Nach außen hin stellt das Robert-Koch-Institut die Datenlage zu wichtigen Corona-Fragen als ausreichend dar. In einem internen Dokument liest sich das ganz anders.

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Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte als zentrale deutsche Gesundheitsbehörde während der Corona-Pandemie eine Schlüsselfunktion. Ihre fachliche Kompetenz genießt unter Wissenschaftler:innen auch international hohes Ansehen. Doch wie gut konnte das RKI in der Corona-Hochphase seine Arbeit leisten?

Viele Expert:innen bemängelten die Qualität der veröffentlichten Daten zu Aspekten der Pandemie, die immerhin eine Grundlage politischer Entscheidungen waren: zu wenig, zu langsam, zu schlecht, so die Kritik. Etwa im Vergleich zu Israel oder Großbritannien fehlte es an einer aussagekräftigen Beobachtungsstudie, um Infektionsverläufe, Langzeiterkrankungen und die Effekte von Schutzmaßnahmen besser zu verfolgen.

In seiner Außenkommunikation wischt das RKI diese Kritik beiseite. Zwar sei es "personell nicht für derartige Dauerbelastung in einem 'Jahrhundertereignis' ausgelegt", steht seit September 2023 auf einer Internetseite, auf der das Institut eine Art Pandemie-Bilanz zieht. Doch eigentlich ist dieser Darstellung zufolge bei Corona alles gut gelaufen: "Das RKI war vorbereitet", heißt es da, die erhobenen Zahlen und Daten einschließlich der Erkenntnisse aus "gezielten Studien" zu wichtigen Fragen hätten "in der Gesamtschau zeitnah eine solide Basis für Maßnahme-Entscheidungen" geschaffen.

Gar von einer "optimalen Erfassung" relevanter Informationen ist die Rede. Ein Fazit lautet: "Die Datengrundlage zur epidemiologischen Lage in Deutschland war während der gesamten COVID-19-Pandemie ausreichend, um die aktuelle Situation zuverlässig bewerten zu können."

Interne Analyse fällt deutlich kritischer aus

Anscheinend fällt die Analyse des RKI vor allem dann so positiv aus, wenn sie für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Intern weichen die Einschätzungen von dieser Außendarstellung deutlich ab – sie widersprechen der Behauptung einer "optimalen" Datenerfassung und bestätigen vielmehr die Kritiker:innen der Datenlage. So geht es aus einem internen 104 Seiten langen "Planungs- und Umsetzungskonzept" hervor, das RiffReporter infolge einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsrecht vorliegt.

Das Konzept schuf die Grundlage für eine Neuaufstellung der wichtigen "Abteilung 2" des Instituts, zuständig für "Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring". Es ist datiert auf den 31. März 2022 und hatte bis dahin bereits einen längeren Abstimmungsvorlauf. Verfasst haben es die zuständigen Abteilungs- und Fachgebietsleiter:innen.

Nach Informationen von RiffReporter erhielt das Papier in der vorliegenden Fassung zudem die Unterstützung des damaligen RKI-Präsidenten Lothar Wieler sowie des wissenschaftlichen Beirats des Instituts. Die Analyse darin liest sich deutlich anders als die PR-Darstellung im Internet: "Die Bedarfe der Politik und Öffentlichkeit nach unmittelbar verfügbarer empirischer Evidenz zur Unterstützung der Eindämmung der Pandemie konnten anhand der bisher vorhandenen Strukturen und Ressourcen nicht vollumfänglich gedeckt werden", heißt es an einer Stelle. "Vor allem die Dynamik pandemischer Situationen und deren Unplanbarkeit haben die notwendige Justierung der vorhandenen Systeme im RKI aufgezeigt."

Wäre ein taugliches Monitoringsystem etabliert gewesen, so führen die Autor:innen aus, hätten beispielsweise "zeitnah Bevölkerungsgruppen mit geringeren Impfquoten und mit Impflücken zusammenhängende Barrieren im Rahmen der COVID-19-Pandemie identifiziert werden können." Ein solches Monitoring ist im Konzept beschrieben als eine Voraussetzung, um "flexibel und zielgruppengerecht Maßnahmen daraus abzuleiten und zu ergreifen". Tatsächlich hätten sich die bisherigen RKI-Studien zum Gesundheitsmonitoring aber "spätestens" in der Pandemie als "langwierig" und "kaum an kurzfristig auftretenden Informationsbedarfen anpassbar" erwiesen.

