Die Mauer ist bald 30 Jahre weg, Milliarden-Zuschüsse sind in ostdeutsche Betriebe geflossen. Doch was hat es gebracht? Und wie geht es weiter? Dazu gibt es einen kontroversen Vorschlag.
Der Harz wird nie wie München werden. Reint Gropp meint, dass man das einigen Leuten durchaus nochmal sagen muss. "Dieses Bestehen auf gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland hat in die Irre geführt."
Bald 30 Jahre nach dem Mauerfall rechnet der Ökonom mit drei Jahrzehnten Wirtschaftspolitik im Osten ab - und sein Befund dürfte Landräten und Ministerpräsidenten nicht gefallen. Vor allem denen nicht, die im Herbst in Thüringen, Sachsen und Brandenburg in den Wahlkampf ziehen.
Provokante Forderung: Alles Geld in die Städte
"Wir sollten aufhören, dort auf Teufel komm raus Arbeitsplätze zu erhalten." Das ist eine der Empfehlungen Gropps, der in Halle das Institut für Wirtschaftsforschung leitet. Gefordert wird eine Kehrtwende: Fördergeld vor allem in Städte und in besonders produktive Unternehmen, digitale Infrastruktur für junge Dienstleister in Ballungsräumen statt lebenserhaltender Maßnahmen für alte Industrie auf dem Land. "Wir haben die Städte vernachlässigt."
Mit dieser Devise eckt das Institut aus dem Osten an. So widersprach am Montag der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder, Christian Hirte. "Ich halte die Idee, wirtschaftlich schwache Gebiete im Osten aufzugeben, für ökonomisch falsch und politisch völlig inakzeptabel", sagte der CDU-Politiker dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (Dienstag). "Anders als Wirtschaftsinstitute muss Politik auch andere, gesamtgesellschaftliche Parameter im Blick behalten."
Erfolgreiche Populisten - trotz Fördergeld
Denn Arbeitsplätze in der Fläche und die Frage, wo der Osten heute wirtschaftlich steht, spielen eine große Rolle in der Diskussion über Abgehängte und den Zulauf für Populisten. Viele Menschen fühlten sich vom Aufschwung abgekoppelt, warnte der Städte- und Gemeindebund im "Handelsblatt" (Montag). Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin betonte, notwendig sei "eine kluge Strukturpolitik mit massiver, auch finanzieller Unterstützung für strukturschwache Regionen".
Ökonom Gropp aus Halle sagt dagegen: Das viele Fördergeld - 42 Milliarden Euro seit 1991 - habe die Menschen auch nicht davon abgehalten, Populisten zu wählen. Wirtschaftlich hätten die Milliarden auch negativ gewirkt, den Aufholprozess gebremst. Denn Produktivität spiele bei der Verteilung selten eine Rolle, häufiger die Zusicherung der Unternehmen, keine Stellen zu streichen.
Das habe zwar kurzfristig genutzt: Arbeitsplätze blieben erhalten, Einkommen seien weniger ungleich als im Westen. Inzwischen sei die Abwanderung gestoppt, die Bevölkerung wachse.
Unterschiede gibt es nicht nur zwischen West und Ost
Aber die Firmen im Osten seien heute 20 Prozent weniger produktiv als im Westen, schätzt die Studie "Vereintes Land", die das Institut am Montag vorlegte. Wer nicht ausreichend produktiv ist, hat es schwer, langfristig zu bestehen. Den Rückstand gebe es in allen Betriebsgrößen. Deshalb treffe das häufig genannte Argument nicht zu, dem Osten fehlten schlicht Konzernzentralen.
Doch drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall verläuft die Bruchkante längst nicht mehr nur zwischen Ost und West, wie auch die Autoren zugeben. Zwischen Nord und Süd, zwischen Stadt und Land gibt es bundesweit große wirtschaftliche Unterschiede.
Bundesregierung will gesamtdeutsch fördern
Im Ruhrgebiet sind mehr Menschen arbeitslos als in Sachsen, Ostfriesen und Oberfranken verdienen auch nicht besser als Thüringer. Süddeutschland zieht dem Norden davon, was die Produktivität angeht - während sich die Ost-West-Schere trotz großen Abstands langsam schließt.
Union und SPD haben deshalb im Koalitionsvertrag vereinbart, ein Fördersystem für strukturschwache Regionen einzuführen, das gesamtdeutsch wirkt. Auch Produktivitätssteigerungen sollen laut Koalitionsvertrag gefördert werden. (hub/dpa)
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