• Die Klimaaktivisten der Gruppe "Die letzte Generation" scheuen nicht vor radikalen Mitteln für ihren Protest zurück.
  • Doch inwiefern brechen sie damit geltendes Recht? Handelt es sich bei den Aktionen um Straftaten?
  • Zwei Experten beziehen Stellung.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Sven Weiss sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Straßenblockaden, beschmutzte Gemälde, Festkleben am Asphalt – die Aktionsgruppe "Die letzte Generation" spaltet mit ihren spektakulären Aktionen die Öffentlichkeit. Immer wieder werden harte Strafen für die Aktivistinnen und Aktivisten gefordert. Doch inwiefern handelt es sich bei den Protesten überhaupt um Straftaten?

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"Das ist nicht einfach zu beantworten, weil rechtlich relativ kompliziert", sagt der Rechtswissenschaftler Tobias Singelnstein. Man müsse jeweils den Einzelfall prüfen. Mögliche Straftatbestände sind: Nötigung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder auch gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.

"In Betracht kommt insbesondere eine Strafbarkeit wegen Nötigung", sagt Singelnstein mit Bezug auf die Straßenblockaden, "das aber auch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Dazu muss es Autofahrern unmöglich sein, weiterzufahren. Auf der anderen Seite gilt jedoch auch das Versammlungsrecht." Und das steht als Grundrecht unter besonderem Schutz. Auch, wenn Versammlungen nicht angemeldet sind.

Sind Blockaden Schuld am Tod eines Unfallopfers? Die Bewertung ist kompliziert

Demgegenüber steht der Paragraph 315 des Strafgesetzbuches. Dieser regelt "gefährliche Eingriffe in den Straßen-, Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr". Demnach wird, "wer die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet", mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Bei Eingriffen in den Flugverkehr kann sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren verhängt werden. Inwieweit Leib oder Leben anderer Menschen gefährdet werden, bleibt Auslegungssache. Vor allem nach einer Aktion der Gruppe am 31. Oktober 2022 flammte die Diskussion hierüber auf. Dabei soll eine Straßenblockade der Aktivisten ein Rettungsfahrzeug behindert haben, worauf ein Unfallopfer verstarb.

"Theoretisch ist denkbar, dass daraus eine Strafbarkeit erwächst", sagt Tobias Singelnstein. "Jedoch sind die Anforderungen sehr hoch, denn erstens besteht kein Vorsatz und zweitens ist die Kausalkette sehr lang und komplex, denn es spielen auch viele andere Umstände für den Verlauf des Geschehens eine Rolle."

Proteste der "letzten Generation" – gibt es ein Recht auf zivilen Ungehorsam?

Dass sie mit harten Strafen rechnen müssen, ist den Aktivistinnen und Aktivisten bewusst. So heißt es auf der Website der "letzten Generation": "Ziviler Ungehorsam ist das nötige Mittel, um den Staat und die Gesellschaft wachzurütteln, unsere Zukunft zu sichern, aber wir werden dafür kriminalisiert werden."

Ein Recht auf zivilen Ungehorsam gibt es jedoch nicht. "Ziviler Ungehorsam zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass er bewusst bestehende Regeln überschreitet, um auf politische Themen aufmerksam zu machen", sagt Tobias Singelnstein. "Überschreitet es rechtliche Regeln, ist das Handeln rechtswidrig, auch wenn es legitim oder moralisch betrachtet richtig ist."

Die "Letzte Generation" stellt deshalb ein sogenanntes "Legal Team" bereit, das all jenen juristischen Beistand leistet, die mit den Gesetzeshütern in Konflikt geraten. "Die Repressionen, die auf uns zukommen, können hart werden und sehr belastend sein", heißt es dazu auf der Website der Gruppe.

Rechtfertigen die hehren Ziele die Mittel der Demonstranten?

"Dass Recht gebrochen wird, ist Alltag." Das sagt der Protestforscher Simon Teune. Allerdings werde nicht jeder Rechtsbruch gleich beurteilt oder skandalisiert. "Ziviler Ungehorsam unterscheidet sich – auch in der öffentlichen Wahrnehmung – sehr deutlich von anderen Formen des Rechtsbruchs", so Teune. "Hier ist das Übertreten von Gesetzen Teil der Botschaft: Es wird moralisch begründet als die letzte mögliche Form, um eine unerträgliche Situation zum Thema zu machen."

