Fremdenhass begleitet Nazan Eckes eigentlich ihr ganzes Leben - zumindest unterschwellig. Oft wurde die erfolgreiche TV-Moderatorin mit "blöden Sprüchen" und "blöden Witzen" konfrontiert. Im Interview mit unserem Portal erklärt die Tochter türkischer Einwanderer, wieso ihr Integration trotzdem leicht fiel und was Deutschland gegen Fremdenhass tun muss.
Frau
Nazan Eckes: Das war eher subtil. Keine Frontalangriffe, wie man sie oft kennt. Mein Vater hat auf der Arbeit mit jeder Pore gespürt, dass er als Fremder in einem Land arbeitet, das ihn auch lediglich für seine Arbeit hier haben will. Ich erinnere mich sehr gut an Fotos, die Betriebsfeste zeigen: Mein Vater war zwar immer dabei, hat dennoch im Abseits gestanden. Das ist sehr symbolisch. Genauso war sein Empfinden. Dennoch möchte ich betonen, dass mein Vater nicht nur unzufrieden mit allem war. Er hatte sehr nette Vorgesetzte, die ihn über die Jahre unterstützt und gefördert haben, die auf Augenhöhe mit ihm gesprochen haben. Das hat ihm sehr viel bedeutet.
Und ihre Mutter?
Meine Mutter hat nie gearbeitet, ist ihr Leben lang Hausfrau und Mutter gewesen und hat sich sprachlich irgendwie durch den Alltag geschlagen. Aktiv angefeindet oder beleidigt wurde sie zum Glück nie. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass meine Mutter nicht verschleiert ist und - ich nenne es mal - "westlich" aussieht. In Deutschland wirst du stark nach deinem Äußeren beurteilt.
Haben Sie selbst Rassismus erlebt?
Ich persönlich habe das ebenfalls immer nur am Rande mitbekommen. Zu meiner Schulzeit waren Türkenwitze zum Beispiel noch an der Tagesordnung. Selbst gute Freunde haben sich daran beteiligt und sich dann immer gleich mit dem Nachsatz "Dich meine ich ja nicht, nur die anderen Türken" entschuldigt. Mich hat das extrem gekränkt und ich wusste nie so recht, wie ich damit umgehen soll. Von jetzt auf gleich bist du für deine Freunde und Schulkameraden ganz kurz "die Türkin" - und wenn es nur für einen Moment ist, für die Länge eines Witzes. Danach ist alles wieder ganz normal. Man isst und quatscht miteinander. Eine merkwürdige, eben subtile Form der Ausgrenzung.
Wie kann man mit so etwas umgehen?
Meine Toleranzgrenze liegt bei Null. Ich habe keinerlei Verständnis für Fremdenhass in jeglicher Form und lasse mich selbst nirgendwo ausgrenzen. Schon gar nicht in einem Land, in dem ich geboren wurde, Steuern zahle und mich aktiv in die Gesellschaft einbringe. Ich mag aber auch umgekehrten Rassismus nicht. Sprich: wenn türkische oder andere ausländische Familien, insbesondere Jugendliche, sich abkapseln und nur unter ihres Gleichen sein wollen, die deutsche Sprache ablehnen und so weiter. Integration passiert nur, wenn beide Seiten es wollen.
Was bedeutet Integration für Sie?
Sich in einem Land zu Hause zu fühlen. Integration hat viele Gesichter, es gibt nicht ein Modell, das für alle passt. Wichtig ist, dass jeder Mensch, der hier lebt, das Gefühl haben sollte, wirklich dazuzugehören. Ich kann keine Sprache lernen oder mich gesellschaftlich engagieren, wenn ich dauernd ausgeschlossen werde oder keine wirklichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe. An der Willkommenskultur in Deutschland muss sicher noch gearbeitet werden.
Fiel Ihnen die Integration leicht - vielleicht sogar leichter als anderen? Was half Ihnen dabei?
Natürlich gab es Phasen, in denen es mich extrem genervt hat, mich dauernd für meine Herkunft erklären zu müssen und subtilen Rassismus zu erleben. Blöde Sprüche, blöde Witze - dann geht man zähneknirschend zur Tagesordnung über. Aber ich habe extrem früh den Ehrgeiz entwickelt ein echtes Mitglied der deutschen Gesellschaft zu werden. Die Sprache gut zu sprechen, mir in der Schule Mühe zu geben und zu verstehen, wie das Leben in deutschen Familien aussieht und worin es sich von meinem Leben unterscheidet. Zu meiner Überraschung habe ich nach und nach immer mehr Parallelen gefunden. Kurz: ich habe Deutschland als mein Heimatland angenommen, Vorurteile weggeschoben und mich voll auf meinen Berufsweg konzentriert. Alles andere hat sich mit der Zeit ergeben. Aber sicher habe ich das große Glück, dass meine Eltern all das immer unterstützt haben. Es war ihnen sehr wichtig, dass wir uns in der Schule anstrengen und später einen Beruf erlernen. Mein Vater hat uns stets davor gewarnt, dass wir sonst am Fließband arbeiten müssen. Das hat offenbar gesessen.
