Die militante Terrorgruppe Hamas hat Hunderte Kilometer Tunnel unter den Städten des Gazastreifens gegraben. Für die israelische Armee sind sie aus vielen Gründen eine große Herausforderung.
Zum Einstieg ein Vergleich: Das unterirdische Labyrinth aus Tunneln ist größer als das Londoner U-Bahn-Netz. Etwa 1.300 Tunnel soll es geben, mit einer Gesamtlänge von ungefähr 500 Kilometern. Wie das israelische Militär (IDF) vergangenen Sonntag mitteilte, habe es seit Kriegsbeginn mehr als 800 Tunnelschächte gefunden und rund 500 von ihnen zerstört.
Einige Tunnelschächte hätten strategische Einrichtungen der Hamas unterirdisch miteinander verbunden, hieß es in der Mitteilung. Nach Darstellung der Armee befanden sich die Tunnelschächte in zivilen Wohngebieten, teilweise neben Schulen, Kindergärten, Moscheen und Krankenhäusern. In einigen seien auch Waffen gefunden worden.
Die israelische Armee rückt im Gazastreifen vor. Doch darauf hat sich die Hamas jahrelang vorbereitet und sich mit ihrer unterirdischen Kampfinfrastruktur einen militärischen Vorteil verschafft, sowohl taktisch als auch strategisch. Gelingt der israelischen Armee ein rascher Sieg unter Tag, verliert die Hamas die Führungsfähigkeit, die Versorgung und die Kampfkraft. Außerdem würde der israelischen Armee ein grausamer und verlustreicher Häuserkampf erspart bleiben.
Die Elemente der Kampfinfrastruktur
Das Tunnelsystem ist das wichtigste Zentrum der Kriegsinfrastruktur der Hamas. Es wird zu verschiedenen Zwecken genutzt und besteht aus verschiedenen Elementen:
Die Kommandoposten dienen den Hamas-Kommandeuren, um die Kämpfer zu befehligen. Mittels Kabeltelefonen konnte die Hamas laut CNN-Berichten an den Geheimdiensten vorbei operieren. Dabei soll Israel schon länger gewusst haben, dass die Hamas über diese alte Technik kommuniziert. Im Sommer hatten israelische Beamte im Westjordanland ein solches Kommunikationssystem in den Tunneln entdeckt. Laut IDF handelte es sich dabei um einen "Knotenpunkt für die Koordination zwischen den Terroristen". Über die Tunnel hat die Hamas in den vergangenen Jahrzehnten unter anderem auch immer wieder Selbstmordattentäter und andere Terroristen nach Israel eingeschleust.
Nach der Erstürmung des Al-Schifa-Krankenhauses, der größten Gesundheitseinrichtung von Gaza, habe die IDF ein unterirdisches Hamas-Kommandozentrum finden können, wie das israelische Militär mitteilte. An dem Beispiel zeigt sich, dass die Hamas nicht davor zurückschreckt auch die eigenen Leute für ihre Ziele zu opfern.
Die Tunnel, die bis zu 70 Meter tief liegen, dienen auch dem Schmuggel und der Versorgung der Hamas. Treibstoff, Wasser, Lebensmittel, aber auch Waffen und Komponenten für Raketen werden unter anderem vom Norden Ägyptens her eingeführt und in Kavernen eingelagert. Der Strom für Beleuchtung, Lüftung, Klimaanlagen und andere Systeme wird mit Generatoren erzeugt. Es wird mit einer Bevorratung von bis zu vier Monaten gerechnet. In einem Video, dass vom israelischen Militär veröffentlicht wurde, sieht man, dass in diesem Tunnel Geiseln festgehalten worden sind.
In den Raketenbunkern werden die Raketen zusammengebaut. Der Abschuss erfolgt von den Kampfstellungen über Tage. Häufig sollen sie sich in den Hinterhöfen von Moscheen, Krankenhäusern oder Schulen befinden. Die Hamas hat selbst schon Videos der Raketenmanufaktur veröffentlicht.
Betonauskleidung und ausgeklügelte Infrastruktur
Die Tunnel werden nicht nur als Zentrale genutzt, sondern auch zur Verteidigung und zum Angriff. Durch die Tunnel kommt die Hamas einigermaßen sicher und frei von einer Kampfposition zur anderen. Überall dort, wo die israelischen Bodentruppen passieren müssen, wurden Stellungen vorbereitet, die unterirdische erreichbar sind. Es kursieren Hamas-Videos, die Kämpfer mit Panzerabwehrwaffen zeigen. Sie tauchen aus dem Nichts auf und bekämpfen auf einem Trainingsgelände Attrappen von Panzern. Die Kommandoeinheit, die auch speziell für den Kampf in den Tunneln ausgebildet ist, heißt Nukhba.
