- Kurz vor seinem Ausscheiden als Präsident des Robert-Koch-Instituts erhebt Lothar Wieler Vorwürfe gegenüber den politischen Entscheidungsträgern.
- Vor allem beim Thema Schulschließungen sei unbedacht gehandelt und nicht auf Empfehlungen des von ihm geleiteten Instituts gehört worden.
- Aber auch Wieler selbst gibt Fehler zu.
Der scheidende Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, hat sich kritisch über Schulschließungen während der Corona-Pandemie geäußert. "Es gab nie nur die Alternative: entweder wenige Tote oder Schulen offen halten", sagte Wieler der Wochenzeitung "Die Zeit" nach Angaben vom Mittwoch. "Der vorhandene Spielraum ist während der ganzen Pandemie nicht ausreichend mit der nötigen Sorgfalt, Ruhe und Sachlichkeit betrachtet worden."
Anfangs sei auch nicht bekannt gewesen, in welchem Maß Kinder an Corona erkranken und inwieweit sie von Langzeitfolgen betroffen seien, gab Wieler zu bedenken. "Wir mussten auch sie schützen." Die Umsetzung sei Aufgabe der Politik und der Verantwortlichen vor Ort. "Und es war immer klar, dass jede Maßnahme Nebenwirkungen hat", sagte er der "Zeit".
Die Empfehlungen des RKI hatten immer Schulöffnungen im Auge
Das RKI habe "immer Empfehlungen abgegeben, mit denen man den Betrieb in Schulen und Kitas hätte laufen lassen können, wenn auch unter Anstrengung", sagte Wieler. Als eigenes Versäumnis nannte der RKI-Chef, er habe zu Beginn der Pandemie "nicht optimal kommuniziert". Er hätte demnach "mehr Gespräche führen sollen, um diese komplexen Geschehnisse besser einzuordnen. Das habe ich zu wenig getan."
Wieler sprach sich allgemein für eine Aufarbeitung der Pandemie aus: "Als Wissenschaftler will ich wissen: Welche Maßnahmen waren adäquat, welche Kosten-Nutzen-Effekte gab es?", sagte er. Dies müsse fundiert geschehen und "unbedingt", "als saubere Analyse, denn wir müssen ja daraus für die Zukunft lernen".
Umfrage zeigt: Eine Mehrheit der Deutschen stimmt Wieler zu
Ähnlich sehen das offenbar auch die Menschen in Deutschland: Eine Umfrage im Auftrag der "Zeit" zeigt, dass eine Mehrheit der rund 2.500 Befragten - 58 Prozent - sich für eine Aufarbeitung von Fehlentscheidungen im Umgang mit Corona ausspricht.
Forderungen, das RKI künftig institutionell unabhängig vom Bundesgesundheitsministerium aufzustellen, erteilt Wieler eine klare Absage: Damit würde das Institut eine "entscheidende Funktion verlieren, nämlich eine gesetzlich legitimierte Schnittstelle von Wissenschaft zu Politikberatung zu sein". Dies sei eine Stärke des deutschen Forschungssystems: "Die sollten wir nicht einfach aufgeben, weil es vielleicht gerade populär zu sein scheint."
Lothar Wieler scheidet als RKI-Präsident aus
Wieler hatte vor zwei Wochen bekannt gegeben, dass er sein Amt als Präsident des Robert-Koch-Instituts zum 1. April 2023 niederlegen werde. Er leitet die Einrichtung seit 2015.
Was er künftig genau machen wird, sagte er auch in der "Zeit" nicht. Der Abschied vom RKI und der Zeitpunkt für diesen Schritt seien seine persönliche Entscheidung gewesen. Die Pandemie sei inzwischen beherrschbar. Das sei ein guter Zeitpunkt, um aufzuhören. Und er wolle noch einmal etwas Neues machen. (afp/dpa/hau)
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