Da die Krise ohnehin entfesselt ist, platzt es aus Italiens sonst so zurückhaltendem Regierungschef Conte heraus. Er greift seinen Innenminister Salvini an - Ausgang offen.
Im Gezerre um das Rettungsschiff "Open Arms" und mehr als Hundert Migranten vor der Insel Lampedusa ist Italiens Regierungschef Giuseppe Conte zum Angriff auf den rechten Innenminister Matteo Salvini übergegangen. "Unfaire Zusammenarbeit", "institutionelle Verstöße", "politischer Eifer", "absolute Unnachgiebigkeit" sind nur einige der Vorhaltungen, die Conte am Freitag in einem langen, auf Facebook veröffentlichten Brief auf den Rechtspopulisten abfeuerte. Das Ganze ist überschrieben mit: "Sehr geehrter Innenminister, lieber Matteo".
Das Schreiben kommt eine Woche nachdem Salvini das Regierungsbündnis mit der Fünf-Sterne-Bewegung und Conte an der Spitze aufkündigte. Salvini will eine Neuwahl, denn in den Umfragen ist seine rechte und ausländerfeindliche Lega mit Abstand die beliebteste Partei im Land. Seit Amtsantritt im Juni 2018 haben seine Zustimmungswerte rasant zugenommen. Vor allem wegen seiner harten Hand im Kampf gegen die Zuwanderung aus Nordafrika und gegen private Seenotretter.
Das Vorgehen gegen die "Open Arms" ist ein Paradebeispiel. Kurz nach Amtsantritt erklärte Salvini das erste Mal, dass die italienischen Häfen für Rettungsschiffe geschlossen seien. Er setzte ein Sicherheitsgesetz durch, das Geldstrafen in Höhe von bis zu einer Million Euro gegen Seenotretter ermöglicht, die unerlaubt mit ihren Schiffen in die italienischen Gewässer fahren. Ein Verwaltungsgericht in Rom weichte es im Fall der "Open Arms" auf und autorisierte entgegen dem Verbot Salvinis die Einfahrt in die Gewässer.
Seit Donnerstagmorgen ist für die Migranten an Bord "Land in Sicht", wie die Organisation auf Twitter mitteilte. Sechs EU-Länder sind bereit, sie aufzunehmen. Doch auch Stunden später durfte das Rettungsschiff immer noch nicht in den Hafen von Lampedusa einlaufen. Immerhin durften am Abend mehrere Migranten das Schiff verlassen. Fünf Menschen dürften wegen psychologischer Probleme von Bord und auf die Insel Lampedusa, twitterte die Organisation. Den Angaben zufolge konnten mit ihnen vier Angehörige ebenfalls an Land gehen. Auf Bildern war zu sehen, wie die Migranten das Schiff verließen.
Conte plädiert auf Kooperation
Gleichzeitig droht aber einem weiteren Rettungsschiff eine Hängepartie: der "Ocean Viking" von SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen mit 356 Migranten an Bord.
Conte attestierte Salvini in seinem Schreiben nun, er konzentriere sich zwanghaft auf die Migration. Zudem reduziere er das Thema auf die Formel "geschlossene Häfen" - und das, um als Politiker an Zustimmung zu gewinnen. "Wenn wir wirklich unsere "nationalen Interessen" schützen wollen, können wir uns nicht darauf beschränken, Positionen der absoluten Unnachgiebigkeit zu vertreten", erklärte Conte.
Salvini nahm das Schreiben als willkommene Vorlage. Gewohnt zynisch antwortete er darauf und verteidigte seinen Kurs. Ja, er sei besessen von der Sicherheit seiner Bürger, die ihm sein Gehalt bezahlten, sagte er am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im süditalienischen Castel Volturno. "Ich bekenne mich also zu meiner "Schuld", lieber Ministerpräsident, zu meiner "Besessenheit" bei der Bekämpfung aller Arten von Straftaten, der illegalen Einwanderung mit eingeschlossen", hieß es in einem Antwortschreiben Salvinis.
Salvini zockt
Am Ende des Tages hat Salvini einige Argumente auf seiner Seite. "Alle" in der Regierung hätten seinen Kurs bislang unterstützt. "Irgendjemand (anders) hat sich umentschieden", sagte Salvini. Trotz aller Streitereien der letzten Monate innerhalb der Koalition: Die Kollegen in der Regierung haben dem Lega-Chef nie so offen die Stirn geboten wie in diesen Tagen.
Auch deswegen fragen sich Beobachter, warum Salvini die Koalition ausgerechnet jetzt aufkündigte. Es ist nicht ausgemacht, dass es nach einem möglichen Rücktritt von Regierungschef Conte direkt zu einer Neuwahl kommt. Darüber entscheidet der Staatspräsident. Bislang war Salvini in einer komfortablen Situation. Er war nicht direkt verantwortlich für die Politik der Regierung, konnte Forderungen stellen und diese ohne größere Hürden auch durchsetzen. Und das, obwohl er in der Koalition der Juniorpartner war. © dpa
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