Viele Worte kommen uns zunächst einmal harmlos vor, doch sie sind es nicht, so Experten. Stattdessen versteckt sich die Menschenfeindlichkeit im Detail.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Remigration" wurde jüngst zum Unwort des Jahres gewählt. Das Wort sei ein "rechter Kampfbegriff" und eine "beschönigende Tarnvokabel", so die Jury der sprachkritischen "Unwort"-Aktion in Marburg: "Das Wort ist in der Identitären Bewegung, in rechten Parteien sowie weiteren rechten bis rechtsextremen Gruppierungen zu einem Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte geworden"

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Dabei ist "Remigration" nicht der einzige Begriff, der zunächst harmlos klingt, aber letztlich Bestandteil rechter Rhetorik ist. Inzwischen verwenden viele Menschen Begriffe der Rechtspopulisten, ohne zu wissen, wie diese eigentlich gemeint sind.

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Woran erkennt man rechte Begriffe?

Joachim Scharloth ist Linguist und Professor für German Studies an der Waseda-Universität in Tokyo. Gegenüber unserer Redaktion erklärt er, man erkenne rechte Begriffe daran, dass sie Ideologie und Deutungsschemata der politischen Rechten transportierten. "Das können beispielsweise Vorstellungen von biologisch begründeter Ungleichheit zwischen Menschengruppen sein ('Biodeutsche' vs. 'Passdeutsche'), oder aber von unveränderbaren, quasi-natürlichen kulturellen Unterschieden ('Kulturfremde') oder von vermeintlicher 'Reinheit' ('Mischling', 'Mischehen')."

Es können auch Ausdrücke sein, mit denen strategisch die politischen Ziele rechter Politik befördert werden sollen, indem sie den Fokus auf einen bestimmten Aspekt rücken, der dieser rechten Argumentation entgegenkommt. So beispielsweise der Begriff "Ausländerkriminalität." Er suggeriere, dass es ein Kriminalitätsfaktor sei, keinen deutschen Pass zu besitzen.

"'Migrationswaffe' stellt Asylsuchende als geopolitische Bedrohung dar, die abgewehrt werden muss, 'Überfremdung' sagt, dass es schon zu viele 'Fremde' gibt", so Sprachwissenschaftler Scharloth: "Natürlich benutzen alle Parteien ein Vokabular zur Beschreibung der Wirklichkeit, das ihre politischen Ziele als plausibel, ja als notwendig erscheinen lässt. Problematisch ist dies jedoch dann, wenn Sprache Ideologien transportiert, die sich gegen Grundrechte wie das auf Menschenwürde oder Gleichheit vor dem Gesetz richten."

Linguistin Heidrun Kämper führt aus: "Generell kann man sagen: Rechte Denkmodelle sind dehumanisierend, exkludierend, nationalistisch, geschichtsrevisionistisch beziehungsweise deutsche Geschichte glorifizierend." Es fänden sich auch Bezüge zur Zeit des Dritten Reiches. Beschreibungen wie "Einwanderung in die Sozialsysteme" hätten als Denkmodell dieselbe Grundlage wie die nationalsozialistischen Begriffe "Parasit" oder "Schmarotzer".

Stärkt man rechte Kräfte, indem man ihr Vokabular benutzt?

Robert Lüdecke von der Amadeu Antonio Stiftung erklärt gegenüber unserer Redaktion: "In dem Moment, in dem Rechtsextreme wie die AfD Begriffe so stark geprägt haben, dass man sofort an ihre Politik denkt, verbreitet man mit dem Wort auch ihre menschen- und demokratiefeindlichen Positionen. Darüber muss man sich im Klaren sein."

Aktuell wird beispielsweise der Begriff "Remigration" in der politischen Debatte diskutiert. Durch Enthüllungen des Recherchezentrums "Correctiv" war bekannt geworden, dass Mitglieder der AfD planten, Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland auszuweisen. In diesem Zusammenhang wurde das Wort "Remigration" mehrfach benutzt. Robert Lüdecke sagt: "Wenn wir also darüber berichten, dass Rechtsextreme Pläne zur 'Remigration' besprechen, müssen wir dazu auch explizit sagen, dass damit die millionenfache Deportation von Deutschen und Nicht-Deutschen Staatsbürgern gemeint ist."

Lüdecke führt weiter aus: "Wir müssen der Realität ins Auge schauen, dass sich manche Menschen eben gar nicht daran stören, dass Rechtsextreme Massenabschiebungen fordern, sondern das im Gegenteil sogar begrüßen und sich bestätigt sehen." Deshalb sei es wichtig, solche Begriffe nicht einfach eins zu eins zu wiederholen, "sondern sie zu ächten, kritisch einzuordnen und nicht unwidersprochen zu lassen."

Lingustin Kämper gibt den Tipp: "Wenn der Gebrauch eines solchen Wortes unvermeidbar ist, kann man Distanzmarker setzen – durch Anführungszeichen, 'sogenannt' und ähnliches."

