Das Verhältnis zwischen Beate Zschäpe und ihren drei langjährigen Anwälten im NSU-Prozess ist zerrüttet. Am Freitag reichte die Hauptangeklagte sogar eine Anzeige gegen ihre Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm ein. Liegt hinter ihrem Vorgehen Kalkül? Im Interview mit unserem Portal gibt Strafrechtsprofessor Martin Heger eine juristische Einschätzung.
Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess versucht schon lange, ihre Verteidiger loszuwerden. Vor Gericht beantragte Beate Zschäpe mehrmals die Entpflichtung ihrer Anwälte, mal gegen Anja Sturm, mal gegen alle drei. Zuletzt warf sie ihnen in einer Anzeige vor, gegen ihre Verschwiegenheitspflicht verstoßen zu haben. Bisher scheiterte Zschäpe jedoch mit ihren Anträgen an Richter Manfred Götzl.
Das Problem: Verteidiger können in einem laufenden Verfahren nicht einfach ausgetauscht werden. Denn Beschuldigte haben Anspruch auf eine Rechtsvertretung, die sich mit dem Fall genau auskennt. "Es genügt dabei nicht, einfach nur die Akten zu lesen. Man braucht zum Beispiel auch einen persönlichen Eindruck von den Zeugen", erklärt Martin Heger, Strafrechtsprofessor an der Berliner Humboldt-Universität.
"Jeder kann eine Anzeige einreichen"
Der rechtliche Beistand vor Gericht muss in Deutschland stets gesichert sein. "Frau Zschäpe muss eine Verteidigung haben. Doch sie muss keine Verteidigung haben, mit der sie einverstanden ist", führt Heger aus. Einen Wechsel der Anwälte könne die Angeklagte zwar wünschen, aber nicht verlangen.
Die Bedeutung der Anzeige sei "zu hochgekocht", findet Heger. "Jeder kann eine Anzeige einreichen", gibt der Jurist zu bedenken. "Anders sähe es aus, wenn die Staatsanwaltschaft tatsächlich den Verdacht hätte, es liege eine Straftat zum Nachteil der Angeklagten vor."
Und die Anwälte? Sie haben ihrerseits ebenfalls einen Antrag auf Niederlegung ihres Mandats gestellt. Doch auch er wurde abgelehnt. Sie müssen weitermachen, ob sie wollen oder nicht. Im Gerichtssaal werden sie von Zschäpe ignoriert. Der junge Rechtsanwalts Mathias Grasel, der zum vierten Verteidiger ernannt wurde, soll nun ihr Vertrauen genießen.
Will Beate Zschäpe aussagen?
Doch was will Zschäpe mit ihrem Vorgehen erreichen? Vor Gericht schweigt sie seit mehr als 200 Verhandlungstagen, über ihre Gedanken zum Prozess ist wenig bekannt. In einem Brief an den Vorsitzenden Richter hat die Angeklagte angedeutet, dass sie "etwas" aussagen wolle, doch ihre Anwälte wollten dies angeblich verhindern.
"Sie könnte jederzeit aussagen", betont Heger. Der Schritt steht ihr frei, unabhängig von ihren Anwälten. Uneinigkeit über die Verteidigungsstrategie sei auch kein Grund, das Mandat niederzulegen. Damit sollen die drei bisherigen Anwälte Zschäpe im Fall einer Aussage gedroht haben, behauptet sie in ihrem Brief.
Nach der Einschätzung des Strafrechtsexperten "kokettiert" Zschäpe mit ihren Anspielungen über eine mögliche Aussage. Sie seien nur ein Ablenkungsmanöver, ein Machtspielchen. Denn: "Prozessual bringt ihr eine Aussage überhaupt nichts", ist sich Heger sicher.
Wenn das frühere NSU-Mitglied – vielleicht auch aus psychischer Anspannung heraus – reinen Tisch machen wolle und sich selbst schwer belastet, komme sie um eine schwere Strafe kaum herum. Bei einer teilweisen Aussage wiederum wäre ein Geständnis kaum glaubwürdig, meint Heger.
"Sie erhöht damit den Druck auf alle"
Hat Zschäpe überhaupt genug juristischen Sachverstand, um eine eigene Strategie abseits ihrer langjährigen Verteidiger zu entwickeln? Es gibt Hinweise darauf, dass sie bei ihrem Brief an das Gericht anwaltlich unterstützt wurde. Doch welches juristische Interesse könnte dahinter stecken?
"Sie erhöht damit den Druck auf alle Beteiligte", sagt Heger. Bei sehr großem Druck steige die Gefahr von Fehlern im Verfahren. Beispielsweise der Verdacht auf Befangenheit könnte zu einem Abbruch des Prozesses führen oder ein "Aufhänger für die Revision" sein, erläutert der Strafrechtsexperte.
Sollte der Prozess neu aufgerollt werden, ist für Zschäpe aber nichts gewonnen. Das Mammutverfahren würde einfach wieder von vorn beginnen, einschließlich jeder Zeugenvernehmung. Es wäre eine große Belastung für alle Seiten, auch für die weiteren Angeklagten. Und es ist zweifelhaft, dass eine neue Verhandlung zu einem besseren Ergebnis für Zschäpe führen würde. "Ich sehe derzeit keinen anderen Weg, als den Prozess durchzuziehen", sagt Heger.
Prof. Martin Heger ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Europäisches Strafrecht und Neuere Rechtsgeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin. Heger hat in Tübingen studiert und promoviert. Seit 2005 lehrt und forscht er in Berlin.
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