Nach Massenprotesten und dem Sturz von Langzeit-Diktator Umar al-Baschir tobt im Sudan ein Machtkampf zwischen dem Militär und der zivilen Opposition. Nach gescheiterten Verhandlungen griffen Milizionäre die Demonstranten in der Hauptstadt Khartum an, plünderten, vergewaltigten, mordeten. Düstere Erinnerungen an den Völkermord in Darfur werden wach, denn zu den aktuellen Akteuren zählen auch Schergen von damals.

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Wie ist die aktuelle Situation im Sudan?

Nachdem das Volk Diktator Umar al-Baschir nach 30 Jahren Terrorherrschaft aus dem Amt gejagt hat, herrscht im Sudan nun ein Machtkampf zwischen der zivilen Opposition und dem Militär. Das Militär hatte das Volk beim Sturz al-Baschirs maßgeblich unterstützt - jedoch aus eigenem Interesse, wie die Sudanesen, die für einen demokratischen Wandel auf die Straße gegangen waren, bald feststellen mussten.

Die ersten Verhandlungen zwischen dem Militärrat und der Opposition über eine Übergangsregierung scheiterten schnell, wie der sudanesische Ethnologe Dr. Bakheit M. Nur Mohammed im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt: "Die Militärs wollten die Macht für sich und der Opposition nicht mehr als ein paar zivile Marionetten zugestehen. Die Opposition hat sich damit nicht zufriedengegeben."

Die bittere Folge: Gewalt. Vor rund zwei Wochen räumten Milizen das zentrale Camp der oppositionellen Demonstranten in der Hauptstadt Khartum. Erbarmungslos brannten sie die Zelte nieder. Sie durchkämmten Stadtviertel, plünderten, vergewaltigten. Rund 130 Menschen starben, rund 500 wurden verletzt.

"Die Leichen haben sie in Krankenwagen zum Nil gefahren und in den Fluss geworfen", sagt Bakheit. "Dann haben sie das Gebiet zwei Tage lang abgeriegelt, um aufräumen und saubermachen zu können, damit nicht alle Welt sieht, was passiert ist. Aber dank Handyvideos und ähnlichem gibt es genug Beweise."

Unmittelbar danach hätten die Menschen Angst gehabt, auf die Straße zu gehen, besonders nachts, berichtet Bakheit. "Man konnte sich nicht in Gruppen von über fünf Menschen zusammenfinden, ohne verhaftet zu werden - eine Maßnahme, die weitere Proteste unterbinden sollte." Inzwischen habe sich die Situation etwas entspannt, "von Normalität kann aber keine Rede sein".

Wer ist für die Gewalt verantwortlich?

Das Militär behauptet, die Eskalation sei nicht geplant gewesen, sondern die Schuld einzelner Befehlshaber. Der Sudan-Kenner Prof. Kurt Beck von der Universität Bayreuth will das nicht glauben. "Das Massaker fand unmittelbar vor dem Hauptsitz des Militärs in Khartum statt, und es ging über Stunden - wenn der Militärrat gewollt hätte, hätte er eingreifen und Truppen zum Schutz der Bevölkerung schicken können", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Fest steht: Ausführende Kraft waren die sogenannten Rapid Support Forces, eine Miliz, die aus den sogenannten Dschandschawid hervorgegangen ist. Diese Truppe hatte der Staat 2003 gegründet und mit Waffen, Munition und Kämpfern ausgestattet, um die Rebellion in Darfur niederzuschlagen. In der bis heute nicht abschließend befriedeten Region im Westen des Sudan waren laut UN bis 2008 mindestens 300.000 Menschen ums Leben gekommen, viele durch die Hand der Miliz.

Die Rapid Support Forces sind deshalb gefürchtet. "Das sind keine Soldaten im herkömmlichen Sinn. Ihre Anführer haben keine Militärakademien durchlaufen, sie halten sich nicht an Regeln, wie Armeen sie haben. Zu welchem Ausmaß von Gewalt sie bereit sind, haben wir in Darfur gesehen", sagt Beck.

