Dass jeder Einzelne von uns Schuld auf sich lädt, wenn er nichts gegen den Klimawandel unternimmt, will nun wirklich keiner unter die Nase gerieben bekommen. Dass die Welt den Kampf gegen die Erderwärmung vielleicht längst verloren hat, erst recht nicht. Der Astrophysiker Harald Lesch ist dennoch nicht müde, diese Botschaft zu wiederholen. Wenn Sie also bis hierher gekommen sind, lesen Sie bitte weiter. Es wird wehtun - aber auch ein wenig Spaß machen.

Mehr Wissens-Themen finden Sie hier

Wenn es nur immer so einfach wäre, wie an diesem Abend an der Technischen Universität in München.

Ausnahmslos jeder Platz des Audimax ist belegt, mehr noch, zuweilen haben sich zwei oder drei Zuhörer auf einen Platz in den engen Bänken gequetscht.

"Lass' mich doch in Ruhe mit deinem scheiß Klimawandel"

Auch der Hörsaal nebenan, in den der Vortrag des aus Fernsehsendungen wie "alpha-Centauri" oder "Leschs Kosmos" bekannten Astrophysikers Harald Lesch übertragen wird, ist voll. Viele, die auch dort kein Glück hatten, verfolgen via Internet den Livestream.

Doch beim Thema Klimawandel Gehör zu finden, ist nicht immer so einfach. "Wir befinden uns im gleichen Zustand wie die deutsche Nationalmannschaft: überheblich, gleichgültig", sagt Lesch. Und: "Da draußen hat sich eine Welt entwickelt, die wissenschaftliche Ergebnisse verneint."

Er weiß das nur zu gut. Nachdem er 2016 für das ZDF-Format "Terra X" ein Internetvideo produziert hatte, in dem er Aussagen der AfD zum Klimawandel wissenschaftlich analysiert, wurde er mit Hass-Mails überschüttet.

Warum er dennoch nicht im Traum daran denkt, die Erderwärmung einfach Erderwärmung sein zu lassen? Er sein nun mal überzeugt, das Richtige zu tun, sagt Lesch.

Manchmal überschreibt er seine Vorträge mit dem Titel "Lass mich doch in Ruhe mit deinem scheiß Klimawandel" - und freut sich über jeden, der mit falscher Erwartung kommt.

Aus Sicht der Umweltbewegung ist dieser Mann ein Glücksfall. Denn er hat nicht nur die fachliche Kompetenz, um glaubwürdig zu sein, sondern auch ein Talent für Rede und Witz.

Ein Vortrag gegen gute Laune

Die Tourismusbranche sei für acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, erklärt Lesch, und ereifert sich vor dem größtenteils studentischen Publikum darüber, dass so viele Abiturienten nach Australien oder Neuseeland reisen.

Dass sich - ganz offensichtlich - so mancher Gast ertappt fühlt, kommentiert Lesch mit einem süffisanten "Oh, mir scheint, Sie kennen solche Leute".

Er präsentiert Daten der NASA, wonach 2017 das drittwärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war und das wärmste der Jahre, die nicht vom Wetterphänomen El Nino beeinflusst sind.

"Was machen wir, wenn das Eis der Arktis schmilzt? Bauen wir dann eine Mauer um Grönland?", fragt Lesch, und scherzt, "die dann natürlich die Mexikaner bezahlen".

Ein ernstes Thema humorig verpackt - bei Harald Lesch geht das zusammen. "Falls Sie mal gute Laune haben: Schauen Sie sich einfach meinen Vortrag nochmal an."

Doch so unterhaltsam die Botschaft vom Versagen der Menschheit bei der Bekämpfung des Klimawandels bei Lesch auch daherkommt, so wenig wäscht er sie weich. Der Ernst der Lage verkommt zu keinem Zeitpunkt zur Comedy, dazu sind die Fakten zu erdrückend und Lesch zu wütend.

Die Fakten (Erwärmung von Atmosphäre und Ozeanen) sind hinlänglich bekannt. Die Ursachen (Mensch, CO2) und Folgen (Anstieg des Meeresspiegels, Zunahme extremer Wetterlagen, Klimaflüchtlinge ...) ebenso. Was Harald Lesch wütend macht, ist die "merkwürdig apokalyptische Stimmung" angesichts dieses Problems. Mit anderen Worten: die Untätigkeit.

"Hochwasserdemenz" und "reiche Leichen"

Da sind Politiker, die weder den Ausbau erneuerbarer Energien noch die E-Mobilität vorangebracht, geschweige denn die Kohlekraftwerke abgeschaltet haben. "Menschen, in wichtigen Positionen, die uns ständig verarschen und glauben, immer nur die nächsten drei Monate wären wichtig."

Da ist das Unternehmertum einer führenden Industrienation, das Gewinne an Aktionäre ausschüttet, anstatt sie in saubere Innovationen zu reinvestieren: Die Gewinne der deutschen Kapitalgesellschaften haben sich zwischen 1991 und 2016 verdreifacht.

Die Nettoinvestitionen aber sind von 85 auf 20 Milliarden gesunken. "Wollen die die reichsten Leichen auf dem Friedhof werden, oder was machen die mit dem Geld?", ereifert sich Lesch.

Da sind die Skeptiker und Leugner, die von Menschen wie Lesch nichts wissen wollen, und, wie er sagt, an "Hochwasserdemenz" leiden: "Sechs Wochen, nachdem sie das Hochwasser im Keller stehen hatte, haben sie schon wieder vergessen, woher der Starkregen kommt."

Und da sind all die vielen Bürger, die den Klimawandel nicht abstreiten und dennoch nicht tun, was sie tun sollten, obwohl sie wissen, was zu tun wäre: Fahrrad fahren statt SUV, nicht mit dem Flugzeug reisen, weniger Fleisch essen, Ökostrom beziehen, effiziente Elektrogeräte kaufen und das Licht ausschalten.

Ansatzpunkte gibt es natürlich noch mehr, was für Lesch zählt, ist, dass jedem Menschen pro Jahr ein CO2-Budget von rund zwei Tonnen zusteht. Heute aber verbraucht jeder Deutsche im Durchschnitt zehn Tonnen pro Jahr.

Plötzlich wird es still im Hörsaal

Harald Lesch - Jahrgang 1960 - macht den vielen Studenten im Saal keine Illusionen. "Meine Generation hat vollständig versagt", sagt er. "Ihr werdet euch mit einer Welt ohne Atommüllendlager, mit Meeren voller Plastik und mehr CO2 denn je herumschlagen müssen", sagt er. "Den Satz aus dem Hotel, dass man einen Raum so sauber hinterlässt, wie man ihn vorgefunden hat, haben wir nicht beherzigt."

Dass 1.100 Menschen in einem Hörsaal mucksmäuschenstill sein können, zeigt sich, als Lesch seine Zuhörer aufruft, es besser zu machen. "Sonst werden euch eure Enkel fragen, was wir unsere Großväter gefragt haben: Habt ihr denn von alledem wirklich nichts gewusst?"

Harald Lesch ist Professor für Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, lehrt Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie in München und arbeitet als Fernsehmoderator.



JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.