Welche Begriffe hat die AfD besetzt, um sie umzudeuten?

Laut Sprachwissenschaftler Scharloth ist es nicht einfach so, dass Parteien die Deutungshoheit über Wörter gewinnen können. Allerdings gebe es Begriffe, die die AfD für sich reklamiert: "Das sind Ausdrücke, die die Partei sarkastisch aufgegriffen hat wie 'Einzelfall' (im Kontext von Verbrechen durch Asylbewerber oder Migranten) oder 'Bereicherung' (bezogen auf Migration). Sie bedeuten bei ihren Anhängern genau das Gegenteil."

Die gleiche Strategie der Umdeutung von Begriffen finde sich zum Beispiel bei den Ausdrücken "Klimawissenschaftlerin", "Experte" oder "Journalist", die von der AfD allesamt zu parteiischen "Aktivisten" umgedeutet werden, so Scharloth. "Auch den Ausdruck 'Zivilgesellschaft' benutzen AfD-Politiker:innen gern mit einem 'sogenannt' davor, um zu insinuieren, es handle sich ausschließlich um staatlich finanzierten Aktivismus."

Heidrun Kämper ergänzt: "'Ideologisch' ist ein solches Wort, mit dem die Rechte jegliche Politik von Rot-Grün diffamiert. Auch 'Kultur' gehört dazu, welches ein Ersatzwort für 'Blut' ist." Letzteres sei selbst in rechten Kreisen bisher vermieden worden, da der Begriff zu sehr mit nationalsozialistischem Vokabular assoziiert sei. So werde nun "Kultur" in rechten Kreisen benutzt, um Menschen auszuschließen, die angeblich nicht zur eigenen Kultur gehörten.

Gleiches gilt laut Robert Lüdecke von der Amadeu Antonio Stiftung für das Wort "Multikulti": "Eigentlich ein positiv konnotierter Begriff, der ein vielfältiges Zusammenleben beschreibt. Rechtsextreme nutzen den Begriff als zugespitztes negatives Bild einer Gesellschaft, wie sie sie nicht haben wollen. Und das so erfolgreich, dass man kaum noch davon sprechen will, dass man für ein 'Multikulti-Miteinander' ist."

"Politische Korrektheit" und "woke"

Außerdem nennt Sprachwissenschaftler Scharloth die Ausdrücke "politische Korrektheit" und "woke". "Politische Korrektheit" kam laut Scharloth als Kampfbegriff der amerikanischen neuen Rechten nach Deutschland, mit dem die gewachsene Sprachsensibilität als Sprech- und Denkverbot kritisiert werden sollte. "Der Ausdruck behauptet, etwas sei nur in politischer Hinsicht korrekt, in Wahrheit aber falsch."

Dabei handle es sich um abwertende Bezeichnungen: "Der Ausdruck 'woke' wird als Fremdbezeichnung für alles benutzt, was irgendwie vage als 'links' gilt. Er ist weitgehend inhaltsleer, aber ein mächtiges Bewertungsschema." Den Kampf gegen beide Ausdrücke habe sich die neue Rechte auf die Fahnen geschrieben. Und solange im öffentlichen Diskurs unkritisch mit den Ausdrücken "politische Korrektheit" und "woke" operiert werde, spiele es dieser in die Hände.

"Altparteien" und "Klima- oder Genderwahn"

Robert Lüdecke von der Amadeu Antonio Stiftung erklärt, dass Begriffe wie "Altparteien" schwierig sind, da die AfD damit die parlamentarische Demokratie als Feindbild beschreibt. "Gemeint sind eigentlich Parteien mit einer langen Tradition, die die deutsche Demokratie geprägt haben. Die AfD erklärt mit dem Begriff aber die etablierten demokratischen Parteien zum Feindbild, die es zu überwinden gilt", so Lüdecke. Obwohl die AfD den Begriff bereits negativ geprägt hat, wird er beispielsweise in vielen Medien und von politischen Kommentatoren noch immer genutzt.

Dasselbe sei der Fall bei den Begriffen "Klima-" oder "Genderwahn": "Man kann natürlich immer kritisch auf politische Bewegungen schauen, aber hier wird Aktivismus lächerlich gemacht und zum Krankheitsbild erklärt, um Menschen zu diffamieren. Es soll der Eindruck entstehen, als wären diese Themen überflüssig."


Über die Experten:

  • Heidrun Kämper ist Linguistin und ehemalige Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für deutsche Sprache.
  • Joachim Scharloth ist Linguist und Hochschullehrer. Er ist Professor für German Studies an der Waseda-Universität in Tokyo.
  • Die Amadeu Antonio Stiftung ist eine gemeinnützige deutsche Stiftung mit dem Ziel, die deutsche Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu stärken.


Quellen:

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

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