Bakheit konkretisiert: "Entführung, Vergewaltigung, Folter, Mord. Wir kennen das aus Darfur. Neu ist, dass diese Brutalität jetzt die Hauptstadt erreicht hat."

Wie reagiert die EU?

"Die EU-Außenminister haben beschlossen, die Gelder, die im Rahmen des Khartum-Prozesses an den Sudan gehen sollten, zurückzuhalten, wenn der Militärrat die Macht nicht in die Hände der Zivilisten gibt", weiß Experte Beck.

Pikant sind in diesem Zusammenhang vor allem die Gelder, die die EU für den Grenzschutz an den Sudan bezahlt, um die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen. Denn die Rapid Support Forces sind auch an der Grenze stationiert. So profitierten sie zwar "nicht direkt, wohl aber auf die eine oder andere Weise indirekt" von den finanziellen Zuwendungen der Europäer.

Das Auswärtige Amt hat außerdem am Freitag ein informelles Treffen einberufen, mit dem Ziel "sich über laufende Mediationsbemühungen zu verständigen". Neben Vertretern aus EU-Ländern und den USA waren auch Gesandte aus Nachbarländern des Sudan in Berlin. Ergebnisse wurden nicht bekannt.

Welche Interessen verfolgen die Nachbarstaaten?

Eine wichtige Rolle in dem Konflikt spielen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten. "Sie versuchen alles, um demokratischen Wandel zu verhindern, aus Sorge, diese Welle könnte dann auch zu ihnen herüberschwappen", sagt Beck. Die Saudis hätten außerdem Angst, dass eine zivile Regierung im Sudan die Rapid Support Forces aus dem Jemen abziehen könnte. Die Miliz kämpft dort an deren Seite.

Ein ehrliches Interesse an einer demokratischen Regierung im Sudan habe unter den Nachbarländern bislang einzig Äthiopien gezeigt. Nach noch unbestätigten Meldungen vom Sonntag soll die äthiopische Regierung einen Kompromissvorschlag für die Bildung einer Übergangsregierung vorgelegt haben, dem zumindest die Opposition zugestimmt haben soll.

Wie könnte es jetzt weitergehen?

Ob der Vorschlag aus Äthiopien Bewegung in die Sache bringt, ist offen. Aus Sicht von Bakheit M. Nur Mohammed ist die Hoffnung seiner Landsleute auf einen schnellen demokratischen Wandel "erst einmal dahin".

Kurt Beck ist optimistischer: "Was mich hoffen lässt, ist zum einen, wie erfolgreich die sudanesische Opposition zuletzt den Generalstreik organisiert hat, zum anderen, wie vorausschauend die Opposition agiert. Sie hat Gewalt bislang konsequent vermieden, die alten Machthaber nicht gelyncht. Selbst als die Demonstranten angegriffen wurden, haben die Verantwortlichen den Schutz durch die bewaffnete Opposition abgelehnt. Das hat den Sudan womöglich davor bewahrt, zu einem zweiten Libyen mit einem Bürgerkrieg zu werden."

Die Behauptung des Militärrats, die Gewalt gegenüber den Demonstranten sei die Schuld Einzelner, wertet er als Versuch, die Tür für neue Verhandlungen mit der Opposition zu öffnen. "Denn mit Mördern will natürlich niemand verhandeln."

Über die Experten:
Prof. Dr. Kurt Beck ist Inhaber des Lehrstuhls für Ethnologie der Universität Bayreuth. Schwerpunkt seiner Arbeit ist Afrika, im besonderen der Sudan. Er kennt das Land von mehreren Forschungsaufenthalten.
Dr. Bakheit M. Nur Mohammed stammt aus dem Sudan und arbeitet als Postdoc am Lehrstuhl für Ethnologie der Universität Bayreuth. Er forscht unter anderem zur Anthropologie des Islams.

Verwendete Quellen:

  • Auswärtiges Amt: "Außenminister Maas zum informellen Koordingierungs-Treffen zu Sudan"
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

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