Führt die deutsche Polizei rassistisch motivierte Personenkontrollen durch? Das Deutsche Institut für Menschenrechte bejaht diese Frage und will das so genannte "Racial Profiling" abschaffen. Der Staat müsse sicherstellen, dass "die Polizei bei anlasslosen Personenkontrollen Menschen nicht aufgrund unveränderlicher Merkmale wie Hautfarbe oder Gesichtszügen überprüft". Wir sprachen mit Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, über Rassismus-Vorwürfe gegen die Polizei und mögliche Folgen einer Abschaffung der entsprechenden Rechtsgrundlage.

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Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen: Im Dezember 2010 gerät ein deutscher Student mit dunkler Hautfarbe in einem Regionalzug von Kassel nach Frankfurt in eine Polizeikontrolle. Der Forderung der Beamten der Bundespolizei, sich auszuweisen, kommt er nicht nach. Nachdem die Beamten ihn durchsuchten und keinen Ausweis finden konnten, nehmen sie ihn mit auf die Wache. Später klagt der Student gegen die Polizeikontrolle, die ihm rassistisch motiviert vorkam und bekommt im Oktober 2012 vor dem Oberverwaltungsgericht Koblenz schließlich recht.

Kontrolliert wegen der Hautfarbe

Vor Gericht hatte einer der beteiligten Beamten ausgesagt, er spreche Reisende an, die ihm als Ausländer erschienen - auch wegen ihrer Hautfarbe. Nach Angaben der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) handelt es sich um eine weit verbreitete und "rassistisch konnotierte" Praxis der Bundespolizei, die die Betroffenen "als Verdächtige kennzeichne und kriminalisiere". Ist die Forderung des Deutschen Instituts für Menschenrechte, die Rechtsgrundlage für verdachtsunabhängige Personenkontrollen der Bundespolizei abzuschaffen, also gerechtfertigt? Nein, meint Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, und nimmt gleichzeitig Polizeibeamte gegen der Vorwurf des Rassismus in Schutz.

Frage: Herr Wendt, in welchem Maße finden Personenkontrollen durch die Bundespolizei statt, bei denen Personen aufgrund von Hautfarbe oder Aussehen ausgewählt werden?

Rainer Wendt: Personenkontrollen, die sich ausschließlich auf Hautfarbe oder Aussehen von Personen stützen, finden weder in der Bundespolizei noch in den Polizeien der Länder statt. Die vom Institut für Menschenrechte beanstandete Rechtsgrundlage für das Anhalten und die Kontrolle von Personen (§ 22 Abs. 1a BPolG) durch die Bundespolizei nennt "Lageerkenntnisse und grenzpolizeiliche Erfahrung" der Einsatzkräfte als auslösende Merkmale von Kontrollen. Grenzpolizeiliche Aufgabenwahrnehmung gehört zur Kernkompetenz der Bundespolizei. Sie ist auch und gerade in Zeiten verstärkter Mobilität der Menschen insgesamt, aber auch im Hinblick auf Migrationsströme in die und innerhalb der Europäischen Union unverzichtbar, um illegale Einreise zu verhindern. Der Vorwurf, die Bundespolizei handele gar rassistisch, ist bösartig und falsch.

Bestätigt sich in der polizeilichen Praxis, dass durch solche Methoden ausgewählte Personen häufiger mit dem Gesetz in Konflikt geraten als andere? Sie hatten das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz aus dem Oktober 2012 kritisiert, dass die Ausweiskontrolle eines Schwarzen durch Beamte der Bundespolizei als rechtswidrig brandmarkte. Die Entscheidung mache die Polizeiarbeit nicht leichter, sagten Sie damals.

Ich habe an der Entscheidung vor allem kritisiert, dass das Gericht fahrlässig den Eindruck hat entstehen lassen, in der Bundespolizei gäbe es rassistische Tendenzen und Auswüchse. Tatsache ist, dass sowohl in Aus- und Fortbildung, aber auch in der täglichen Praxis der Einsatzkräfte und deren Führung großer Wert auf Sensibilität im Umgang mit allen Bevölkerungsgruppen gelegt und ein möglichst hohes Maß an interkultureller Kompetenz zur Grundlage von Einsatzentscheidungen gelegt wird. Gerade unsere Bundespolizei hat in den vergangenen Jahrzehnten durch unzählige Auslandsmissionen gezeigt, dass der Umgang mit fremden Kulturen und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte eines ihrer prägenden Kompetenzmerkmale ist. Überall in der Welt genießen Angehörige der Bundespolizei zu Recht ein hohes Maß an Ansehen, Wertschätzung und Vertrauen. Mir ist völlig unverständlich, warum sie im eigenen Land derartig absurden Beschimpfungen und Verdächtigungen ausgesetzt sein können. Die Menschen in Afghanistan und anderswo würden nur den Kopf schütteln über diese Art des Umgangs mit Bundespolizistinnen und -polizisten, die überall in der Welt so geschätzt werden.

Welche Maßnahmen führt die Bundespolizei durch, um ein mögliches "Racial Profiling" durch Beamte der Bundespolizei wirksam zu verhindern?