Rechtfertigen also die hehren Ziele die Mittel der Demonstrierenden? "Darüber wird gerade ziemlich viel diskutiert in der Justiz und der Rechtswissenschaft", sagt Tobias Singelnstein. Denn die gute Absicht schützt nicht vor Strafe, kann aber bei der Festsetzung des Strafrahmens eine Rolle spielen.

"Damit ein Handeln als strafbare Nötigung gewertet werden kann, muss es als verwerflich anzusehen sein", so Singelnstein. Das träfe jedoch nach überwiegender Auffassung in der Rechtswissenschaft bei Fernzielen wie dem Klimaschutz nicht zu.

Stützt das Bundesverfassungsgericht die Anliegen der Demonstranten?

"Es gibt eine Anerkennung von zivilem Ungehorsam als Ultima Ratio in einem Rechtsstaat, der selbst immer wieder das Recht bricht", sagt Simon Teune. In dieser Richtung argumentieren auch die Klimaschützer. Denn der Plan, den die Bundesregierung mit ihrem Klimapaket vorgelegt habe, sei vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt worden. "Das ist Rechtsbruch. Das ist Verfassungswidrig (sic). Das ist kriminell." So heißt es in einem Statement der Aktivistengruppe.

Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht lediglich konkrete Maßnahmen ab 2030 eingefordert, und die Bundesregierung hat diesbezüglich bereits nachgebessert. Und doch bleibt die etwas kuriose Situation, dass Demonstranten Forderungen stellen, denen der Staat längst verpflichtet ist.
Umso erstaunlicher, wie hart die Reaktion auf die "Letzte Generation" teilweise ausfällt. So sprach der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Alexander Dobrindt, sogar von einer "Klima-RAF".

"Letzte Generation": Darum sind die Reaktionen in der Politik so hart

"Das ist in dieser Debatte ein politischer Kampfbegriff, denn die Aktionen, von denen wir hier sprechen, haben nichts mit Terrorismus zu tun", sagt Tobias Singelnstein. "Wir bewegen uns da im Bereich von leichten Straftaten. Da wird aus meiner Sicht eine politisch motivierte Dramatisierung betrieben."

Simon Teune sieht dies ebenso: "Diese Verbindung zu ziehen, ist absurd und perfide. Die "Letzte Generation" wie auch andere Gruppen in der Klimabewegung haben sich sehr deutlich auf gewaltfreie Aktionen festgelegt. Alles, was die "Letzte Generation" tut, und wer daran beteiligt ist, ist öffentlich. Es gibt keine Verbindung zu einer klandestinen Gruppe, die die Ermordung von Menschen plant."

Die aufgeheizte Debatte überrascht Teune jedoch nicht: "In der Geschichte haben Aktionen des zivilen Ungehorsams immer wieder deutlich gemacht, dass es gesellschaftlichen Wandel und ein radikales Umdenken braucht. Dabei war es vermutlich selten so, dass die Aktionen von einer Mehrheit begrüßt wurden. Ob die Aktionen dazu führen, dass die Klimakrise als Herausforderung ernst genommen und angenommen wird, wird sich erst im Rückblick beurteilen lassen."

Über die Experten:
Tobias Singelnstein ist Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität in Frankfurt/M. Dr. Simon Teune ist Vorsitzender des Vorstands des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) in Berlin.

Verwendete Quellen:

  • Interviews mit Tobias Singelnstein und Dr. Simon Teune
  • zeit.de: Letzte Generation. Der Bruch mit dem Recht ist das Ziel
  • faz.net: Klimaprotest : Welche Strafen drohen den Klimaaktivisten?
  • Strafgesetzbuch (StGB) § 315 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr
  • letztegeneration.de: Rechtliches
  • letztegeneration.de: Kriminielle Vereinigung und Hausdurchsuchungen. Statement der Letzten Generation
  • schwaebische.de: Aktivisten ziehen vor Gericht: Ist Deutschlands Klimapolitik rechtswidrig?
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