Im Jahr 2017 haben kriminelle Banden den deutschen Staat um mindestens 50 Millionen Euro Hartz-IV-Leistungen betrogen. Eine Sprecherin der Agentur für Arbeit erklärt im Interview, mit welchen Methoden das Jobcenter solchen kriminellen Banden auf die Schliche kommt.
Frau Eikemeier, im Oktober kam ans Licht, dass im Jahr 2017 kriminelle Banden den Staat durch falsche Angaben bei der Beantragung von Hartz-IV-Leistungen um mindestens 50 Millionen Euro betrogen haben. Wie kommen Sie solchen Betrügern auf die Schliche?
Susanne Eikemeier: Von organisiertem Leistungsmissbrauch und bandenmäßiger Kleinkriminalität erfahren meine Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern oft erst über die Zollbehörden, die für die Einhaltung des Arbeitsrechts zuständig sind.
Wenn Zollbeamte also vermeintliche Arbeitsplätze kontrollieren und prüfen, ob jemand wirklich auf Minijob-Basis angestellt ist und bei der Gelegenheit feststellen, dass derjenige vielleicht sogar in Vollzeit arbeitet und zusätzlich Leistungen vom Jobcenter erhält, dann ist das ein Verstoß, der uns natürlich auch gemeldet wird.
Gibt es Möglichkeiten für Mitarbeiter der Jobcenter, Betrug aufzudecken?
Erst mal ist es wichtig zu wissen, dass meine Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern keinen gesetzlichen Auftrag zur Strafverfolgung haben. Wir dürfen nicht einfach Menschen überprüfen.
Manchmal wird es in der Öffentlichkeit auch so dargestellt, als würden wir "Fahnder" beschäftigen, die Betrügern auf die Spur kommen sollen, aber das stimmt so nicht. Das sind normale IT-Suchläufe, bei denen Datensätze überprüft werden.
Wir schauen, dass die Jobcenter-Leistungen rechtmäßig überwiesen werden und ob alle gesetzlichen Grundvoraussetzungen stimmen. Deshalb prüfen wir bei der Abgabe von Anträgen, ob alles stimmig ist und gleichen die Angaben mit anderen Datenquellen ab, etwa den Rentenversicherungsträgern. Denn wenn jemand dort Leistungen erhält, muss er das bei der Antragstellung angeben.
Manchmal gibt es auch konkrete Verdachtsmomente, etwa, wenn die Leistungen von 20 verschiedenen Menschen, die unterschiedlich heißen und unterschiedliche Geburtsorte haben, auf dasselbe Konto gehen oder uns auffällt, dass relativ viele Menschen unter einer Wohnadresse gemeldet sind.
Weil das ein Hinweis darauf ist, dass sie in einer sogenannten "Schrottimmobilie" wohnen?
Genau, bei bandenmäßigem Betrug leben oft relativ viele Menschen aus Südosteuropa und Osteuropa auf engstem Raum in Wohnhäusern, die sich in einem sehr schlechten Zustand befinden. Diese Häuser werden häufig bereits mit dem Ziel angemietet, Betrug bei den Sozialleistungen zu begehen.
Und wenn man die dort gemeldeten Menschen überprüft, stellt man fest, dass sie Kindergeld und Jobcenter-Leistungen beziehen und häufig nicht mal mehr ihre Personalausweise oder ihre Kontokarten in eigenem Besitz haben. Diese Arbeitskräfte werden von den Drahtziehern häufig ausgenutzt.
Diese Menschen sind nur mit dem Ziel hierher geschleust worden, Sozialleistungen für sie zu beantragen. Haben die Drahtzieher sie aus den osteuropäischen Ländern nach Deutschland gebracht, täuschen sie hier Beschäftigungsverhältnisse oder selbstständige Tätigkeiten vor und bekommen daraufhin den gesetzlich festgelegten Arbeitnehmer-Status zugesprochen, der sie im zweiten Schritt dazu befähigt, Jobcenter-Leistungen zu bekommen.
Kontrollieren Ihre Kollegen dann, ob die Menschen dort wirklich wohnen?
Meine Kolleginnen und Kollegen fahren auch zu Wohnsitzen und überprüfen, ob der Kunde dort wohnt. Aber sobald es einen Verdacht auf bandenmäßigen Betrug gibt, geben wir diese Information an die Strafverfolgungsbehörden weiter, also an die Staatsanwaltschaften, die Zollfahndung oder die Polizei, die hinfahren und den Fall überprüfen. Aber, und das ist mir ganz wichtig, es handelt sich hierbei nicht um ein flächendeckendes Phänomen in Deutschland.
50 Millionen Euro ist aber schon eine beträchtliche Summe ...
Im vergangenen Jahr haben wir unsere Jobcenter befragt, wie viele Fälle von organisiertem, bandenmäßigen Leistungsmissbrauch sie 2017 geschätzt festgestellt haben. Dazu muss man wissen, dass es in dem Jahr knapp 120.000 Leistungsmissbrauchsfälle gab. Die Jobcenter schätzten, dass es sich aber nur in 4.400 Fällen um organisierte kriminelle Leistungsmissbrauchsfälle handelte.
Im Verhältnis sind das 3,7 Prozent, also ein kleines Phänomen, das sich häufig in Ballungsräumen abspielt, in denen eine gewisse Anonymität in der Nachbarschaft gewahrt ist.
Wie sah es in den Jahren zuvor aus?
Wir haben keine Zahlen zu den Jahren davor erhoben.
Und wieso haben Sie 2017 dann damit angefangen?
Leistungsmissbrauch gibt es bei uns ja hin und wieder. Aber diese bandenmäßige, organisierte Kriminalität, die tatsächlich auch häufig von Personen aus osteuropäischen Ländern begangen wird, wurde in diesem Ausmaß möglich, nachdem die Freizügigkeit in der EU nach und nach auf weitere Länder ausgedehnt wurde.
Wir hatten selbst schon Verdachtsmomente. Gleichzeitig wurde in der Politik und Öffentlichkeit über dieses Thema gesprochen. Also haben wir uns entscheiden, die Anfrage an unsere Jobcenter zu stellen.
Haben Sie als Konsequenz daraus Ihre Abläufe verändert, um solchen Betrug künftig zu verhindern?
Wir haben ein Bündel von Maßnahmen beschlossen, mit der wir die Jobcenter beim Kampf gegen den Leistungsmissbrauch unterstützen. Aber es gab auch vorher bereits Mechanismen, die jeglicher Art von Betrug vorbeugen sollen.
Das ist aber nicht unsere Hauptaufgabe. Eigentlich möchten wir, dass Kundinnen und Kunden vertrauensvoll ins Jobcenter kommen und mit uns gemeinsam daran arbeiten, dass sie irgendwann wieder Arbeit finden.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Susanne Elkemeier, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit
- Tagesschau.de: "Banden prellen Staat um 50 Millionen"
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