Auch die dritte Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst zwischen den Gewerkschaften und Bund und Kommunen ist gescheitert. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Verdi-Chef Frank Werneke, woran das liegt und was passiert, wenn nach den Verhandlungen auch die Schlichtung scheitert.

Ein Interview

Herr Werneke, Innenministerin Nancy Faeser, die für den Bund verhandelt, hat gesagt, sie habe noch keine Verhandlungen erlebt, in denen die Forderungen der Gewerkschaft Eins zu Eins übernommen wurden. Haben Sie sich in den Verhandlungen überhaupt bewegt?

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Frank Werneke: Ich habe auch noch nie Verhandlungen erlebt, in denen die gewerkschaftlichen Forderungen komplett erfüllt wurden. Wir haben Bewegung gezeigt, insbesondere was die Laufzeit angeht. Wir haben insbesondere Bereitschaft für eine längere Laufzeit als die von uns ursprünglich geforderten zwölf Monate signalisiert. Dreh- und Angelpunkt für einen Tarifabschluss ist für uns ein ausreichend hoher Mindestbetrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit niedrigem bis mittleren Einkommen, weil die besonders stark von der hohen Inflation betroffen sind. Wir fordern mindestens 500 Euro monatlich mehr. Da liegen wir leider noch sehr deutlich auseinander.

Welche Berufsgruppen würden von einer Mindesterhöhung von 500 Euro, wie Sie sie fordern, am meisten profitieren?

Das betrifft Busfahrerinnen, Beschäftigte in Abfallwirtschaftsunternehmen, in Servicebereichen in Krankenhäusern, um nur Beispiele zu nennen. In vielen Bereichen des Öffentlichen Dienstes gehen die Menschen mit deutlich unter 2000 Euro netto nach Hause.

Machen wir es ganz konkret an einem Beispiel. Was verdient ein Erzieher aktuell und was fordern Sie?

Eine Erzieherin oder ein Erzieher bekommt ein Tabellen-Einstiegsgehalt von 2931,61 Euro pro Monat, in der höchsten Stufe ist es ein Tabellen-Entgelt von 3.979,52 Euro. Wenn Sie jeweils 500 Euro dazu rechnen, sehen Sie, wie die Erzieherin und der Erzieher von einer Erfüllung unserer Forderung profitieren würde.

Die Arbeitgeber sind Ihnen mit einem verbesserten Angebot entgegengekommen und haben acht Prozent mehr Einkommen, einen Mindestbetrag von 300 Euro und eine Einmalzahlung von 3.000 Euro angeboten – warum reicht Ihnen das nicht?

Die 300 Euro Erhöhung, die jetzt von den Arbeitgebern ins Schaufenster gestellt werden, sind faktisch nur eine Erhöhung von 150 Euro, da sie sich auf zwei Jahre beziehen. Außerdem waren am Verhandlungstisch nicht acht Prozent im Gespräch, sondern sieben Prozent. Das eine Prozent kam dann offenbar auf dem Weg vom Verhandlungstisch zu den Mikrofonen dazu.

Empfinden Sie diese Kommunikation von Seiten der Arbeitgeber als unfair?

Nicht unfair, aber selbstverständlich interessengeleitet. Außerdem sind die acht Prozent, die jetzt im Raum stehen, nun auch die Ausgangsbasis für das Schlichtungsverfahren. Der Weg zum Mikro hat sich also gelohnt.

Wie schätzen Sie die Chancen einer Schlichtung ein?

Wir gehen konstruktiv mit dem Ziel in die Schlichtung, zu einem Ergebnis zu kommen. Das galt aber auch für die dritte Verhandlungsrunde, die wir für gescheitert erklären mussten.

Warum sollte es durch eine Schlichtung auf einmal eine Lösung geben, wenn davor drei Tarifrunden gescheitert sind und die Positionen noch weit auseinanderliegen?

Nun, zuerst einmal ist es die Entscheidung der Arbeitgeber, in die Schlichtung zu gehen wollen. Beide Seiten haben Schlichter benannt und die werden versuchen, in einer Art Pendeldiplomatie einen Vorschlag zu erarbeiten. Dadurch kann durchaus eine neue Dynamik entstehen.

Bei einer gescheiterten Schlichtung haben Sie angekündigt, über einen "flächendeckenden Streik" zu entscheiden. Was würde das bedeuten?

Wenn das Ergebnis der Schlichtung und der darauffolgenden erneuten Verhandlungen nicht ausreicht, ist es das ganz normale Vorgehen, dass wir unsere Mitglieder in einer Urabstimmung zu weiteren Arbeitskampfmaßnahmen befragen. Ich will hier aber kein Droh-Szenario aufbauen, ich denke, es ist allen klar, dass wir in der Lage sind – wenn das notwendig werden sollte - unsere Aktivitäten in jeglicher Hinsicht auszuweiten.

Wie sieht so eine mögliche Steigerung der Streikaktivitäten aus?