Woher kommt aus Ihrer Sicht Feindseligkeit gegenüber anderen Nationen oder ethnischen und religiösen Gruppen?
Ich glaube nicht, dass alle Menschen, die sich gegen Migranten und Flüchtlinge äußern, automatisch Rassisten sind. Ich denke eher, dass dabei bei manchen auch die Verlustangst eine große Rolle spielt. Natürlich muss jedes Land seine Kultur und seine Sprache schützen, aber wir können nicht die Augen davor verschließen, dass es - gerade in diesen Tagen - eine Art Völkerwanderung gibt: Menschen flüchten, verlassen ihre geliebte Heimat, ihre Freunde, ihre Familie. Sie betreten erstmals Europa, sehen was es hier für Möglichkeiten gibt, wie anders und frei wir hier leben. Und es ist ihr gutes Recht genauso leben zu wollen! Was genau wollen wir ihnen übel nehmen? Dass sie die gleichen Werte schätze wie wir und deshalb hier leben wollen? Daneben gibt es natürlich auch echten Rassismus - gewalttätigen Rassismus. Dem muss man in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit entgegentreten. Das ist Gift für uns alle.
Sie sind selbst Mutter. Welche Rolle spielt Integration in der Erziehung Ihres Sohnes?
Unser Kind wird zweisprachig und in zwei Kulturen aufwachsen. Damit ist sowieso schon mal eine Basis gelegt, die mein Mann und ich als Eltern sehr wertvoll finden. Wir möchten, dass unser Sohn später respektvoll mit Menschen aller Nationen und Religionen umgeht. Da wir jetzt schon viel mit ihm verreisen, uns dauernd in anderen Ländern und Kulturen bewegen, wird sich das ohnehin von alleine ergeben. Dennoch werden wir uns bemühen, ihm sehr früh menschliche Werte zu vermitteln.
Sie haben einmal gesagt, es sei "unmöglich sich festzulegen, wenn man in zwei Kulturen aufwächst …" Liegt der Schlüssel zu einer erfolgreichen Integration vielleicht gerade darin, sich nicht festlegen zu müssen?
Wie gesagt: Jeder muss seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Ich jedenfalls werde niemals sagen, dass ich ausschließlich Türkin oder ausschließlich Deutsche bin. Ich bin eine Mischung daraus. Das wird immer so bleiben. Wie willst du dich für eine Sache entscheiden, wenn du dein Leben lang von zwei sehr unterschiedlichen Kulturen geprägt wirst. Das geht gar nicht. Bei mir jedenfalls nicht.
Was würden Sie gerne deutschen Politikern in Bezug auf die Diskussionen um Flüchtlinge und Fremdenhass sagen? Was sollte Deutschland besser machen?
Ich fürchte, dass wir in Deutschland eine Aufgabe erst dann angehen, wenn sie zu einem Problem geworden ist. Genauso wie man sich vor 50 Jahren nicht um die ersten Einwanderer gekümmert hat, weil man dachte, dass die ja eh irgendwann wieder in ihre Heimat zurückgehen, kümmern wir uns heute nicht genug um die Menschen, die hierher flüchten und hier Schutz suchen.
Mir ist völlig klar, dass die Situation der Flüchtlinge für viele Menschen, auch für viele Politiker, nicht hinnehmbar ist und dass die Unterbringung und Versorgung dieser Menschen eine große Herausforderung ist. Aber kommt es - nach Jahren von Krieg und Terror in vielen Ländern der Welt - wirklich so überraschend? Hätte man sich nicht anders und früher darauf vorbereiten können? Ist ein Schlafsack und ein wenig Essen alles, was wir für diese Menschen tun können? Es sind so viele Alleinreisende und traumatisierte Kinder unter den Flüchtlingen. Ich finde den Gedanken unerträglich, dass sie ihre Familien verlassen haben, eine Reise durchmachen mussten voller Todesangst, dann hierher kommen und hier ebenfalls allein gelassen werden. Sicher gibt es viele Aktionen, die meist aus Bürgerinitiativen entstehen und bewundernswert sind, aber von politischer Seite muss ganz klar mehr kommen. Wir tun viel zu wenig. Diese Menschen brauchen unsere Hilfe.
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