Da gibt eine Menge und es beginnt im täglichen Dienst. Es ist eine ständige Führungsaufgabe, bei den Einsatzkräften das Gefühl und das Wissen um aktuelle rechtliche Entwicklungen immer wieder zu aktualisieren, damit diese in diesem sensiblen Aufgabenfeld stets professionell und kompetent tätig werden können. Aber schon in der Ausbildung und der Fortbildung im Dienst finden immer wieder Ausbildungsveranstaltungen zur Förderung interkultureller Kompetenz und Menschenrechtsbildung statt. Aber das bedeutet nicht, dass in der täglichen Praxis alle polizeilichen Erfahrungen ausgeblendet werden. Und auch wenn es für manchen nicht einsehbar ist, entspricht das Täterbild eines illegal Einreisenden eben nicht dem einer 80jährigen Oma aus dem Schwarzwald, deshalb ist die Kontrollwahrscheinlichkeit dieser Oma eher eingeschränkt. Dass die Polizei Auswahlentscheidungen für Kontrollen trifft, ist bei den Länderpolizeien übrigens an der Tagesordnung, ohne dass dies jemals in dieser Weise diskreditiert würde. Jede Verkehrskontrolle ist nichts anderes, auch da werden die Situation, die Lageerkenntnisse und die polizeiliche Erfahrung dazu genutzt, zu entscheiden, wer angehalten und kontrolliert wird.

Ist die Führung der Bundespolizei möglicherweise der Meinung, dass "Racial Profiling" ein wirksames Instrument bei der Migrationskontrolle ist?

Weder die Führung der Bundespolizei oder die der Deutschen Polizeigewerkschaft noch die Tausenden Beamtinnen und Beamten, die an jedem Tag im Jahr rund um die Uhr dafür sorgen, dass zigtausende Straftaten verhindert oder entdeckt werden, sind der Auffassung, dass das von Ihnen beschriebene "Profiling" ein wirksames Instrument ist. Sie alle sind sich im Übrigen des Umstandes bewusst, dass die ausschließliche Fokussierung auf ethnische Merkmale mit geltendem deutschen, europäischen und internationalen Recht unvereinbar wäre und außerdem wesentliche praxisrelevante Elemente effektiver Prävention und Strafverfolgung vernachlässigen würde.

Aufgrund einschlägiger Vorfälle in der Vergangenheit stehen Polizisten bei einigen Bundesbürgern unter einer Art Generalverdacht, im Dienst rassistisch motiviert zu handeln. Was halten Sie von diesem Vorwurf? Gibt es einzelne Beamte, die eigene fremdenfeindliche Überzeugungen in ihre Arbeit mit einfließen lassen?

Die Polizei in Deutschland hat in der Bevölkerung einen großen Rückhalt und genießt das breite Vertrauen der Menschen in unserem Land. In verschiedenen Untersuchungen und Befragungen erzielt die Polizei in Deutschland regelmäßig Spitzenwerte. Einer Befragung des Magazins "Readers Digest" unter 33.000 Leserinnen und Lesern in Europa ergab einen 6. von 20 möglichen Plätzen und die Feststellung, dass 79 % der Menschen in Deutschland ihrer Polizei vertrauen, 20 % mehr als in allen anderen europäischen Ländern. Nach den Erkenntnissen des "Global Trust Report 2013" liegt der Vertrauenswert sogar bei bemerkenswerten 81 %, wobei auch und insbesondere der eigene Umgang mit Fehlern eine herausragende Bedeutung haben.

Der hohe Vertrauenswert der Bevölkerung ist für alle Polizistinnen und Polizisten immer auch Ansporn und täglicher Auftrag. Die Polizei ruht sich auf dieser Zustimmung nicht aus, sondern ist immer darum bemüht, diese Spitzenstellung auszubauen und zu festigen. Dass wir es nicht immer jedem recht machen können, ist genauso klar wie der Umstand, dass es manche Zeitgenossen gibt, die mit einem profunden Misstrauen gegenüber staatlichem Handeln insgesamt ausgestattet sind, wenn man von der Übersendung staatlicher Transferleistungen absieht. Manche sind unbelehrbar und wiederholen solche Vorwürfe immer wieder, auch wenn die sich längst als widerlegt herausgestellt haben. Das müssen wir aushalten und tun es auch, denn ein Wesensmerkmal einer demokratischen Polizei ist auch ihre hohe Frustrationstoleranz und Geduld.

Welche Folgen drohen Ihrer Meinung nach, wenn die rechtliche Grundlage für die verdachtsunabhängigen Kontrollen der Bundespolizei wirklich abgeschafft würde?

Wenn die Bundespolizei die Befugnisse des § 22 BPolG, also der lagebildabhängigen Kontrolle von Personen, verlöre, würden zigtausende illegale Einreisen nach Deutschland nicht entdeckt und verhindert werden können, mit dramatischen Folgen für unsere Gesellschaft. Abgesehen von steigenden Personalanforderungen für Länderpolizei, Ausländerämter und andere Behörden und steigenden Soziallasten müssen schwere gesellschaftliche Verwerfungen befürchtet werden. Die Bundespolizei leistet an dieser Stelle also einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung gesellschaftlicher Verhältnisse in unserem Land, das wird vielen Kritikern offenbar nicht bewusst. Wir alle können in sicheren, stabilen Verhältnissen leben und genießen Frieden und Freiheit in unserem Land, hier kann jeder seine Meinung frei und unbekümmert äußern, ohne Angst vor Verfolgung haben zu müssen. Manche vergessen, dass das alles nicht selbstverständlich ist, sondern hart erarbeitet werden muss, dazu leistet die Bundespolizei einen unverzichtbaren Beitrag.

Herr Wendt, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Rainer Wendt (56) ist seit 2007 Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPoIG). Zwischen 1997 und 2010 war er zudem Vorsitzender der DPoIG in Nordrhein-Westfalen. Polizeibeamter ist er seit 1973.
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