel Geld Ihre Reform sparen wird?

Wir haben ein Preisschild an die Reform gehängt, auf dem steht, was am Ende herauskommen soll. Nämlich eine Viertelmilliarde Euro in der Beitragsperiode 2025 bis 2028. Durch die verschiedenen Reform-Maßnahmen, die wir bereits auf den Weg gebracht haben, sind wir jetzt bei etwa 200 Millionen Euro.

Der von den Ländern eingesetzte Zukunftsrat für ARD und ZDF hat jüngst vorgeschlagen, dass die Rundfunkanstalten künftige weniger Geld bekommen sollen, wenn sie ihren Auftrag nicht erfüllen. Experten sollen die publizistische Leistung regelmäßig bewerten. Gehen Sie da mit?

Über unsere Finanzierung entscheiden nicht wir, sondern die Länder. Der Vorschlag richtet sich also nicht an uns, sondern an die Politik. Wenn die Politik sagt, toll, das machen wir, dann werden wir uns daran halten. Wie gesagt: Die Länder sind am Zug.

Weitere News gibt's in unserem WhatsApp-Kanal. Klicken Sie auf "Abonnieren", um keine Updates zu verpassen.

Zur Person

  • Kai Gniffke (63) ist Intendant des Südwestrundfunks (SWR) und seit Januar 2023 Vorsitzender der ARD. Der ARD-Vorsitz wechselt alle zwei Jahre zwischen den neun Landesrundfunkanstalten.
  • Gniffke, der aus einem Dorf in der Eifel stammt, arbeitet schon seit dem Studium beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
  • Bevor er 2019 SWR-Intendant wurde, war er 13 Jahre lang Chef von ARD-aktuell und verantwortete als solcher die Flaggschiffe Tagesschau und Tagesthemen.
Schreiben des ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice.

Rundfunkbeitrag: Kommission rechnet mit steigendem Beitrag

58 Cent mehr monatlich. Das ist die vorläufige Empfehlung unabhängiger Finanzexperten für den Rundfunkbeitrag. Er soll demnach ab 2025 bei 18,94 Euro liegen. Aber es ist noch vieles offen.


JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.