Suizidbegleiter, Ärzte und schwerstkranke Menschen klagen gegen die Strafbarkeit der "geschäftsmäßigen Sterbehilfe". Das Bundesverfassungsgericht steht dabei vor schwierigen Fragen. Umfasst das Recht auf selbstbestimmtes Sterben einen Anspruch auf Unterstützung? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Viele Menschen haben Angst vor unerträglichem Leiden und einem qualvollen Tod - manche so sehr, dass sie es selbst in der Hand haben möchten, wann Schluss sein soll. Die Möglichkeiten, dabei professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, sind in Deutschland begrenzt.
Seit gut drei Jahren steht die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" unter Strafe (Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs). Schwerstkranke Menschen, Ärzte und Sterbehelfer wollen das nicht hinnehmen. Seit Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über ihre Klagen gegen das Verbot. (Az. 2 BvR 2347/15 u. a.)
Sterbehilfe-Verbot: Worum genau geht es?
Seit Ende 2015 stehen auf Sterbehilfe als Dienstleistung bis zu drei Jahre Haft. Strafbar macht sich, "wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt". Das zielt auf Menschen ab, die Suizidwilligen tödliche Medikamente zur Verfügung stellen oder ihnen eine Sterbewohnung organisieren.
Angehörige und "Nahestehende" bleiben ausdrücklich straffrei. Der Mann, der seine todkranke Frau zum Suizidhelfer fährt, lege "kein strafwürdiges, sondern in der Regel ein von tiefem Mitleid und Mitgefühl geprägtes Verhalten an den Tag", heißt es im beschlossenen Gesetzentwurf.
Was bedeutet das für die Rechtslage?
Das Grundrecht auf Selbstbestimmung umfasst auch das Recht, frei über den eigenen Tod zu entscheiden. Anders als die aktive Sterbehilfe - also die Tötung auf Verlangen - ist die Beihilfe zum Suizid deshalb grundsätzlich straffrei. Allgemein anerkannt ist außerdem, dass Mediziner auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten haben, wenn der Patient das nicht mehr möchte.
Auf der Palliativstation oder im Hospiz dürfen Ärzte auch schmerzstillende Medikamente geben, die möglicherweise das Risiko bergen, dass der Patient früher stirbt (Hilfe beim Sterben). Paragraf 217 soll eine Lücke schließen und Suizidassistenz verhindern, die nicht medizinisch geboten ist.
Warum soll das notwendig sein?
2009 gründet sich in Hamburg der Verein Sterbehilfe Deutschland von Ex-Justizsenator Roger Kusch. Nach Schweizer Vorbild bietet er zahlenden Mitgliedern den begleiteten Suizid an. Vollmitglieder zahlen 200 Euro jährlich, müssen aber drei Jahre Wartefrist in Kauf nehmen. "Mitgliedschaft S" mit einer Einmalzahlung von 7000 Euro beinhaltet die zügige Bearbeitung.
254 Menschen nehmen sich laut Vereinsstatistik zwischen 2010 und 2015 auf diese Weise das Leben. Der Gesetzgeber will verhindern, dass Sterbehilfe gesellschaftsfähig wird. "Wir wollen nicht, dass sich Menschen unter Druck gesetzt fühlen", bekräftigt Mitinitiator Michael Brand (CDU) in Karlsruhe.
Weshalb ist das Verbot umstritten?
"Geschäftsmäßig" hat nichts mit kommerziell zu tun, sondern bedeutet im Juristendeutsch so viel wie "auf Wiederholung angelegt". In Karlsruhe klagen deshalb auch Palliativmediziner, die tagtäglich mit Sterbewünschen konfrontiert sind.
Sie befürchten, sich strafbar zu machen, wenn sie Schwerstkranken Opiate zur Linderung in potenziell tödlichen Dosen mit nach Hause geben oder beim "Sterbefasten" Menschen begleiten, die nichts mehr essen und trinken wollen. Bundesärztekammer und Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) sehen keine Abgrenzungsschwierigkeiten.
Paragraf 217 verbiete zwar, dass ein Arzt Patienten mit Sterbewunsch ein tödliches Medikament verschreibt. Das verstoße aber ohnehin gegen Berufsrecht.
Wie wirkt sich Paragraf 217 bisher aus?
Nach der neuesten Statistik bis Ende 2017 hat es noch keine Anklagen oder Verurteilungen gegeben. Ein Ermittlungsverfahren, das 2018 in Niedersachsen eingeleitet wurde, ist inzwischen eingestellt.
Sterbehilfe Deutschland hat Verfassungsbeschwerde eingereicht, aber alle Aktivitäten weitgehend auf Eis gelegt. Unter den Klägern sind auch schwerkranke Mitglieder, die die Unterstützung des Vereins deshalb nicht in Anspruch nehmen können. Über den Schweizer Ableger StHD hat sich Kusch allerdings auf die neue Rechtslage eingestellt: Seit 2018 können deutsche Mitglieder einen Angehörigen nach Zürich schicken, der mit tödlichem Medikament und "detaillierter Anleitung" zurückkommt.
Der Schweizer Sterbehilfe-Verein Dignitas hatte 2018 mehr als 3300 Mitglieder aus Deutschland, 87 nahmen sich das Leben. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es pro Jahr etwa 10.000 Suizide.
Was passiert in der Karlsruher Verhandlung?
Der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle will sich bis weit in den Mittwochabend hinein zwei volle Tage Zeit nehmen, um alle Positionen zu hören. Um die rechtliche Bewertung soll es erst an Tag zwei gehen, zunächst haben die Richter viele Fragen. Von den kranken Klägern haben nicht alle die Verfahrensdauer von bisher mehr als drei Jahren überlebt.
"Ich habe durchgehalten", sagt Horst Lanz aus Köln - in einer "gesundheitlichen Situation, aus der es keinen Ausweg gibt". Die Kraft dafür habe er aus dem Wissen geschöpft, mit Unterstützung von Sterbehilfe Deutschland zur Not selbst die Reißleine ziehen zu können. Seit dem Verbot sei die Gelassenheit dahin.
Wie geht es nach der Verhandlung weiter?
Die Richter beraten im Geheimen und formulieren dann das Urteil. Erfahrungsgemäß wird es frühestens in einigen Monaten verkündet. (ff/dpa)
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