Sie werden verletzt, vergewaltigt, getötet oder selbst zum Töten gezwungen: Die Zahl der Kinder, die von bewaffneten Konflikten betroffen ist, steigt. Experten wie die Geschäftsführerin von "Save the Children" schlagen Alarm: "Wir riskieren, eine ganze Generation zu verlieren."

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"Eine Kindheit frei von Gewalt und Kriminalität ist kein Privileg. Das muss die Normalität sein", sagt Fatou Bom Bensouda, Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, am Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Wer würde ihr nicht zustimmen? Doch die Realität sieht anders aus.

Die Organisation "Save the Children" hat im Rahmen der Konferenz ihren neuen Bericht "Der Krieg gegen die Kinder" vorgestellt. Die Kernaussage: 357 Millionen Kinder leben (Stand 2016) in einem Umkreis von unter 50 Kilometer von Kriegen und bewaffneten Konflikten. Damit ist jedes sechste Kind betroffen.

Neben der bloßen Zahl ist die Entwicklung erschreckend: 1990 waren es noch 200 Millionen Kinder - ein Anstieg von 75 Prozent.

Spielplätze als Teil des Schlachtfelds

In absoluten Zahlen leben die meisten betroffenen Kinder in Asien. In Relation zur Zahl der Kinder betrachtet ist Syrien das gefährlichste Land, gefolgt von Afghanistan, Somalia, dem Jemen und Nigeria. (Interaktive Karte hier)

"Wir riskieren, eine ganze Generation zu verlieren", warnt Helle Thorning-Schmidt, ehemalige dänische Ministerpräsidentin und heutige Geschäftsführerin von "Save the Children".

Sie sieht mehrere Gründe dafür, dass sich die Situation derart zugespitzt hat, obwohl die Zahl der Länder mit bewaffneten Konflikten zurückgegangen ist.

Die Konflikte seien in die Städte gezogen, wo mehr Menschen leben, als auf dem Land, sagt Thorning-Schmidt. Schulen, Krankenhäuser, Spielplätze seien so Teil des Schlachtfelds geworden.

Außerdem habe die durchschnittliche Zahl der Kriegsparteien zugenommen. Immer öfter seien paramilitärische Einheiten involviert. Dadurch werde es schwieriger, die Verantwortlichen der Verbrechen zu benennen und alle Beteiligten zu Friedensverhandlungen zu bewegen.

Daraus folgt laut Thorning-Schmidt die dritte Ursache: Bewaffnete Konflikte dauerten zunehmend länger, "und je länger ein Konflikt dauert, desto schlimmer wird es für die Kinder".

"Mit 16 hat mich mein Onkel an die Front mitgenommen"

Peter Maurer, Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, spricht in diesem Zusammenhang von einem "kumulativen Effekt", der lange unterschätzt worden sei: Nach dem ersten Angriff ist eine Schule zwar vielleicht beschädigt, aber der Unterricht kann weitergehen. Nach dem zweiten, dritten oder vierten Bombardement aber ist das Gebäude irgendwann nicht mehr brauchbar, mit drastischen Folgen für die Kinder.

Fast die Hälfte der Betroffenen lebt laut "Save the Children" in Gebieten mit besonders schweren Konflikten. Kinder werden von Bomben, Schüssen und Landminen verstümmelt oder getötet. Sie werden entführt und sexuell missbraucht. Oder selbst zum Kämpfen gezwungen, so wie Michael Davies aus Sierra Leone.

In dem westafrikanischen Land tobte zwischen 1991 und 2002 ein Bürgerkrieg. "Mit 16 hat mich mein Onkel an die Front mitgenommen", erzählt Davies. Verletzte, Tote - die Bilder hat er auch nach all den Jahren nicht vergessen. "Am Ende des Tages ist der Krieg vorbei, aber was machen die Kinder mit den Erinnerungen in ihrem Kopf?"

Selbst wer nicht am eigenen Leib Gewalt erfährt, sondern sie "nur" mit ansehen muss, hat oft ein Leben lang damit zu kämpfen. "Die psychologischen Folgen machen an der Volljährigkeit nicht halt", sagt Maurer.

Das Leid der Kinder dokumentieren

Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um Kinder besser zu schützen? Da am meisten geholfen ist, wenn Kinder gar nicht erst zu Opfern werden, fordert "Save the Children" mehr Geld für Konfliktprävention, Friedenssicherung und die Ausbildung der Streitkräfte in Sachen Kinderschutz.

Außerdem müsse mehr in den Wiederaufbau investiert werden, damit Schulen, Krankenhäuser und ähnliche Infrastruktur schnell wieder verfügbar sind.

Chefanklägerin Bensouda verweist auf die Notwendigkeit, das Leid der Kinder zu dokumentieren. Nur so könnten die Täter später vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden.

Michael Davies wünscht sich Schutzzonen, in die Kinder sich im Notfall flüchten können und auch Peter Maurer hält pragmatische Hilfe für wichtig. So übt das Rote Kreuz mit Kindern in Kriegs- und Krisengebieten, wie sie sich bei einer Evakuierung zu verhalten haben und gibt Erste-Hilfe-Kurse. Maurer sagt: "Zuweilen ist es dieses Wissen, das Leben rettet."

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