Jahrzehntelang haben Bashar al-Assad und sein Familienclan alle Spannungen im Vielvölkerstaat Syrien unterdrückt. Doch im Zuge des Arabischen Frühlings 2011 kam es auch in Syrien zu Protesten. In kürzester Zeit wurde daraus ein Bürgerkrieg, in dem Sunniten gegen Alawiten, Schiiten und Christen kämpfen. Um seine Gegner – die Sunniten – auszuschalten, griff Assad zu drastischen Mitteln: Massenhinrichtungen und systematischer Folter, später mit Fassbomben und Giftgas. Der Diktator legte sein ganzes Land in Schutt und Asche.

Das Chaos in Syrien mit unzähligen Milizen und Fronten nützte dem "Islamischen Staat". Um den IS zu bekämpfen, haben sich Europa und die USA militärisch in den Konflikt eingeschaltet. Mit dem Kampf gegen den "Islamischen Staat" begründete auch Russlands Präsident Wladimir Putin Luftangriffe in Syrien. Allerdings trafen russische Bomben auch Stellungen der Rebellen, die an einem Zweifrontenkrieg gegen den IS und Assad kämpfen. Russland ist aus geopolitischen Gründen am Machterhalt des syrischen Diktators interessiert. Der grausame Krieg im eigenen Land hat Millionen Flüchtlinge aus dem Land vertrieben. Und mit dem Einsatz von Giftgas treibt das Assad-Regime den Konflikt auf eine Eskalation mit dem Westen zu.

Mit der Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga 2023 konnte das isolierte Assad-Regime einen internationalen Erfolg verbuchen. Zu einer wirklichen Normalisierung und großen Investitionen aus dem arabischen Raum hat dies bisher allerdings nicht geführt. Assad tut zu wenig, um die Bedingungen der arabischen Staaten zu erfüllen. Darunter fällt der Kampf gegen den Drogenhandel (von dem das Assad-Regime profitiert), eine Verbesserung der Menschenrechte als Voraussetzung für die Rückkehr von Flüchtlingen und eine ernsthafte Kooperation im UN-geführten politischen Prozess.

Die Normalisierungsbestrebungen seitens der arabischen Staaten sind vor allem politisch getrieben. Ziel ist die Zurückdrängung des starken iranischen Einflusses in Syrien. Denn das Assad-Regime konnte sich nur dank der massiven Unterstützung durch die vom Iran finanzierte Hisbollah-Miliz aus dem Libanon und iranische Revolutionsgarden an der Macht halten. Ein weiterer wichtiger Faktor für das Überleben des Regimes ist das militärische Eingreifen Russlands seit 2015.

Die starre Haltung Assads hat inzwischen zu einer komplexen Gemengelage geführt, die den Handlungsspielraum des Regimes stark einengt:

Das Land ist faktisch dreigeteilt. Im Nordosten hat sich eine kurdische Selbstverwaltung etabliert, die inzwischen weitgehend eigenständig agiert. Im Nordwesten, vor allem in der Region um Aleppo und in Idlib, haben sich die übrig gebliebenen oppositionellen Rebellen festgesetzt, die heute von der Türkei unterstützt werden. Daneben halten radikale Islamisten der ehemaligen Al-Nusra-Front oder HTS (Hayat at-Tahrir as-Sham) kleinere Gebiete besetzt. Außerdem verübt der Islamische Staat (IS) immer wieder Attentate im Osten des Landes. Das Assad-Regime kontrolliert rund 60 Prozent des Territoriums.

Wo das Regime herrscht, prägen staatliche Willkür und Menschenrechtsverletzungen den Alltag der Bevölkerung. Kriminelle Banden verbreiten Unsicherheit. In der Stadt Deraa im Süden und in Sweida, das an der Grenze zu Jordanien liegt, ist es zu lokal begrenzten Aufständen gekommen. In Sweida besetzten Drusen, die sich aus dem Aufstand von 2011 herausgehalten hatten, unter der Führung drusischer Scheichs Regierungsgebäude und vertrieben Vertreter des Regimes aus der Stadt.

Der russische und iranische Einfluss durchdringt zunehmend die Machtzentren des Regimes. Assad ist für sein politisches Überleben auf die ausländischen Kräfte angewiesen, zugleich versucht er, eine zu große Abhängigkeit zu vermeiden. Russland und Iran wiederum brauchen einander, um die schwierige Lage nicht alleine stemmen zu müssen. Doch sie sind auch Konkurrenten um politischen Einfluss und lukrative staatliche Verträge.

Syrien ist seit der Eskalation der Gewalt im Nahen Osten seit dem 7. Oktober 2023 praktisch zu einem Frontstaat geworden. Nach den terroristischen Massakern der radikal-sunnitischen Hamas an israelischen Zivilisten, der Entführung von mehr als 240 Menschen in den Gazastreifen und den darauffolgenden massiven Zerstörungen des Gazastreifens durch israelische Truppen im Kampf gegen die Hamas sind auch der Iran und Israel in eine direkte Konfrontation geraten, die sich jederzeit auf Syrien ausweiten könnte. Mitte April 2024 griff der Iran Israel erstmals direkt mit Hunderten Kampfdrohnen und Raketen an.

In dieser Situation fährt Russland sein militärisches Engagement in Syrien herunter, um seine verfügbaren Ressourcen für den Krieg gegen die Ukraine zu bündeln. Gleichwohl wird Moskau in Syrien präsent bleiben. Es braucht u.a. seinen Luftwaffenstützpunkt in Tartus, um Waffen und Kämpfer für sein neues Afrika-Korps nach Libyen und Subsahara-Afrika zu transportieren. Außerdem versucht Russland, mithilfe des syrischen Regimes über Weißrussland oder andere Wege, Flüchtlinge nach Europa zu schleusen, um die europäischen Gesellschaften zu destabilisieren.

Insofern ist das fragile Syrien ein zentraler Angelpunkt für Russlands hybride Kriegsführung gegen den Westen geworden. Moskau kollaboriert dabei eng mit dem Iran, der Syrien als unmittelbaren Vorposten in seinem Kampf gegen Israel betrachtet.

Carsten Wieland für bpb.de/the