Die Tunnel sind hochprofessionell aufgebaut, mit Betonauskleidung und ausgeklügelter Kampfinfrastruktur. Auf einer Karte beispielsweise, mit israelischen Erkenntnissen über das Tunnelsystem, kann man erkennen, wie die Stollen auch gegen Explosionen geschützt sind. Große Teile der Tunnel verlaufen im Zickzack. So können Druckwellen von Explosionen abgemildert werden.
Sie zu bekämpfen, ist nicht einfach. Denn in dieser asymmetrischen Kriegsführung stehen sich ungleiche Parteien gegenüber. Daher setzen sie auf ungleiche Mittel und Methoden. So ist es für die israelische Armee kaum möglich, die Tunnel aus der Luft zu bekämpfen. Zum einen liegen die Zugänge häufig in überbauten Gebieten, zum anderen werden sie in der Regel getarnt.
Mit dem Einsatz der bunkerbrechenden Raketen, die jetzt von den USA nach Israel geliefert wurden, könnten die Tunnel und ihre Betondecken prinzipiell auch aus der Luft bekämpft werden. Allerdings ist die israelische Luftwaffe in diesem Fall auf eine sehr präzise Aufklärung am Boden angewiesen. Zudem würde Israel mit dieser Art der Bekämpfung große Kollateralschäden in Kauf nehmen. Über das ethische Problem hinaus würde das auf kurz oder lang auch militärische Probleme nach sich ziehen: je mehr zivile Opfer, desto geringer die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.
Die meisten Tunnel sind klein und eng
Jedoch gibt es keine Armee der Welt, die so gut auf die besonderen Umstände im Gazastreifen eingestellt ist wie die Streitkräfte des jüdischen Staates. Um für den Kampf in den Tunneln gewappnet zu sein, wurde eine Spezialeinheit gegründet, die dafür ausgebildet ist, die Infrastruktur der Tunnel zu zerstören.
"Samur" heißt die Gruppe, "Wiesel" auf Deutsch, und sie untersteht der Yahalom-Einheit. Zu ihrer Ausrüstung gehören Bomben, die einen Schaum verbreiten, der verhärtet und die Tunnel unpassierbar macht; sie besitzt Roboter, die die Tunnelanlagen mit Sensoren durchkämmen, ohne Risiko für die Soldaten. Darüber hinaus werden Spürhunde eingesetzt, die für die Arbeit im Untergrund ausgebildet sind.
Zudem sind sie dafür ausgebildet, die Versorgungssysteme zu zerstören: die Generatoren für den Strom, die Belüftungssysteme und die Kommunikationsinfrastruktur. Um die Tunnel systematisch unbrauchbar zu machen, ist es beispielsweise eine gängige Methode, die Tunnel zu fluten - allerdings erst dann, wenn sie geräumt sind. Die Terroristen in den sicheren Tod zu schicken, indem man sie ertränkt oder ihnen beispielsweise den Sauerstoff entzieht, wäre ein Kriegsverbrechen.
Verwendete Quellen
- CNN Politics: Hamas operates used phone lines installed in tunnels und Gaza to plan Israel attack over 2 years, sources familiar with intelligence say
- Jüdische Allgemeine: Terror aus dem Tunnel
- Youtube.de: Behind the Blast Door: Hamas Terrorist Base Under a Hospital
- The Times of Israel: "Like fighting ghosts": The challenge the IDF faces in destroying Hamas´s tunnels
- Youtube.de: Hamas hospital base revealed as IDF video shows lair filled with guns, grenades and rockets
- idf.il: Over 800 tunnel shafts located and 500 destroyed since the beginning of the war
- The Times of Israel: IDF says it found Hamas rocket-making lab, weapons and tunnel entrance inside Gaza City mosque
- Youtube.de: Hamas militant video reveals how ist rockets are made before Israel attack
- Vanity Fair: Did Israel avert a Hamas Massacre?
- The Wall Street Journal: Map: Tunnels Under Gaza Made by Hamas, Identified by Israel
- Merkur: Spezialeinheit für die Hamas-Tunnel: "Wiesel" soll Netz der Terrorgruppe unter Gaza ausheben
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