Knapp ein Jahr nach dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 sind am Dienstag in Barcelona Hunderttausende für eine Abtrennung von Spanien auf die Straße gegangen.
Sie forderten auch die Freilassung der in Untersuchungshaft sitzenden Politiker und Aktivisten der Unabhängigkeitsbewegung. Die Massenkundgebung setzte der Entspannung, die zuletzt im Katalonien-Konflikt zu beobachten war, vorerst ein Ende.
Mehrere Medien, darunter die renommierte Zeitung "El País", warnen vor einem "heißen Herbst", der der seit Juni amtierenden sozialistischen Zentralregierung schwer zu schaffen machen werde. "Ich fürchte, das Schlimmste kommt noch", sagte auch der in Katalonien geborene sozialistische Außenminister Josep Borrell.
Separatisten skandierten "Freiheit, Freiheit"
Die Avinguda Diagonal, eine Hauptader der katalanischen Hauptstadt, war am Dienstag über eine Distanz von mehr als sechs Kilometern schon Stunden vor dem offiziellen Beginn der Kundgebung zum Bersten voll. Die Separatisten, darunter ganze Familien, Rentner, Studenten und auch viele Eltern mit Kinderwagen, skandierten immer wieder "Freiheit, Freiheit", "Republik, Republik" und "Unabhängigkeit, Unabhängigkeit".
Sie trugen katalanische Fahnen, Plakate mit separatistischen Parolen oder das offizielle rote T-Shirt der Demo, die anlässlich des 304. Nationalfeiertages der Region unter dem Motto "Schaffen wir die katalanische Republik" stattfand.
Seit 1714 begehen die Katalanen jedes Jahr am 11. September ihren Nationalfeiertag - die "Diada". Punkt 17.14 Uhr begann auch diesmal die Feier: Zum Auftakt wurden mehrere "Mauern" mit Malereien, die unter anderem das bei den Separatisten verpönte Königshaus oder die angebliche Repression durch die Zentralregierung symbolisieren sollten, unter großem Jubel niedergerissen.
Rund eine Million Demonstranten
Nach Schätzung der städtischen Polizei lag die Zahl der Demonstranten bei rund einer Million. Elisenda Paluzie, Präsidentin des Hauptveranstalters, der einflussreichen Organisation "Katalanische Nationalversammlung" (ANC), war mehr als zufrieden: "Ihr habt bewiesen, dass die Unterdrückung uns nicht bezwungen hat", rief sie in ihrer Rede.
Dieses Jahr war mit einer besonders großen Teilnehmerzahl gerechnet worden, denn am 1. Oktober jährt sich das von der spanischen Justiz für illegal erklärte Referendum von 2017 zum ersten Mal. Nach der verbotenen Abstimmung und dem Unabhängigkeitsbeschluss wurde Katalonien von Madrid unter monatelange Zwangsverwaltung gestellt. Bis heute sitzen mehrere katalanische Spitzenpolitiker und Aktivisten in Untersuchungshaft. Ihnen werden unter anderem Rebellion und Aufruhr vorgeworfen. Andere Politiker, darunter der abgesetzte Ex-Regionalpräsident Carles Puigdemont, sind ins Exil geflohen.
Sánchez präsentiert sich versöhnlich
Für eine Abkühlung der Gemüter hatten die neue sozialistische Zentralregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez und Puigdemonts Nachfolger Quim Torra gesorgt, als sie im Sommer einen Dialog aufnahmen, der unter Sánchez' konservativem Vorgänger Mariano Rajoy undenkbar gewesen wäre. Doch konkrete Fortschritte wurden bisher nicht erzielt. Im Gegenteil: Der Jurist, Schriftsteller und Intellektuelle Torra schlug in den vergangenen Tagen immer martialischere Töne an, rief etwa zum "Kampf" auf.
Vor Journalisten ausländischer Medien goß Torra am Dienstag weiter Öl ins Feuer. Kurz vor Beginn der Kundgebung kündigte er an, das Parlament in Barcelona werde bald wieder das Projekt einer verfassunggebenden Versammlung in Angriff nehmen. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sein Ziel die Unabhängigkeit Kataloniens ist. Ministerpräsident Sánchez präsentiert sich derweil weiterhin versöhnlich. Die Zentralregierung stütze sich weiter auf "Gesetz und Dialog", sagte er am Dienstag im Madrider Parlament.
Viele unterstützen weder Separatisten noch Unionistas
Während die rechte Opposition, die liberalen Ciudadanos (Bürger) und die konservative Volkspartei (PP) von Sánchez eine "harte Hand" fordern und sich sogar für eine neue Zwangsverwaltung Kataloniens aussprechen, gibt es in Spanien auch viele, die weder die Separatisten noch die "Unionistas" bedingungslos unterstützen.
Wie zum Beispiel die linksgerichtete Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau. "Ich stimme mit den Separatisten in vielen entscheidenden Punkten nicht überein, aber ich bin gegen politische Gefangene, weil ich die Rechte und Freiheiten unserer Gegner verteidige", sagte die frühere Hausbesetzer-Aktivistin am Dienstag vor Journalisten. © dpa
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