• In den vergangenen fünf Jahren sind fast 300 Tatverdächtige wegen Verfahrensverzögerungen aus der Untersuchungshaft entlassen worden.
  • Der Richterbund macht die hohe Arbeitsbelastung in der Justiz dafür verantwortlich.
  • Er fordert zudem die Bundesregierung zum Handeln auf.

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In den vergangenen fünf Jahren sind in Deutschland fast 300 Tatverdächtige wegen Verfahrensverzögerungen aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Allein im vergangenen Jahr hob die Strafjustiz bundesweit in mindestens 66 Fällen Untersuchungshaftbefehle auf, weil die Strafverfahren zu lange dauerten, wie der Deutsche Richterbund (DRB) am Montag in Berlin unter Verweis auf Recherchen der "Deutschen Richterzeitung" mitteilte. Die Zahl stieg im Vergleich zum Vorjahr deutlich.

Im Jahr 2020 hatten die Justizverwaltungen der Länder 40 Fälle gemeldet. Mehr Haftentlassungen wegen der Verletzung des Beschleunigungsgebots als 2021 hatten die Länder demnach nur 2019 mit 69 Fällen registriert.

Klagen über hohe Arbeitsbelastung in der Justiz

Zuletzt teilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main am Freitag mit, dass insgesamt sechs Angeschuldigte wegen Überlastung der Schwurgerichtskammern beim Landgericht Frankfurt aus der Untersuchungshaft entlassen wurden. Ihnen wird unter anderem versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Dem Deutschen Richterbund zufolge werfen diese Fälle ein Schlaglicht auf die hohe Arbeitsbelastung vieler Gerichte und Staatsanwaltschaften. "Es fehlt der Strafjustiz nach wie vor deutlich an Staatsanwälten und Strafrichtern, sodass sie selbst vorrangige Haftsachen nicht immer mit der rechtsstaatlich gebotenen Beschleunigung erledigen kann", erklärte DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Zudem würden viele Strafverfahren immer aufwändiger, weil zum Beispiel die auszuwertenden Datenmengen durch die Digitalisierung sprunghaft stiegen.

Richterbund fordert Bundesregierung zum Handeln auf

Der Richterbund forderte die Ampelkoalition im Bund auf, den geplanten Rechtsstaatspakt 2.0. zügig umzusetzen. "Angesichts erheblicher Personalprobleme und großer Digitalisierungsaufgaben braucht es ein umfangreiches Investitionspaket für die Justiz", erklärte Rebehn. Für 2021 meldeten demnach Sachsen und Schleswig-Holstein mit jeweils elf Haftentlassungen wegen unvertretbar langer Verfahren die höchsten Zahlen aller Länder.

Sachsen hatte auch in den zurückliegenden Jahren bereits zweistellige Fallzahlen. Bayern, das 2020 mit 15 Fällen bundesweit an der Spitze lag, meldete für 2021 mit zehn Haftentlassungen die dritthöchste Zahl. Dicht dahinter folgten Berlin und Rheinland-Pfalz mit jeweils neun Fällen. Baden-Württemberg und Niedersachsen meldeten jeweils vier, Nordrhein-Westfalen drei, Hessen zwei, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen jeweils einen Fall.

Mit Brandenburg, Bremen, Hamburg und dem Saarland meldeten lediglich vier Bundesländer für 2021 keine Haftentlassungen wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot. Es handelt sich den Angaben zufolge um Mindestzahlen, weil nicht alle Entscheidungen der Strafgerichte über Haftaufhebungen wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot lückenlos statistisch erfasst werden. (AFP/okb)

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