Mit einer Falschinformation wird Stimmung gegen Geflüchtete aus der Ukraine gemacht: Es wird behauptet, sie würden die Rentenkassen leeren, in die Deutsche jahrelang einzahlen. Das stimmt nicht – Ukrainerinnen und Ukrainer müssen in Deutschland arbeiten und Beiträge zahlen, bevor sie einen Rentenanspruch erhalten.

Das Gerücht nahm seinen Anfang am 13. April in einem Telegram-Kanal namens "Conspiracy Newsroom": Geflüchtete aus der Ukraine bekämen ihre Rente in Deutschland zehn Jahre früher, auch wenn sie nie Beiträge eingezahlt hätten. Das Renteneintrittsalter beginne für Frauen bei 57 Jahren, bei Männern ab 60 Jahren, während es für deutsche "Einzahler" bei 67 Jahren liege. Ukrainerinnen und Ukrainer dürften also "diese Töpfe zehn Jahre vor den Einzahlern entleeren", heißt es in dem wütenden Text. Angeblich sei eine Anweisung mit dieser "Entscheidung der Ampelkoalition" per E-Mail an die Jobcenter gegangen.

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Ein Faktencheck von CORRECTIV zeigt: Es handelt sich um eine Falschinformation. Geflüchtete aus der Ukraine haben in Deutschland keinen Anspruch auf Rente, wenn sie keine Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) teilte uns auf Anfrage per E-Mail mit: "Die Zentrale der BA hat hierzu keine E-Mail-Weisung veröffentlicht." In Deutschland sind auch nicht die Jobcenter zuständig für Rentenanträge, sondern die Deutsche Rentenversicherung (DRV). Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung werden in der Regel vom Gehalt einbehalten.

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Die Mindestversicherungszeit für einen Rentenanspruch in Deutschland liegt bei fünf Jahren

Arbeitszeiten im Ausland können laut DRV in Deutschland nur angerechnet werden, wenn es sich um ein EU-Mitgliedsland handelt, oder das Land mit Deutschland ein Sozialversicherungsabkommen hat. Ein solches Abkommen hat das Ziel, dass einmal erworbene Rentenansprüche nicht verloren gehen. Ein vereinfachtes Beispiel: Eine Person wandert aus, bevor sie lange genug gearbeitet hat, um die Mindestversicherungszeit in ihrem Land zu erfüllen. Die Arbeitszeit in dem anderen Land kann dann mit der in der Heimat zusammengezählt werden. Ein anderes typisches Beispiel sind deutsche Rentnerinnen, die ins Ausland ziehen und ihre Rente aus Deutschland weiterhin ohne Abzüge erhalten wollen.

Die Bedingungen dafür seien bei der Ukraine jedoch nicht erfüllt, erklärt uns ein Pressesprecher der DRV, Dirk Manthey, telefonisch; die Behauptungen in Sozialen Netzwerken ergäben keinen Sinn.

Ukrainerinnen und Ukrainer können sich in Deutschland ihre Arbeitszeiten in der Ukraine also nicht anrechnen lassen. Um überhaupt einen Rentenanspruch in Deutschland zu erhalten, müssten sie hier mindestens fünf Jahre Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung zahlen, sagt Manthey. Das ist die normale Mindestversicherungszeit, auch Wartezeit genannt. Und auch beim Eintrittsalter in die Rente gebe es die gleichen Regeln wie für Deutsche; eine Unterscheidung für Männer und Frauen existiere nicht. (In der Ukraine ist das Renteneintrittsalter für Frauen und Männer aber tatsächlich unterschiedlich.)

Sozialversicherungsabkommen zwischen der Ukraine und Deutschland ist noch nicht von beiden Seiten ratifiziert

Ein Sozialversicherungsabkommen zwischen der Ukraine und Deutschland ist bereits seit einigen Jahren in der Schwebe. Die Deutsche Rentenversicherung informierte 2019 in einem Artikel über die Inhalte, auf die die Staaten sich 2018 geeinigt hatten. Aktuell steht auf der Webseite der DRV der Hinweis: "Am 7. November 2018 haben Deutschland und die Ukraine in Kiew ein Abkommen über Soziale Sicherheit unterzeichnet. Zum endgültigen Inkrafttreten müssen noch die parlamentarischen Gremien beider Staaten zustimmen."

Die Techniker Krankenkasse erklärt auf ihrer Webseite, dass Deutschland das Abkommen im Januar 2020 ratifiziert habe. Es wurde am 17. Januar 2020 im Bundesanzeiger veröffentlicht. Doch die Zustimmung der Ukraine stehe noch aus. Das heißt, das ukrainische Parlament hat dem Vertrag noch nicht zugestimmt, daher ist das Sozialversicherungsabkommen aktuell nicht in Kraft.

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Kanzler Scholz erklärt, warum er nicht in die Ukraine fährt

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht keine Anzeichen für ein baldiges Ende des Ukraine-Kriegs und warnt sogar vor einer Eskalation. "Bisher ist es leider nicht so zu erkennen, dass die Einsicht gewachsen ist, dass man das jetzt hier so schnell wie möglich beendet", sagte Scholz am Montag in der Sendung "RTL Direkt". Außerdem erklärte er, warum er bislang keinen Grund sieht, selbst in die Ukraine zu reisen. (dpa)
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