"Schnell an Grenzen stoßen"

Einen Grund dafür haben die RKI-Fachleute in "tradierten Prozessabläufen" ausgemacht, die "vor allem im Zusammenhang mit dynamisch wechselnden Anforderungen schnell an ihre Grenzen stoßen und Ressourcenprobleme vergrößern". Als Beispiel halten in dem Konzept ausgerechnet jene "gezielten Studien" her, derer sich das RKI in der öffentlichen Darstellung rühmt und mit denen es in der Pandemie kurzfristig wichtigen Fragen nachgehen wollte.

Die Strukturen für solche Arbeiten beschreiben die Autor:innen als wenig nachhaltig, weil das Institut vor allem auf Basis abgegrenzter Forschungsprojekte arbeiten müsse. Für jedes einzelne Vorhaben würden dann eigene Ressourcen geplant, Projektstellen geschaffen – um beim nächsten Projekt wieder von vorne zu beginnen: "Hoch qualifizierte Kolleginnen und Kollegen mussten das RKI verlassen, deren Profil für eine nächste (noch nicht bewilligte) Erhebung erforderlich gewesen wäre." Sonderstudien "zeitnah" durchzuführen, war demnach praktisch "nicht umsetzbar".

Die Verantwortung für das, was das RKI problematisiert, liegt nur zu einem begrenzten Teil beim Institut selbst. Es geht um die politischen Rahmenbedingungen – und die Unterstützung durch das Bundesgesundheitsministerium und die Bundesregierung als Ganzes. Im Vergleich etwa zur zentralen US-amerikanischen Gesundheitsbehörde verfügt das RKI nur über ein Mini-Budget.

Und eine dauerhaft laufende Bevölkerungsstudie, bei der Teilnehmende regelmäßig zu gesundheitlichen Themen befragt und untersucht werden können – auch kurzfristig im Falle einer Pandemie –, hatten die staatlichen Wissenschaftler:innen bereits vor mehr als zehn Jahren gefordert und 2021/2022 als Teil des Abteilungskonzepts ausgearbeitet. Erst in diesem Jahr machte das Bundesgesundheitsministerium den Weg für ein solches "RKI-Panel" frei, wie RiffReporter berichtete.

Lauterbach-Pläne für RKI-Zerschlagung in der Kritik

Allerdings soll die "Abteilung 2" des Instituts, zuständig für "Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring" und damit auch für das Panel, in Zukunft gar nicht mehr dem RKI angehören. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nämlich bereitet aktuell die Zerschlagung des Instituts vor: Das RKI soll künftig nur noch für Infektionskrankheiten zuständig sein, während sich eine neue Behörde – das Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) – um nicht-übertragbare Krankheiten kümmert.

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Darunter fallen große Volkskrankheiten wie Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Weil sich auf sie auch das Gesundheitsmonitoring in nicht-pandemischen Zeiten konzentriert, soll die Abteilung wie insgesamt wohl auch rund ein Drittel der bisherigen RKI-Beschäftigten ans BIPAM wechseln. Ob das für den Fall einer neuen Pandemie gerade mit Blick auf die Datenlage hilfreich ist, daran bestehen Zweifel.

In einem Brief an Lauterbach warnte nun auch der Personalrat des RKI vor den Folgen der Reform. Das Schreiben vom 6. Februar 2024 liegt RiffReporter vor – die Zerschlagung lehnt Personalratschef Uwe Schäfer darin mit deutlichen Worten ab. "Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, drohender künftiger Pandemien und der gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels ergibt es inhaltlich keinen Sinn, infektiöse und nicht-infektiöse Erkrankungen zu trennen.

Gerade Synergien stehen im Vordergrund", schreibt er und warnt vor ineffizienten "Doppelstrukturen". Diese würden zu "erheblichen Mehrausgaben für die Verwaltung" führen, die dann für die Prävention und Bekämpfung von Krankheiten "nicht mehr zur Verfügung stehen." Wie zuvor bereits zahlreiche Gesundheitsexpert:innen fordert Schäfer anstelle einer Aufspaltung die Bündelung der Kompetenzen in einem "Public Health-Institut".

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