Viktor Orbán setzt im ungarischen Wahlkampf auf Angst vor Überfremdung. Dabei bedient er sich scharfer Rhetorik und kruder Verschwörungstheorien. Lange war seine Immer-weiter-rechts-Strategie erfolgreich. Doch kurz vor der Parlamentswahl am Sonntag scheint es, als hätte der Populist den Bogen überspannt.

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"Wir stehen vor der größten Schlacht. Man will, dass wir unser Land freiwillig anderen überlassen, Fremden, die von anderen Kontinenten kommen, die unsere Kultur, Gesetze und Lebensform nicht respektieren."

Was Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán vor rund drei Wochen bei einem Großaufmarsch seiner Anhänger in Budapest gesagt hat, hat er immer wieder wie ein Mantra wiederholt.

Orbán schürt die Angst vor Überfremdung. Ein anderes Wahlkampfthema hat er nicht - seine Fidesz-Partei hat für die Parlamentswahl kein Wahlprogramm aufgelegt. Sie konzentriert sich allein auf rechtsnationale Rhetorik und krude Verschwörungstheorien.

Menschenrechtler als Staatsfeind

Zum Inbegriff des Böses hat Orbán den US-Finanzinvestor und Menschenrechtler George Soros stilisiert. Als Strippenzieher hinter der Europäischen Union (EU) steuere der aus Ungarn stammende Holocaust-Überlebende die Massenzuwanderung von Muslimen nach Europa, behauptete Orbán. Soros' angebliches Ziel sei es, die Völker des alten Kontinents ihrer "christlichen und nationalen Identität" zu berauben.

Plakate im ganzen Land zeigen einen teuflisch grinsenden Soros mit unnatürlich langen Armen, die er den Spitzenkandidaten der Opposition auf die Schultern legt. Diese machen sich mit großen Zangen an einem Grenzzaun zu schaffen.

Die Verschwörung gegen Soros eignet sich auch bestens zur Diffamierung von regierungskritischen Zivilorganisationen, die Soros teilweise unterstützt.

Ihre Aktivisten nennt Orbán "Soros-Söldner". 2.000 von ihnen seien der Regierung "namentlich" bekannt, sagte er vergangene Woche im staatlichen Rundfunk. "Wir wissen genau, wer daran arbeitet, Ungarn zu einem Einwanderungsland zu machen, und wie derjenige das tut."

Ob Orbán bluffte oder Ungarn tatsächlich Menschen geheimdienstlich überwacht, die sich für Flüchtlinge, Obdachlose oder Roma engagieren, bleibt unklar.

Viktor Orbán, 54 Jahre alt, hatte Ungarn bereits zwischen 1998 und 2002 regiert. Seit 2010 ist er wieder an der Macht. Mit einer Zweidrittelmehrheit ausgestattet, hat Orbán unter anderem das Verfassungsgericht entmachtet, die Presse- und Meinungsfreiheit beschnitten, patriotische Erziehung in den Lehrplänen verankert und den Hochschulen ihre Finanzautonomie genommen.

Zweidrittelmehrheit in Gefahr

Mit der EU liegt er deshalb tief im Clinch. Zu Hause aber geht seine Strategie auf - oder muss man vielmehr sagen, ging?

Das Institut Republikon sieht Fidesz in einer Umfrage vom Dienstag bei einem Stimmanteil von 41 Prozent. Es gibt kaum Zweifel daran, dass Fidesz gewinnt.

Doch der Urnengang am Sonntag könnte die Mehrheit der Partei deutlich schrumpfen lassen. Das liegt unter anderem an einer Änderung des Wahlrechts, einem Strategiewechsel der Oppositionspartei Jobbik und einer riesigen Überraschung in einer Kleinstadt mit schier unaussprechlichem Namen.

Doch der Reihe nach.

In Ungarn werden 106 der 199 Parlamentsmandate über Direktwahl vergeben. Eine einfache Mehrheit genügt, um den Sitz zu gewinnen. Das begünstigt die stärkste politische Kraft - erst recht, seit Fidesz 2011 den zweiten Wahlgang abgeschafft hat. Dass sich unterlegen Parteien im zweiten Wahlgang verbünden, um sich den Sitz doch noch zu schnappen, ist also nicht mehr möglich.

Linke Oppositionsparteien rücken zusammen

2014 holte Orbáns Partei dank dieses Systems eine Zweidrittelmehrheit, obwohl nur 44 Prozent der Wähler ihr die Zweitstimme gaben. Doch was zuletzt ein Vorteil war, könnte sich jetzt ins Gegenteil verkehren. Dann nämlich, wenn rechte, wie linke und auch liberale Ungarn taktisch wählen und sich unabhängig vom jeweiligen politischen Lager-Denken für den aussichtsreichsten Oppositionskandidaten entscheiden.

Aktuell findet dahingehend tatsächlich ein bemerkenswertes Umdenken innerhalb der Opposition statt, was das erwähnte Szenario zumindest wahrscheinlicher werden lässt, als dies in der Vergangenheit jemals der Fall gewesen war.

Eine grüne Kleinpartei hat ein Wahlbündnis mit den Sozialisten geschlossen. Mit der Demokratischen Koalition unterstützt eine weitere Partei des linken Flügels dessen Spitzenkandidaten Gergely Karácsony. In Umfragen kommen sie zusammen auf rund 20 Prozent der Stimmen.

Kleinstadt sorgt für Sensation

Außerdem ist die vormals rechtsextreme Jobbik für viele Gemäßigte zur Option geworden. Die stärkste Oppositionspartei hat erkannt, dass rechts von Orbán kein Platz ist und einen taktischen Schwenk in Richtung politischer Mitte gemacht.

Wie die slowakische Tageszeitung "Sme" berichtet, sind fast einhundert Prozent der Linkswähler bereit, einem Kandidaten anderer Parteien ihre Stimme zu geben, falls dieser mehr Erfolgsaussichten gegen den Kandidaten von Fidesz hat als der "eigene".

Auch 60 Prozent der Jobbik-Wähler der Rechtspartei können sich demnach eine Stimme für einen Kandidaten des anderen politischen Lagers vorstellen.

Vorgemacht haben es die Wähler von Hódmezövásárhely bei der Bürgermeisterwahl Ende Februar.

Von einer breiten Oppositionsfront unterstützt, hat dort der parteilose Kandidat Peter Marki-Zay völlig überraschend den favorisierten Fidesz-Mann geschlagen. Die Bürgermeisterwahl galt als eine Art Testwahl.

Die Ungarn-Wahl am Sonntag könnte nun also doch spannender werden, als es Viktor Orbán und seiner Fidesz lieb sein wird.

Mit Material der dpa


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