Bislang haben nur einzelne Beschäftigtengruppen gestreikt. Am Montag zum Beispiel haben von ver.di nur Beschäftigte aus dem Verkehrssektor gestreikt, das ist ein kleiner Teil der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die auch nur für einen Tag in den Arbeitskampf gerufen wurden. An anderen Tagen haben Erzieherinnen und Erzieher für einen Tag gestreikt, an weiteren Tagen Beschäftigte des Gesundheitswesens. Wir haben also immer nur einzelne Gruppen einzelne Tage zum Warnstreik aufgerufen. Wir hoffen nicht, dass die Schlichtung scheitert, aber wenn das eintritt, werden wir darauf vorbereitet sein.

Sie treten sehr selbstbewusst auf. Ist das die Folge eines Arbeits- und Fachkräftemangels, der Arbeit wertvoller macht und die Gewerkschaften damit in eine noch nie dagewesene Machtposition bringt?

Das macht vor allem den Handlungsdruck besonders groß. In Krankenhäusern und Kitas ist der Personalmangel schon jahrelang ein Problem. Jetzt schlägt das auch auf viele weitere Bereiche im öffentlichen Dienst durch – überall wo man hinsieht, gibt es unbesetzte Stellen. Das führt zu einer enormen Belastung für die Beschäftigten, die ständig am Limit arbeiten müssen und dafür auch noch nicht ausreichend bezahlt werden.

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Aber bringt das für die Gewerkschaften neuen Handlungsspielraum?

Im öffentlichen Dienst waren wir schon immer sehr durchsetzungsfähig. In anderen Branchen sieht man aber eine deutliche Veränderung, zum Beispiel bei den Beschäftigten an Flughäfen, im Sicherheitsdienst oder in der Logistikbranche. Hier hat die Deregulierung der Arbeitsmärkte - inklusive Leiharbeit, Subunternehmertum und Minijobs - über lange Zeit zu einer Schwächung der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen geführt. Und wenn sich da mal Protest und Widerstand organisiert hat, wurde mit dem Verlust des Arbeitsplatzes gedroht. Der sich wandelnde Arbeitsmarkt führt hier zu mehr Selbstbewusstsein bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und damit auch zu neuen Kräfteverhältnissen.

Zurück zu den Verhandlungen im öffentlichen Dienst. Ein Argument, das man von Arbeitgeberseite immer wieder gehört hat, war, dass die klammen Kommunen sich einfach nicht mehr leisten können.

Die Kommunen insgesamt haben eine deutlich bessere Haushaltssituation als vergleichsweise ihre Beschäftigten. Das letzte Jahr haben die Kommunen mit einem Nettoüberschuss von 8,5 Milliarden Euro abgeschlossen. Aber es stimmt natürlich, dass die Situation von Kommune zu Kommune unterschiedlich ist. Manche Kommunen stecken tief in Altschulden. Gerade diese Kommunen werden von den Arbeitgebern bei den Verhandlungen immer wieder ins Schaufenster gestellt. Das Problem ist mit den Mitteln der Tarifpolitik allerdings nicht zu lösen, sondern hier bräuchte es dringend eine Altschuldentilgung, die wie ein Schuldenschnitt wirkt.

Wer könnte diesen Schuldenschnitt veranlassen, denn das wäre ja offenbar eine Maßnahme, die nötig wäre, um höhere Löhne in allen Kommunen möglich zu machen?

Eine Entschuldung kann nur durch eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und den betreffenden Bundesländern gelingen, das zeigt etwa das Beispiel Hessen.

Dann müsste also dieses Problem aus ihrer Sicht zuerst gelöst werden, bevor ein erfolgreicher Tarifabschluss möglich ist?

Ich traue mir ja sehr viel zu als Gewerkschaftsvorsitzender, aber es gibt natürlich Grenzen der Tarifpolitik. Die Finanzarchitektur zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist Aufgabe der Politik. Dazu haben wir zwar eine Meinung, aber diese Belange sind nicht Gegenstand der Tarifverhandlungen.

Auf der anderen Seite des Verhandlungstischs saßen diesmal mit Nancy Faeser und Karin Welge zwei Frauen von der traditionell arbeitnehmerfreundlichen SPD. Warum hat das nicht zu einem besseren Angebot und damit zu einem Tarifabschluss geführt?

Das hat für den Verlauf der Tarifverhandlungen keine Rolle gespielt, weil diese als Vertreterinnen des Bundes und der Kommunen qua Amt ihre Rolle ausfüllen, und das machen sie auch konsequent. Deshalb macht es für uns in der Praxis keinen Unterschied, ob die Verhandlungsführerinnen der Gegenseite von der CDU sind oder von der SPD.

Der SPD-Kanzler Olaf Scholz ist mit dem Versprechen von "Respekt" für die Arbeiter in den Wahlkampf gezogen. Spiegelt sich dieser Respekt im Angebot der Bundesregierung und der Kommunen wider?

Das Angebot der Arbeitgeber ist unzureichend. Eine moralisierende Bewertung möchte ich nicht vornehmen. Insbesondere die kommunalen Arbeitgeber haben in der dritten Verhandlungsrunde klargemacht, dass sie sich nicht in der Lage sehen, über die vorgelegten Zahlen hinauszugehen. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären.

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