Jens Spahn lässt aktuell mit Vorschlägen zur Reform des Gesundheitswesens von sich hören. Welche Ziele verfolgt er, wie geht er sie an und wie sind die Reaktionen auf seine Vorschläge? Wir haben Spahns wichtigste Vorhaben gecheckt und einen Experten dazu befragt.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Mindestpersonalstärke für die Krankenhauspflege

Das Ziel: Die Pflege in den Krankenhäusern verbessern.

Der Weg: Das "Pflegepersonal-Stärkungsgesetz" fordert ab 2020 von allen Krankenhäusern genaue Zahlen über das Verhältnis zwischen Pflegeaufwand und Personal. Wird eine bestimmte Personalgrenze unterschritten, drohen Honorarkürzungen.

Die Resonanz: Moniert wird, dass bisher die Fakten zu den Personalzahlen in der Pflege fehlen. Die Krankenhäuser riefen zwar nach mehr Geld, legten aber keine belastbaren Zahlen vor. Zudem müsse Spahn schnellstens konkrete Vorgaben zu Personaluntergrenzen machen.

Das sagt der Experte: Albrecht Kloepfer vom Institut für Gesundheitssystem-Entwicklung befürwortet Spahns Initiative, weil sie ein bekanntes Problem beseitigen würde: Die Krankenhäuser verdienen bisher nur an der ärztlichen Leistung und sparen daher bei der Pflege. "Ich halte es für vernünftig, dass eine Verbesserung der Pflege nun mit ernsthaften Maßnahmen flankiert wird."

Mehr Pflegekräfte für alte Menschen

Das Ziel: Spahn fordert, "dass in jeder der 13.000 stationären Altenpflegeeinrichtungen in Deutschland zusätzliches Personal ankommt".

Der Weg: Mehr Ausbildungsplätze, bessere tarifliche Bezahlung der Pflegekräfte, mehr Anwerbungen von ausländischen Kräften.

Die Resonanz: Kritiker halten auch 13.000 neue Stellen für nicht ausreichend und sprechen von 35.000 fehlenden Pflegekräften - die Grünen fordern 50.000 zusätzliche Stellen in der Alten- und Krankenpflege, die Krankenkassen wollen für die Finanzierung Pflegezuschüsse aus Steuermitteln.

Das sagt der Experte: Immer noch werden Krankenhauspflege und Altenpflege verwechselt. Der wesentliche Unterschied: In den Krankenhäuser gehört die Pflege zur "Vollkasko-Versicherung" der Patienten - im Altenheim dagegen ist sie eine "Teilkasko-Leistung".

Kloepfer fürchtet: "Wenn man nicht aufpasst, müssen die Alten und deren Angehörige am Ende die zusätzlichen Stellen selbst bezahlen." Die vorgesehene gleichzeitige Anhebung des Beitrags zur Pflegeversicherung um 0,5 % sei sinnvoll und wichtig. Ungelöst bleibe die Frage, ob höhere Tarife und eine Ausbildungsoffensive schnell für mehr Personal sorgen können.

Mehr Sprechstundenzeit für Kassenpatienten

Das Ziel: Kein wochenlanges Warten mehr auf den Termin beim Haus- oder Facharzt.

Der Weg: Kassenärzte sollen ihren Patienten statt bisher 20 zukünftig mindestens 25 Sprechstunden pro Woche anbieten und dafür Zusatzprämien bekommen.

Die Resonanz: Der Vorschlag "wird kein Problem lösen, dafür neue schaffen", sagt Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) laut BZ Berlin. Chaos und längere Wartezeiten wären die Folge. Viele Ärzte arbeiteten bereits am Rand ihrer Kapazität - durchschnittlich 53 Stunden pro Woche. Der Verband der Krankenkassen begrüßt die Mindestsprechzeiten, lehnt aber zusätzliches Geld für die Ärzte ab.

Das sagt der Experte: Die Ärzte haben laut Albrecht Kloepfer bereits jetzt "verdammt viel zu tun" und stehen deshalb "sicher nicht am Existenzminimum." Mit Spahns Vorschlag werde sich gar nichts ändern - nötig seien nicht zusätzliche Stunden und mehr Geld, sondern mehr offene Sprechstunden ohne vorige Terminvergabe.

Außerdem wäre es vordringlich, für grundversorgende Ärzte wie Gynäkologen oder Kinderärzte die Budgetierung aufzuheben, die die Ausgaben pro Patient begrenzt. Das wäre ein Ansporn, mehr Patienten aufzunehmen. Kloepfer mutmaßt, Spahn habe möglicherweise Angst, "sich mit den Krankenkassen anzulegen".

Senkung der Zusatzbeiträge

Das Ziel: Die Kassen sollen ihre teilweise hohen Finanzreserven abbauen.

Der Weg: Senkung der Zusatzbeiträge für die Versicherten.

Die Resonanz: Wirtschaftsexperten warnen vor einer "Todesspirale": Sie befürchten eine Wanderung der Versicherten zu billigeren Kassen - mit der Folge, dass die teureren Kassen ihre Beiträge weiter erhöhen müssten. Der Sachverständigenrat Gesundheit fordert stattdessen eine schnelle Reform des gesamten Finanzierungssystems der Krankenkassen.

Das sagt der Experte: Albrecht Kloepfer ist bei einer der teureren Krankenkassen versichert und will dieser die Treue halten. "Billiger sind nicht unbedingt die Kassen, die besser wirtschaften", gibt er zu bedenken, "sondern diejenigen, die vom aktuellen internen Verteilungsschlüssel der Krankenkassen ungerechtfertigt profitieren."

Man müsse genau hinsehen, welche Leistungen - etwa bei der Bewilligung von Anträgen und bei Widersprüchen - die jeweiligen Kassen ihren Versicherten bezahlen. "Zunächst", so Kloepfer, "muss deshalb die Geldverteilung an die Kassen neu justiert werden."

Krankenkassenbeiträge paritätisch finanzieren

Ziel: Die Zusatzbeiträge der Krankenkassen werden nicht mehr nur von den Arbeitnehmern getragen, sondern zur Hälfte von den Arbeitgebern.

Weg: Den Gesetzesentwurf hat Jens Spahn im April auf den Weg gebracht.

Reaktionen: Überraschenderweise ist laut einer Allensbach-Umfrage eine Zweidrittelmehrheit der Führungsspitzen aus Wirtschaft und Politik für die Rückkehr zur Parität, die unter SPD-Kanzler Schröder abgeschafft wurde.

Das sagt der Experte: Albrecht Kloepfer sieht einen sehr großen Vorteil in der Rückkehr zur Parität: "Die Arbeitgeber haben sich nicht mehr um die Gestaltung des Gesundheitssystems gekümmert, seit sie nicht mehr mitbezahlen mussten. Nun bekommen sie wieder Mitverantwortung und dadurch auch Gestaltungsmitwirkung."

Einen "kleinen Haken" habe die Neuregelung: Unternehmen würden möglichweise Druck auf ihre Mitarbeiter ausüben, zu billigeren Kassen zu wechseln. Kloepfer schlägt daher vor, die Finanzierung am Durchschnitt der Krankenkassenbeiträge festzumachen: "Dann würden die teureren - und manchmal besseren - Krankenkassen nicht wegempfohlen werden."


Verwendete Quellen:

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.