Hörte man Jair Bolsonaro im Wahlkampf sprechen, konnte einem angst und bange werden. Einige sprachen schon vom "Trump der Tropen", einem Agitator im Stile des US-Präsidenten, nur noch schlimmer. Ein Experte sieht nun aber interessante erste Entscheidungen.
Hetzen gegen Minderheiten, Lob für die Morde während der Diktatur, wirtschaftliche Ausbeutung der Amazonasregion, Abschaffung des Umweltschutzministeriums, Austritt aus der UNO, dem Pariser Klimaabkommen, dem Staatenbund Mercosul.
Nun ist Jair Bolsonaro gewählt. Die Frage lautet: Wie viele seiner Wahlkampfankündigungen kann und wird er tatsächlich umsetzen?
Nach der Wahl sind die Töne moderater geworden. Bolsonaro gab sich beim ersten Auftritt im Senat fast schon staatsmännisch, gelobte die Verfassung zu achten.
Für die schrillen Töne sind nun eher die Söhne Carlos und Flavio Bolsonaro zuständig, selbst Politiker. Letzterer hatte schon den umstrittenen Wahlkampf per WhatsApp verantwortet.
"Er lernt sehr schnell", sagt Marco Aurelio Peri Guedes. Er ist Professor für öffentliches Recht an der Universidade Federal do Rio de Janeiro und Forscher bei LEICLA/ UFF, dem interdisziplinären Studienlabor für lateinamerikanisches Verfassungsrecht.
Einige Entscheidungen ließen aber bereits aufhorchen. Die geplante Zusammenlegung des Landwirtschafts- und Umweltministeriums hat Bolsonaro schon zurückgenommen. Allerdings wird das Ressort Tereza Cristina übernehmen.
Sie ist die Chefin der Bancada Ruralista, des einflussreichen politischen Landwirtschaftsflügels. Sie trägt zudem den Beinamen "Muse des Gifts", weil sie die Regelungen für die Verwendung von Pestiziden deutlich lockern will.
Schon heute gilt Brasilien als eines der Länder mit den großzügigsten Regelungen und dem größten Pestizid-Verbrauch.
Sérgio Moro wird Minister für öffentliche Sicherheit
Überstrahlt wird die Personalie jedoch von einer anderen. Sérgio Moro, seit 2014 Untersuchungsrichter der Korruptionsermittlungen "Lava Jato" und gewissermaßen das Gesicht der größten Anti-Korruptionsermittlungen Lateinamerikas, soll neuer Superminister für Justiz und öffentliche Sicherheit werden.
Zudem soll ihm die Bundespolizei unterstellt werden.
Eine interessante Wahl, sagt Marco Aurelio Peri Guedes. "Durch die Nominierung Moros dürfte die neue Regierung deutlich an Glaubwürdigkeit gewinnen." Nicht nur, weil die Zusammenlegung der Ressorts für eine Bekämpfung der Gewalt durchaus sinnvoll erscheint.
Die Entscheidung erwecke den Eindruck, dass es Bolsonaros Regierung mit der Bekämpfung der Kriminalität tatsächlich erst zu meinen scheint. "Es sieht aus, als wolle Moro sich mit der Gewalt auseinandersetzen."
Bekämpfung der Primeiro Comando da Capital ist zentrales Thema
Die zentrale Aufgabe bei der Bekämpfung der Gewalt, sieht Marco Guedes in der Konfrontation mit der kriminellen Vereinigung Primeiro Comando da Capital, PCC.
Die Mafia-artige Organisation fungiert als Staat im Staat, "verfügt sogar über ein eigenes Regelwerk",sagt Guedes. "Sie ignoriert den Staat und fordert ihn heraus."
Das Primeiro Comando da Capital wurde 1993 gegründet und war zunächst eine Gefängnisfußballmannschaft, bestehend aus den acht Gründungsmitgliedern. Die Legende besagt, dass die Mannschaft PCC jedes Gefängnisfußballturnier gewann, ganz einfach deshalb, weil keine andere Mannschaft es wagte, gegen sie zu gewinnen.
Inzwischen wird von mehr als 100.000 Mitgliedern ausgegangen. Die Organisation ist einflussreich und soll Kontakte in höchste politische Kreise pflegen. "Es wird wichtig sein, wieder eine gewisse Ordnung herzustellen."
Ein weiterer Punkt gibt den Brasilianern Hoffnung. Moro hatte umgehend angekündigt, auch weiterhin die Bekämpfung der Korruption zum Kernthema zu machen – eine der Haupthoffnungen der Wähler Bolsonaros.
Fachlich gewappnet scheint er allemal: Moro, ebenso wie einige seiner Anwaltskollegen, wurde teilweise an den besten Universitäten der USA ausgebildet, verfügt über ein tiefes Wissen in Sachen Korruption und Geldwäsche. Zudem bringt er mehr als vier Jahre "Lava Jato"-Erfahrung mit.
Rentenreform überfällig
Die alles entscheidende Frage, ob Bolsonaros Amtszeit ein Erfolg werden kann, sieht Marco Aurelio Peri Guedes darin, ob es gelingt, endlich eine überfällige Rentenreform umzusetzen.
"Das war eigentlich schon immer ein Thema." Mehrere Jahrzehnte ließen Regierungen das Thema schleifen oder trauten sich nicht heran.
Denn im Wesentlichen wird es darum gehen Kosten zu senken, sprich Leistungen zusammenzustreichen. Allerdings: Das Budget ist längst erschöpft, die Steuern bewegen sich bereits am oberen Ende. "Da ist kein Spielraum mehr", sagt Marco Guedes.
Darum sei wichtig, was Wirtschaftsminister Paulo Guedes vorhabe. Zusätzliches Geld lasse sich nur durch Investitionen von außen generieren - also den sehr regulierten Binnenmarkt öffnen und am besten Steuern senken, sagt Marco Aurelio Peri Guedes. "Wenn sie wollten, könnten sie das tun", glaubt er.
Allerdings wäre dafür auch ein politischer Preis zu zahlen. Mit den damit verbundenen Privatisierungen schwindet auch der politische Einfluss. Und wie weit Privatisierungen gehen könnten, ist längst nicht ausgemachte Sache.
Neue Regierung wird Zeit brauchen
Als Paulo Guedes im Wahlkampf vorschlug, auch den großen Ölkonzern Petrobras auf die Liste zu setzen, wurde er von Bolsonaro zurückgepfiffen.
Er ist sich sicher: Bolsonaro werde nicht am 1. Januar loslegen, wie es seinerzeit
Bolsonaro hat bislang keine Erfahrung in Regierungsverantwortung. Es werde sicher eine Weile dauern, bis sich die neue Regierung einen Überblick verschafft haben wird.
Zudem hat seine Partei die PSL zwar zugelegt, für eine Mehrheit in den Parlamenten reiche das aber noch lange nicht.
Das macht die Gesetzgebung schwierig. Und mit Dekreten, wie etwa Trump in den USA, lässt sich in Brasilien nicht regieren. Das gibt die Verfassung nicht her, die Judikative würde da nicht mitspielen.
Verwendete Quellen:
- G1 Globo.com: "Ministério do Meio Ambiente será 'totalmente restruturado'"
- Economia: "Privatizar a Petrobras? Consulte primeiro os generais de Bolsonaro"
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