Mit Plakaten und anderen Werbekampagnen will das Land seine Bürger zum Freiwilligendienst überreden. Gleichzeitig werden die Mobilisierungsmethoden immer brutaler. Kritik kommt nicht nur von betroffenen Männern – eine Personalexpertin diagnostiziert einen entscheidenden Fehler.

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Attraktive, sportliche, junge Uniformierte sind auf dem Plakat zu sehen. Sie stehen auf der linken Seite, ihre starren Blicke richten sich nach rechts. Zu lesen sind Stellenangebote der 3. Sturmbrigade – der wohl bekanntesten Einheit des ukrainischen Militärs, Asov-Kämpfer.

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Plakat in Kharkiv, mit dem die Ukraine ihre Bürger für den Wehrdienst mobilisieren will. © Joana Rettig

In der gesamten Ukraine sind diese Plakate mit unterschiedlichen Motiven, aber dem immer gleichen Muster zu finden: Soldatinnen und Soldaten starren in die Gesichter widerwärtiger, blutrünstiger Kreaturen. Schon seit Kriegsbeginn im Februar 2022 ist es in der Ukraine üblich, russische Soldaten als Orks zu bezeichnen. Kreaturen, die geschaffen wurden, um zu töten – und das auf die brutalste, menschenverachtende Weise. Eine Referenz auf die Wesen aus der "Herr der Ringe"-Saga.

Die Ukraine sucht seit Monaten bereits verzweifelt nach Möglichkeiten, ihre Frontlinien gegen russische Attacken zu verstärken. Zu Beginn der Invasion meldeten sich die Menschen freiwillig – mittlerweile hat sich der Wind jedoch gedreht. All jene, die kämpfen wollen, sind bereits im Einsatz, der Rest hält sich bedeckt, einige kaufen sich offenbar frei. Nun werden sowohl Militärrekrutierer als auch die Einheiten und das Verteidigungsministerium kreativ. Jedoch nicht ohne Kritik.

Konzept: Bewerbung auf bestimmte Posten

Im September 2023 begann das Ministerium mit der Arbeit an einer neuen Mobilisierungsstrategie. Dem Nachrichtenportal "Economist" sagte ein Sprecher des Ministeriums, ein Teil des Problems liege im Erfolg der Armee: Viele Bürger sähen den Krieg nicht mehr als so existenziell an wie unmittelbar nach der russischen Invasion. "Einige glauben fälschlicherweise, dass es jemanden gibt, der die Arbeit für sie erledigen kann", sagte der Sprecher.

Nun will man in der Ukraine auf mehr Freiwillige setzen – und den Menschen die Wahl bieten: Neue Rekruten sollen sich für bestimmte Posten bewerben können. Ein digitales Register soll dem Ministerium einen besseren Überblick über die Arbeitskräfteressourcen verschaffen. Es soll künftig ein klareres System von Ruhezeiten und Rotationen geben. Zudem sollen Freiwilligen für einen begrenzten Zeitraum mobilisiert werden, nicht wie bisher auf unbestimmte Zeit – denn auch dies erschwerte die Neugewinnung von Personal zusätzlich. Offenbar arbeitet man jetzt auch mit dem Arbeitsamt zusammen.

Das neue Konzept setzt auf eine zweigleisige Anwerbung: Einerseits werden Stellen für die Streitkräfte auf allen bekannten Job-Plattformen ausgeschrieben: Lobby X, Work.ua, Robota.ua und sogar auf dem privaten Kleinanzeigendienst OLX. Gleichzeitig verschärfen Mobilisierungseinheiten ihre Methoden: Aktivisten berichten von Bussen, die auf belebten Plätzen, etwa in Städten wie Lviv im Westen, anhalten.

Uniformierte sollen dort herausströmen und wahllos Männer auf den Straßen kontrollieren. Einige werden den Erzählungen zufolge direkt in Rekrutierungszentren verbracht. An den Militär-Checkpoints werden Autos durchsucht, männliche Insassen werden aufs genaueste überprüft. Beamte an den Grenzen intensivieren ihre Kontrollen. Regelmäßig werden Männer aussortiert und wieder zurück ins Land geschickt.

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Von der Straße an die Front: Kritik an Rekrutier-Methoden

"Mein Mann wollte morgens die Nachtschicht verlassen, als das Team des Rekrutierungszentrums ihm den Weg versperrte und er mit Gewalt durch die medizinische Kommission gebracht wurde", heißt es etwa in einer Nachricht an einen in Kiew ansässigen Anwalt, den die "New York Times" veröffentlichte.

Die Kritik der Bevölkerung wird immer lauter. Undurchsichtig, veraltet und korrupt seien die Methoden der Rekrutierungszentren. Und auch wenn sowohl der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow als auch der Armeechef Walerij Saluschnyj von ihrer Reform überzeugt sind: Bisher blieben große Erfolge aus. Die Kampagne der 3. Sturmbrigade gilt als die erfolgreichste.

Saluschni bezog auch bereits Stellung zu den Problemen und erklärte die Lage in einem Gastbeitrag im "Economist". Man habe nur begrenzte Möglichkeiten, Reservisten auf eigenem Territorium auszubilden, da Russland Raketen- und Luftangriffe auf Ausbildungszentren und Übungsgelände schieße. Gleichzeitig stehe man einer geringeren Motivation der Bürger gegenüber. Die Gründe: die Langwierigkeit des Krieges, begrenzte Möglichkeiten der Rotation von Soldaten an der Frontlinie und Gesetzeslücken, die es manchen ermöglichen, eine Mobilisierung rechtlich zu umgehen.

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Expertin: Maßnahmen "gelinde gesagt nicht sehr vernünftig"

Die ukrainische Personalexpertin Tetyana Pashkina ist hier anderer Meinung. Im Gespräch mit dem ukrainischen Nachrichtenportal "TSN" spricht sie von einer fehlenden Zusammenarbeit der Rekrutierer und den Mobilisierungseinheiten. Sie kritisiert fehlende Effizienz und eine Verschwendung von fachlichen Ressourcen. "Das liegt daran, dass wir ein Gesetz über die Mobilisierung haben, aber zum Beispiel kein Gesetz über die militärische Rekrutierung", sagte Pashkina gegenüber "TSN".

"Stellen Sie sich vor, wir haben einen herkömmlichen Logistikdirektor - einen hoch qualifizierten Spezialisten. Er hat vor 20 bis 30 Jahren seinen Abschluss an einer wirtschaftlichen Hochschule gemacht. Und zu seinem Pech hatte er keine militärische Abteilung. Dieser Mensch mit seiner großen Erfahrung könnte die Logistik mehrerer Militäreinheiten aufbauen, aber stattdessen wird er vom Rekrutierungsbüro einfach vorgeladen und als gewöhnlicher Soldat in den Schützengraben geschickt." Solche Spezialisten sollten ihrer Meinung nach von den Militärrekrutierern gezielt gesucht werden, "denn solche Leute bringen der Armee mehr Nutzen als die Tatsache, dass sie in einem Schützengraben sitzen werden".

Laut Pashkina versucht man nun, diese Situation ein wenig zu optimieren. Aber das gelinge nicht immer. "Wenn jemand im Zivilleben zum Beispiel Chefarzt war und man versucht, ihn als Feldwebel in die Infanterie zu stecken, ist das, gelinde gesagt, nicht sehr vernünftig", meint Pashkina. Ein Mann solle unter Kriegsbedingungen nützlich sein und seine Erfahrung nicht in den Schützengräben verlieren.

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